Umgang mit der Coronakrise: Ostdeutsche Erfahrung kann helfen
Meine Eltern haben die sogenannte Wende erlebt. Der Coronakrise begegnen sie entspannt. Sie wissen: Es gibt Dinge, die kann man nicht beeinflussen.
![Zwei Menschen auf einer Parkbank genießen die Natur während der Corona Zeit. Zwei Menschen auf einer Parkbank genießen die Natur während der Corona Zeit.](https://taz.de/picture/4125524/14/Corona_Zusammenhalt_Covid_19_Natur-1.jpeg)
M eine Mutter ruft an und fragt, ob soweit alles in Ordnung bei mir sei. Sie hat meine letzte, ausgesprochen maulig geratene Kolumne gelesen und mutmaßt nun, ich läge heulend in der Ecke. Mach es doch wie dein Vater und ich, sagt sie. Wir versuchen, gesund zu bleiben, halten Abstand zu anderen, informieren uns soweit wie nötig und lassen den Mut nicht sinken. Es wird, es muss ja wieder besser werden.
Dabei liege ich mitnichten in der Ecke, sondern führe, bei zugegeben schwankender Stimmung, seit Wochen ein entschleunigtes Leben in der Natur. Das Ganze bei interessanter Schreibtischarbeit, regelmäßiger Bewegung an frischer Luft und gesunder Frühlingskost. Wäre da nicht dieses Gefühl schwankender Planken in Coronazeiten, könnte ich getrost den Brandenburger Superlativ verwenden: Kann man nicht meckern.
Meine Eltern allerdings meckern überhaupt nicht. Das mag daran liegen, dass sie mit Mitte achtzig keine Pläne jener Sorte hegen, ein Start-up zu gründen oder auf Welttournee zu gehen. Tatsächlich aber scheint mir ihr freundlicher Langmut ihrer Lebenserfahrung geschuldet.
Vor dreißig Jahren sind sie schon einmal durch eine maximale Umwälzung der Verhältnisse gegangen. Die sogenannte Wende bestand ja für Ostdeutsche mitnichten nur darin, unter Freudentränen durchs Brandenburger Tor zu taumeln. Viele meinten anfangs tatsächlich, das Land, das sie mit aufgebaut hatten, politisch und ökonomisch reformieren zu können. Meine Mutter schrieb damals Konzepte für neue Studiengänge, knüpfte Kontakte zu westdeutschen Unis, netzwerkte mit KollegInnen in Osteuropa. Ich hatte, erzählt sie mir, den Anspruch, einen Platz in der Gesellschaft zu finden.
Lächeln in unseren Augen
Tatsächlich jedoch wurden meine Eltern sehr bald arbeitslos. Warteschleife, lautete der arbeitsmarktpolitische Euphemismus dafür, dass der Staat Leute wie sie mit sehr viel Steuergeld zur Ruhe zu bringen versuchte. Die Schleife, in der sie warten sollten, endete dann aber tatsächlich nie, wurde lediglich unterbrochen von Beschäftigungsmaßnahmen durch das Arbeitsamt. Die beiden wurschtelten sich so durch. Als sie offiziell RentnerInnen werden durften, war das besser so für alle Seiten.
Dieses Gefühl also, dass gerade gar nichts mehr sicher ist und dass es nicht an dir ist, die Dinge zu beeinflussen, kennen meine Mutter und mein Vater gut. Und dennoch nölen sie nicht rum, sondern wuseln durch Haus und Garten, lesen kluge Bücher und schreiben ihren Urenkeln lustige Briefe. Und natürlich bekomme ich wie in jedem Frühling von meiner Mutter vorgezogene Tomatenpflanzen.
Ich setze mich also ins Auto, fahre zum Haus meiner Kindheit und klingele. Die Tomaten stehen gleich neben dem Gartentor. Wir stehen einander gegenüber, schauen uns an aus maskierten Gesichtern und erkennen das Lächeln in unseren Augen. Was für eine Freude, dass wir uns haben. Unter allen, wirklich allen Umständen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Trump und Putin
Bei Anruf Frieden
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen