Umgang mit rechten Büchern in Bibliotheken: Finger weg oder anschaffen?
Gibt es Bücher, die öffentliche Bibliotheken besser nicht anschaffen sollten? Und wenn ja, wo verlaufen die Grenzen? Die Diskussion ist im vollen Gange.
Nun fragt er, ob der Einsturz der Brücke in Genua womöglich eine Sprengung war, es beim NSU-Terror vielleicht doch nicht um rassistische Morde ging, und ist der Medizinindustrie, Merkel und dem Migrationspakt auf der Spur. „Sektenartig“ sei das Buch, urteilt der Deutschlandfunk, „mit Hang zu Verschwörungstheorien“.
Es sind Titel wie dieser, die vielen MitarbeiterInnen öffentlicher Bibliotheken in letzter Zeit Kopfzerbrechen bereiten. Verlage wie „Kopp“, „Manuscriptum“ oder auch „Antaios“ mit seinen Verbindungen in die extremistische neurechte Szene feiern Erfolge bei einem breiteren Publikum. Es besteht ein Angebot und eine immer größere Nachfrage.
Dabei gehört es zur Strategie der neuen Rechten, mit einer „Metapolitik“ im vorpolitischen Raum die gesellschaftlichen Diskurse zu bestimmen und zu besetzen. Dass es nicht dabei bleiben soll, schreibt Götz Kubitschek, Gründer des Antaios-Verlages, bereits 2007: „Unser Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform, nicht ein Mitreden, sondern eine andere Sprache, nicht der Stehplatz im Salon, sondern die Beendigung der Party.“
Frauke Untiedt, künftige Direktorin der Hamburger Bücherhallen
Extreme Rechte wie Kubitschek wollen mit Werken, die sich nicht eindeutig dem neonazistischen Spektrum zuordnen lassen und dennoch völkisches Denken und Hetze verbreiten, in den gesellschaftlichen Kanon eindringen und versuchen dazu auch die Bibliotheken zu nutzen.
Und das geschieht auf verschiedenen Wegen. Die Bremer Stadtbibliothek berichtet beispielsweise davon, dass eine Prüfung der Kundenwünsche zu rechten Medien auch deshalb dringend erforderlich sei, „da Bibliotheken und auch der Buchhandel regelmäßig gezielt mit Nachfragen und Wünschen von vorgeblichen Kund*innen überhäuft werden, um gesellschaftliche Nachfrage zu suggerieren“. In Bremen habe es zudem Fälle von Mediengeschenken aus dem rechten Spektrum gegeben, wie etwa ein Geschenkabonnement der Jungen Freiheit einer angeblichen Kundin. Das Angebot wurde abgelehnt.
Die Stadtbibliothek begegnet dem mit einem aufmerksamen Lektorat. Medien aus Verlagen, die dem rechten Spektrum zuzuordnen seien, würden weder aktiv bestellt noch auf Kundenwunsch für die Stadtbibliothek erworben.
Und doch: Auch in Bremen landen solche Bücher im Regal – etwa Wisnewskis „anderes Jahrbuch“. Denn das findet sich derzeit auf Platz 13 der Spiegel-Bestseller-Liste. Und wie viele öffentliche Bibliotheken bezieht man auch in Bremen die Titel verschiedener Bestseller-Listen über „Standing Order“, also per Dauerauftrag, „um den Bürgerinnen und Bürgern aktuell stark gefragte und diskutierte Titel schnell anbieten zu können“. Später werden diese Teil des regulären Bestands.
Verlagsgruppe „Lesen & Schenken“
Im kleinen Martensrade nahe Kiel hat eines der bundesweit größten Verlagsnetzwerke seine Produktionsstätte: „Lesen & Schenken GmbH“. Zu der Verlagsgruppe um Dietmar Munier gehören der Orion-Heimtreiter-Verlag, der Arndt-Verlag, Bonus und der Verlag Pour le Mérite. Das inhaltliche Programm reicht von Kalender zur „Germanischen Welt“ über „Deutschland verblödet - wem nutzt der dumme Deutsche?“ und „Irrweg Einwanderung“ bis „Bombenterror – Der Luftkrieg über Deutschland“.
Vor Ort ist „Lesen & Schenken“ einer der stärksten Arbeitgeber. Auf ihrer Webseite suchen sie gerade einen Redakteur und Social-Media-Referenten und bieten einen Ausbildungsplatz zum Kaufmann oder Mediengestalter an sowie ein einjähriges Volontariat. Munier selbst kommt aus dem „Bund Heimattreuer Jugend“ und war für die NPD-Jugendorganisation aktiv.
Aus dem Verlagsnetzwerk erscheint auch alle zwei Monate die Deutsche Militärzeitschrift und monatlich Zuerst! Deutsches Nachrichtenmagazin. In der Zuerst! sind AfD-Bundestagsabgeordnete und Funktionsträger regelmäßige Gesprächspartner. Im aktuellen AfD-Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz heißt es: „Im Hinblick auf Kontakte zu rechtsextremistischen Verlagen ist die Verbindung zur rechtsextremistischen Zeitschrift ‚Zuerst!‘ anzuführen“.
Regin-Verlag
Der kleine Verlag von Dietmar Sokoll hat seinen Sitz in Kiel. Das Angebot geht von „Deutschlands ersten Tierschutzgesetz“, das die Nationalsozialisten 1933 erlassen hatten, über „Die andere deutsche Revolution – Edgar Julius Jung“ bis zu „Feldherren Halle“. Im Programm finden sich auch rechtsesoterische Publikationen. Sokoll kommt von der Burschenschaft „Rhenania-Salingia zu Düsseldorf“ und pflegt Kontakte zur „Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft“.
Lühe-Verlag GmbH
In Süderbrarup ist der Lühe-Verlag ansässig. Von Niedersachsen ist die GmbH des Geschäftsführers Harm Menkens nach Schleswig-Holstein gezogen. Im Programm hat Menkens einige eigene „wissenschaftliche“ Studien zur Geschichte des Juden-Christentums und der „kommenden offenen Diktatur“. Seit 25 Jahre betreibt der frühere Kapitän den Verlag zu dessen Programm auch „Ausländer-Integration ist Völkermord“, „Adolf Hitler – Begründer Israels“ oder „Paradoxie der Geschichte – Ursprung des Holocaust“ gehören.
Im Januar beschlagnahmten Ermittler beim Verlag das vom Holocaust-Leugner Gerald Menuhin verfasste Buch „Wahrheit sagen, Teufel jagen“. Der Holocaust sei die „größte Lüge der Geschichte“ schreibt Menuhin. Der Verleger hält die Bundesrepublik für ein „Provisorium“. Als aktiver Atomkraftgegner versuchte er über das rechte Spektrum hinaus auszustrahlen.
Uwe Berg Verlag GbR
Der Verlag hat seinen Sitz in Toppenstedt. Schon vor 49 Jahren gründete Uwe Berg den Verlag und das Antiquariat Uwe Berg. Der Verlag und Versandhandel aus Niedersachsen hat sowohl Literatur des Nationalsozialismus als auch der Konservativen Revolution im Angebot. Der besondere Clou: Die Werke der einschlägigen Autoren – unter ihnen auch Arthur Möller van den Brucks „Das Dritte Reich“ und der von Achim Gercke und Rudolf Kummer herausgegebene Nazi-Klassiker „Die Rasse im Schrifttum“ – werden als Quellentexte angeboten. Von den Originalen unterscheidet sie nur ein neuer Einband und eine kurze Vorbemerkung. Antisemitische Werke und den Holocaust leugnende Schriften waren in den 80er-Jahren im Programm. Uwe Berg kommt aus der verbotenen „Wiking Jugend“. Die Familie ist tief im völkischen Netzwerk verankert. (as)
Aber was dann? Wie umgehen damit, wenn etwa Thilo Sarrazin mit seinem Bestseller „Feindliche Übernahme“ erklären will, wie der Islam die Gesellschaft bedrohe, er dabei aber, wie die FAZ in einer Rezension urteilt, Statistiken unvollständig wiedergibt, tendenziöse Stellungnahmen einholt und zwar einen seriösen Eindruck erwecken will, aber wissenschaftlicher Nachprüfung nicht standhält? Kann man ein solches Buch unkommentiert als Sachbuch über den Islam ins Regal sortieren?
In den Bremer Stadtbibliotheken sind von Sarrazins „Feindlicher Übernahme“ insgesamt zehn Exemplare auszuleihen. In seinem Fall sind online in der Annotation mehrere Links beigefügt, einordnend auch zu drei Rezensionen – darunter zu der sehr kritischen aus der FAZ. Von Wisnewskis Verschwörungsjahrbuch stehen in Bremen ebenfalls zahlreiche Exemplare, allein drei in der Zentralbibliothek. Verweise finden sich hier indes nicht.
Bücher, die manipulierend und einseitig tendenziös sind, einzuordnen, sie durch weitere Werke zum Thema zu flankieren und so eine aufgeklärte Diskussion darüber zu ermöglichen, ist ein Weg, den Bibliotheken im Umgang mit Werken aus verschwörungstheoretischen und rechten Verlagen gefunden haben. Doch die Diskussion läuft seit Jahren – und das durchaus kontrovers.
Auf der einen Seite sind da Bibliotheken wie die Stadt- und Landesbibliothek Potsdam, die zuletzt einen Schwung an Büchern aus rechten Verlagen angeschafft hatte – „um allen Bürgern eine Meinungsbildung zu ermöglichen und der Nachfrage zu entsprechen“, wie es Direktorin Marion Mattekat der Märkischen Allgemeinen erklärte.
Die Hamburger Bücherhallen sehen das anders. Bücher aus dem Kopp-Verlag werden hier grundsätzlich von Lieferanten nicht mehr bezogen, ohne dass explizit danach gefragt werde. Das Jahrbuch von Wisnewski kam in Hamburg noch als Bestseller an, sei aber zurückgeschickt worden, erklärt Frauke Untiedt, die Leiterin der Zentralbibliothek und künftige Direktorin der Bücherhallen. „Bücher, die sachlich falsche Informationen verbreiten, möchten wir nicht im Bestand haben“, sagt sie. „Wir wollen die Gesellschaft näher zusammenbringen, nicht spalten.“
Auch nach den Äußerungen des Autors Akif Pirinçci war für sie und ihre KollegInnen eine Grenze erreicht. Pirinçci hatte auf einer Pegida-Demonstration in Dresden im Oktober 2015 unter anderem von Asylbewerberinnen als „flüchtenden Schlampen“ und einer „Moslemmüllhalde“ gesprochen. Die Bücherhallen nahmen daraufhin das komplette Werk des Autors aus dem Programm – neuere politische Schriften wie „Die große Verschwulung“ ebenso wie seine früheren Katzenromane. „Wir (Direktion, Lektorat, Mitglieder des Kollegiums) waren der Meinung, dass Akif Pirinçci […] den demokratischen Konsens verlassen hatte“, hieß es dazu in einer Erklärung an einen Nutzer.
An nicht weniger als an Bücherverbrennung erinnerte das die Hamburger AfD. Sie wandte sich im Frühjahr 2018 an den Senat. Der aber sah keinen Anlass zur Beanstandung. Alle Formalien seien eingehalten, die Entscheidung „nachvollziehbar begründet“, hieß es von der Regierung, die ferner auf den regulären Betriebsablauf verwies: Das Angebot der Bücherhallen werde „laufend überprüft und aktualisiert“, ein Auftrag zur Sammlung aller auf dem Buchmarkt erschienenen Titel „besteht hingegen nicht“.
Die künftige Bücherhallen-Direktorin Untiedt erklärt das: Bücher würden bei geringer Nachfrage in Hamburg generell schneller aus dem Programm genommen als andernorts und Pirinçcis Katzenkrimis seien ohnehin schon recht lange im Programm gewesen.
Die Hamburger Bücherhallen sind mit diesem Kurs nicht allein. Unter anderem die Stadtbibliothek Duisburg hatte Pirinçci ebenfalls aus dem Programm genommen. „Das Lektorat und die Leitung waren sich einig, dass Bücher von menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Autoren nichts in den Beständen einer öffentlichen Bibliothek zu suchen haben“, erklärte dazu Bibliotheks-Direktor Jan-Pieter Barbian.
Auf drei Seiten erläuterte Barbian Anfang 2016 den Schritt in der Fachzeitschrift der Bibliothekare und entfachte damit eine lebhafte Debatte. Das politische Klima hätte sich in den vergangenen zwei Jahren spürbar verändert, schrieb er: Meinungsverschiedenheiten würden grundsätzlicher, die Auseinandersetzungen radikaler. Im Falle Pirinçcis handele es sich „nicht um einen Fall von Zensur, sondern um einen notwendigen und berechtigten Eingriff in das Buchangebot einer öffentlichen Bibliothek“. Wenn es um den Respekt vor der Würde des Menschen und den richtig verstandenen Schutz seiner politischen Freiheit gehe, hätten die Bibliotheken ihre Aufgaben aktiv wahrzunehmen: Sie „sollten und können sich in den politisch-sozialen Diskurs einbringen und eine klare Position beziehen“.
Das fand bei seinen KollegInnen viele Widerworte. Martin Spieler von der Stadtbibliothek Göppingen kritisierte, dass auch die Romane von Pirinçci verbannt wurden. Eine Auswahl zu treffen sei für eine Bibliothek indes eine gängige Praxis. „Es erscheint mir legitim, solche Medien zu benachteiligen, die sich zum Beispiel grob verfälschender, verzerrender, diskriminierender, beleidigender, ehrverletzender, extrem polemischer oder verfassungfeindlicher Sprache und/oder Argumentation bedienen“, schreibt Spieler in der Fachzeitschrift.
Und, er beschreibt seine eigenen Erfahrungen: „Es schmerzt mich zu sehen, was zum Teil auch an meinem eigenen Arbeitsort zu finden ist: Etliche Bücher aus dem Kopp-Verlag, zum Beispiel jüngst 'Mekka Deutschland’ von Udo Ulfkotte, die zum Teil über Abos auf Spiegel-Bestseller-Listen in unsere Bibliotheken gespült werden.“
Arend Flemming steht dagegen für einen offensiven Kurs. Der Direktor der Städtischen Bibliothek Dresden und Honorarprofessor für Bibliothekswissenschaft meint, gerade Werke wie die von Sarrazin gehörten ins Bibliotheksregal. Jeder, auch Menschen mit kleinem Geldbeutel, sollten mitdiskutieren können. „Es schmerzt mich, was in Dresden vorgegangen ist“, sagt Flemming im Hinblick auf den Erfolg der Pegida-Demonstrationen. „Aber deshalb wollen wir die Diskussion mit Absicht in die Bibliothek holen.“
Auch in Dresden würden nicht alle Bücher angeschafft. Manchen seien „an der Grenze zur Erträglichkeit“, sagt Flemming. Niemals aber würden Titel aussortiert, weil man sie für gefährliche halte. „Eine Gefahr sehe ich darin, dass die Leute diese Werke lesen und nicht darüber gesprochen wird, sondern sie sich in Hinterzimmern verbreiten“, sagt er.
Sein Rezept: Zu einem Thema diverse Titel anschaffen, offensiv Podiumsdiskussionen veranstalten und ein ausgiebiges Lektorat.
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