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Umgang mit dem RechtsruckLinke Hausaufgaben

Gastkommentar von Wolfgang Müller

Es klingt nur scheinbar paradox, ist aber dennoch wahr: Der politische und gesellschaftliche Kampf gegen rechts wird links entschieden.

Für manchen ist die Sonnenblume, Parteisymbol der Grünen, ein wahres Feindbild Foto: dpa

S teuern wir auf ein neues autoritäres Zeitalter zu? Schon vor Jahren fühlten sich manche Historiker an die 1930er Jahre erinnert, als ebenfalls fast überall in Europa rechte Parteien erstarkten. Damals, immerhin, blieb Roosevelt-Amerika stabil. Heute erscheinen gerade die USA, mit ihrer aus dem Ruder gelaufenen Rechten, als größter Risikofaktor. Gleichzeitig blicken manche inzwischen interessiert gen Asien. Selbst Leute, die man eher als linksgestrickte Freigeister kannte, sprechen auffallend nachsichtig über autokratische Modelle. China natürlich nicht, aber eine mildere Variante à la Singapur … Augenzwinkern: Diese endlosen Debatten wie bei uns gibt es dort jedenfalls nicht.

„Wehret den Anfängen!“, ruft es an dieser Stelle aus dem Hintergrund. Und auch sonst begegnet einem vermeintlich Altbewährtes: präsidiale Mahnworte, Aufrufe zur Demokratie-Erziehung, Abgrenzungsrituale, ein verdoppeltes „gegen“. Alles zweifellos richtig. Viel wirksamer aber, behaupte ich, wäre etwas, das auf der „eigenen“ Seite zu schaffen wäre: eine intelligente, politisch robuste Linke.

Gerade da stehen sich aber viele linke Milieus mit ihrer Neigung zur Übermoralisierung selbst im Weg. Diese führt (siehe die exzessive Correctness-Kultur in den USA) nicht zu mehr Moralität, sondern begünstigt – in einer finsteren Dialektik – den Durchmarsch der Amoralität eines Trump. Und sie führt zu Abwehrreflexen einer stillen, eher unpolitischen Mehrheit, die sich aus diesen Diskursen (trotz deren ständiger Inklusions­rhetorik) ausgeschlossen fühlt. Viele, da hat der Philosoph Julian Nida-Rümelin recht, haben „diese belehrende Kultur der Gebildeten“ satt.

Zu gewinnen wären diese vielen hingegen mit einer überzeugenden Verbindung aus Werteorientierung und Realismus, einer Art humaner Realpolitik. Wie die aussehen könnte, müsste je nach Thema ausbuchstabiert werden, von klassischen politischen Feldern wie der Sozialpolitik bis zu empörungsintensiven kulturellen Themen: gendergerechte Sprache, Antirassismus. Aber selbst dort ließen sich versuchsweise gewisse Linien oder Kipppunkte identifizieren.

Wolfgang Müller

war bis 2020 Redakteur beim NDR. Philo­sophie und Kulturgeschichte sind seine Herzens­themen. Zuletzt erschien: „Zumutung Anthroposophie. Rudolf Steiners Bedeutung für die Gegenwart“.

Wolfgang Müller

war bis 2020 Redakteur beim NDR. Philo­sophie und Kulturgeschichte sind seine Herzens­themen. Zuletzt erschien: „Zumutung Anthroposophie. Rudolf Steiners Bedeutung für die Gegenwart“.

Dass beispielsweise die aktive Verwendung des verletzenden N-Wortes indiskutabel ist, fände zweifellos überwältigende Zustimmung; Unbelehrbare stünden rasch allein. Und auch für subtilere Formen der Diskriminierung sind die meisten Menschen sehr wohl sensibilisierbar. Wird die Sache dagegen überdreht, etwa durch einen sprachlichen Exorzismus, der auch in ältere Texte eingreift, schlägt das Ganze um. Dann werden viele, die bis dahin durchaus erreichbar waren, einen ähnlich überdrehten Kontra-Affekt entwickeln und das ganze Thema genervt abwehren. Jene Unbelehrbaren wiederum reiben sich die Hände: Eben noch als verbohrte Minorität wahrgenommen, können sie sich jetzt als Kämpfer fürs Mehrheitsempfinden aufspielen. Von dieser politischen Mechanik profitiert allein die Rechte. Ein bisschen traurig, ihr wieder und wieder unfreiwillig zuzuarbeiten.

Vergleichbares ließe sich auf praktisch jedem anderen Feld durchdeklinieren. Entscheidend ist auch gar nicht, wie das Ergebnis dabei im Einzelnen aussieht (vielleicht ja anders als eben angedeutet), entscheidend ist ein beweglicher Diskurs, der sich wachen Auges seinen Weg zwischen Idealen und trägen Wirklichkeiten sucht.

Wird dieser Weg nicht fast immer in einer lauen „Mitte“ münden, kaum eine Handbreit vom Mainstream entfernt? Mag sein. Genau damit aber kommt die eigentliche Aufgabe in den Blick. Denn diese Mitte ist, historisch gesehen, ein bewegliches Ding. Wer vor zweihundert Jahren das forderte, was heute demokratischer Standard ist, galt als gefährlicher Extremist. Der Inhalt dessen, was konsensfähig und durchsetzungsfähig ist, die „Mitte“, lässt sich also verschieben. Radikale, in aller Schärfe vertretene Positionen sind in diesem Prozess überaus wichtig; sie leuchten gleichsam den inhaltlichen Kosmos aus. Nur müssen auch sie letztlich durch die Mühle der öffentlichen Meinungsbildung gehen. Das ist die berühmte „Überzeugungsarbeit“. Aus ihr gehen neue Mehrheiten hervor oder auch nicht. Das nennt sich Demokratie. Alles andere, so progressiv es sich gebärden mag, ist auf verdeckte Weise autoritär.

Werden diese Zusammenhänge nicht verstanden, werden die richtigsten Impulse ins Leere laufen. Eine Politik, die als weltfremd und bevormundend erlebt wird, ist, gerade in einer Demokratie, chancenlos; schlimmer noch, sie diskreditiert auch den Teil der Anliegen, der berechtigt ist und, anders angegangen, sogar mehrheitsfähig wäre.

Es gibt, gerade auf der politischen Linken, einen Bedarf an Bescheidenheit

Kurz: Mehr als Brandreden gegen rechts zählt die eigene politische Performance. Der viel beschworene Kampf gegen rechts wird links gewonnen – oder verloren.

Es gibt, gerade auf der politischen Linken, einen Bedarf an Bescheidenheit. Aus inhaltlichen und nicht zuletzt aus taktischen Gründen. Denn gerade dort, wo – zu Recht – höhere Ansprüche und politische Ziele formuliert werden, ist die Fallhöhe entsprechend groß. Es ist kein Zufall, dass jene Kultur der Häme, die die letzten Winkel des Internets flutet, gerade die politische Linke als ihr Lieblingsobjekt entdeckt hat. Nie ist das Triumphgeheul größer, als wenn sich auch dort persönliche Inkonsequenzen und politische Fehlleistungen finden lassen.

Die Antwort darauf erfordert keine heiligengleiche politische Praxis, aber doch eine Korrektur im Selbstverständnis. Statt der unterschwelligen Suggestion, man habe die richtigen Anschauungen abonniert und die Humanität gepachtet, ginge es um die kühlere Ansage: Unsere Politik ist, alles in allem, etwas humaner. Das wäre schon ziemlich viel. Heißt das, die politische Linke ist, wenn sie in ihren Selbstblockaden steckenbleibt, mitverantwortlich für den Aufstieg der Rechten? Ja. Selbstgerechte, eindimensionale Moralität ist zu wenig.

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9 Kommentare

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  • Also a) der Rechtsruck ist nicht einfach in den Köpfen gewachsen sondern wird über Lobby und Medienlandschaft von Milliardären finanziert. Das ist nicht einfach als "ach ja da ist es ja" aufgetaucht. Da steht global massiv viel Kapital hinter. Das haben linke Projekte einfach nicht, denn sie sind idR nicht mit Kapitalismus vereinbar. Faschismus eben schon, da er Arbeiterrechte und Menschenrechte immer untergräbt.

    b) Die Kulturkampfthemen werden gar nicht von Linken ständig wieder aufgetischt, sondern von Rechten, die dann fröhlich Schattengefechte damit durchinszenieren. Darauf nicht reagieren geht halt leider auch nicht, weil die betroffenen Minoritäten wegen dem Mist dann sehr wohl angegriffen werden, was Linken nicht egal sein kann. Das ist ein double bind. Für die Opfer ist es nämlich nicht theoretisch und einfach zu ignorieren.

    Sich auf den Standpunkt zu stellen "sind halt die Linken auch irgendwie wieder schuld und jetzt löst das mal" finde ich schon sehr interessant, speziell wenn dabei auch noch die klassische Ultrarechtsrhetorik von "linke arrogante Intellektuelle und Moralapostel" aufgegriffen wird, als hätte das etwas mit der Realität zu tun. PC Culture in den USA ist übrigens einfach der Vorläufer von woke. Es wurde sinnentleert und dient ausschließlich dazu, Linke und Minoritäten mundtot zu machen. Menschenrechte sind mitnichten weltfremd oder unwichtig. Das ohne Kontext als Fakt und Grund zu präsentieren ist armselig.

    Uns fehlt tatsächlich eine starke linke Partei, die sich nicht intern zerlegt und effektiv Sozialpolitik betreibt. Das stimmt. Die Argumentation in diesem Artikel finde ich aber mehr als fragwürdig.

  • Guter ehrlicher Text fast ohne moralische Überheblichkeit - nur wenn wir uns nur "strategisch" der Mitte nähern, bleiben wir im Herzen arrogant. Wir müssen uns für die anderen Menschen interessieren, sonst sind wir nicht besser als die Neolieberalen á la Lindner

  • Guter Artikel.



    Nur ist ein wichtiger Punkt, dass die rechten den Diskurs von vornherein mitbestimmen und die unpopuläreren Themen nutzen um die Linke zu diffamieren, die Linke ist auch die *Gender-Partei, weil die Rechte sie darauf reduziert. Vielleicht braucht es einfach mehr substantielle aber kurze Kritik an rechts.

  • Nur woher soll sie kommen diese politische Linke die nicht nur stark ist, sondern auch analytisch und strategisch so ganz anders aufgestellt ist als sie es nun einmal ist? Es gibt sie eben derzeit nicht und damit ist dieser Vorschlag ähnlich konstruktiv wie die bayerischen Ideen man könne den Klimawandel doch ganz einfach per Umstieg auf Kernfusion bekämpfen.

    • @Ingo Bernable:

      Es ist das wissen und das soziale allgemein, was stärker werden muss.



      Die unfähigkeit das zu erkennen und den ungenauen begriff links zu nutzen, zeugt von der unwissenheit die wir alle immer noch haben.

      Worum es geht, ist den leuten genau zu zeigen, wie der soziale raum aussieht und wie man da am besten manövriert.

      so ist es ganz wichtig, gewisse manöver die ganz natürlich sind, ausbeutungsmanöver, von vornherein als solche auszumachen und zu minimieren.

      dieser kulturkampf ist uralt und wird letztlich von allen geführt. doch nur, wenn sie eben wissen, können sie auch effizient handeln!

      Und so gilt was Dutschke gesagt hat, letzten endes kann eine demokratie nicht funktionieren, wenn sie nur von einer minderheit geführt wird. Die masse muss aufgeklärt werden und verstehen was sie für entscheidungen treffen muss, um das soziale potential zu etablieren!!!



      Das ist ein uralter und laaaanger kampf!!!!

      und die linken, müssen verstehen, das es ihre aufgabe, ja aller sozialer und demokratischer gemeinschaftsmitglieder ist, die massen eben aufzuklären, damit alle ausreichend sozial werden können!



      Die linke, also die soziale ngibt es imer, die frage ist nur, wie stark ist es gerade im verhältniss zu den asozialen. das ist immer schwer zu rkenen ,weil wir eben ioch enorm blid sind. deswegen ist es eben auch so wichtig, weiter zu lernen und die wahrheit zu verkünden, damit wir endlich genau sehen, wo wir stehen und was wir für möglichkeiten haben.

      eine davon ist definitv:



      WISSENSCHAFT SEXY ZU MACHEN ;)

    • @Ingo Bernable:

      Das war auch mein erster Gedanke: welche Linke?

      Die Partei dieses Namens zerlegt sich seit Jahren und ist dadurch komplett unglaubwürdig geworden.

      Die Grünen stehen ja gerade für dieses ganze Moralinsaure und die SPD, na ja, das ist eben die SPD.

      Die FDP, die ehrlichste aller Parteien, bedient zuverlässig ihre Klientel.

      Und die außerparlamentarische Linke feiert entweder den antizionistischen Wahn oder ist identitätspolitisch unterwegs oder beides und alle miteinander sind seit Jahren marginalisiert.

      Und die Antifa? Welche Antifa?

      • @Jim Hawkins:

        Na ja, zynisch und pauschalisierend („antizionistischer Wahn“ „Identitätspolitisch unterwegs“ etc.) am Rande stehen und entsprechend zu kommentieren ist nun auch nicht gerade der Bringer.



        Hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet Sie sich so leicht den gesellschaftlichen „Realitäten“ ergeben.

        • @Abdurchdiemitte:

          Wenn Sie Beispiele für andere Ansätze haben, her damit.

          Nur ein Beispiel: Die größte linke Schrägstrich linksradikale Demo in Deutschland, der 1.Mai in Berlin wird seit ein paar Jahren unhinterfragt und unwidersprochen von Antizionisten, bzw. Antisemiten angeführt.

          Bizarres Highlight: Die "Queers for a free palestine", die in Gaza keinen Meter weit demonstrieren könnten, sondern geschlagen, verhaftet und gefoltert würden.

          Verrückte Welt.

          Und auf der anderen Seite, eine Nazi-Partei, die auf die 25 Prozent zu marschiert.

  • Klingt plausibel -- ist aber m.E. nur Schattenfechten.

    Das Problem sehe ich eher in der neoliberalen Atomisierung. Solidarität wird zum Luxus. Da müssen wir ansetzen.