Ganz praktisch gegen das Klima: Zeugnisse beim TÜV

Eine Schule lässt den Abiturjahrgang per Auto zum Abschluss defilieren. So ist Brandenburg? Nicht immer, in diesem Falle aber leider schon.

Zwei Frauen stoßen mit Plastikbechern an

Autokino in Brandenburg, bald auch mit Abitur Foto: Paul Zinken/dpa

Coronahalber kaum was erreicht in diesem Schulhalbjahr – und trotzdem beginnen Ende kommender Woche in meinem ostdeutschen Flächenland die Ferien. Klar. Und wie es sich für ein Land der weiten Wege gehört, gibt es für den aktuellen Coronajahrgang die Abizeugnisse auf ortsüblich angepasste Weise. An diesem Freitag sind die AbiturientInnen des Gymnasiums meiner kleinen Kleinstadt eingeladen, sich mit ihre Familie ins Auto zu setzen und das in einer früheren NVA-Kaserne gelegene TÜV-Gelände anzusteuern.

Um einen Ersatz für die üblicherweise in der Schulaula stattfindende festliche Zeugnisübergabe zu schaffen, hat sich die Direktorin eine regional einzigartige Lösung einfallen lassen: eine Autoparty. Sie nennt es „Drive-in“. Ihr Plan sieht vor, dass jede Familie einzeln vortuckert. Die jeweilige AbirutientIn empfängt durch das Beifahrerfenster ihr Reifezeugnis. Anschließend entsteigt sie dem Gefährt, nimmt kurz für ein Foto Aufstellung – und hopp!, schnell wieder weg in die Weiten Brandenburgs.

Urbanen BeobachterInnen mag dies logisch erscheinen. Bauernabitur auf Bauernart eben. Nun ist es aber so, dass auch in meinem Flächenland Menschen kein Auto haben. Dass sie Fahrrad, Bus und Bahn fahren. Manche, weil sie sich schlicht kein Auto leisten können; manche, weil sie es ablehnen, noch einen weiteren Verbrenner durch die Mark zu jagen. Entsprechend unwirsch fallen manche Reaktionen aus. Da ist von „Autokino“ die Rede, von Benachteiligung einzelner. Und auch mir erscheint es relativ gewagt, vorauszusetzen, dass jede SchülerIn einer Autofahrerfamilie angehört. Ja, das öffentliche Nahverkehrsnetz ist löchrig, aber nicht jedeR Brandenburger findet es richtig, dem eigenen Kind so früh wie möglich den Führerschein zu finanzieren. Immer mehr junge ProvinzlerInnen haben schlicht keinen Bock mehr aufs Autofahren.

Während ich darüber nachgrübele, ob so ein bisschen Gehupe im Zeugnisstau nicht das kleinere Übel ist angesichts der sonst laufenden Bälle mit Turmfrisuren, Bro-Getue und Stretchlimousinen, fällt mir noch etwas weiteres ein. Bei der autobegeisterten Direktorin nämlich handelt es sich um exakt jene, die im letzten Schuljahr kreisweit wegen ihres erbitterten Widerstands gegen Fridays for Future von sich reden gemacht hat. SchülerInnen, die freitags fürs Klima demonstrierten, bekamen eine Sechs ins Klassenbuch. Und im Schulgebäude war es ausdrücklich verboten, für FFF zu plakatieren. Wenn SchülerInnen oder Eltern das hinterfragten, erklärte die Direktorin, sie sei gezwungen, die Missachtung der Schulpflicht konsequent zu ahnden. Deutsches Beamtentum in seiner reinsten Form.

Eben diese Lady nun hält es also für ein gutes Kontrastprogramm, ihre FFF-SchülerInnen nach deren Abgang noch ein mal ganz persönlich per Autokorso vorbeituckern zu lassen. Im Grunde clever, wenn es nicht so dermaßen durchschaubar wäre.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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