Umgang mit dem Rechtsruck: Linke Hausaufgaben
Es klingt nur scheinbar paradox, ist aber dennoch wahr: Der politische und gesellschaftliche Kampf gegen rechts wird links entschieden.
S teuern wir auf ein neues autoritäres Zeitalter zu? Schon vor Jahren fühlten sich manche Historiker an die 1930er Jahre erinnert, als ebenfalls fast überall in Europa rechte Parteien erstarkten. Damals, immerhin, blieb Roosevelt-Amerika stabil. Heute erscheinen gerade die USA, mit ihrer aus dem Ruder gelaufenen Rechten, als größter Risikofaktor. Gleichzeitig blicken manche inzwischen interessiert gen Asien. Selbst Leute, die man eher als linksgestrickte Freigeister kannte, sprechen auffallend nachsichtig über autokratische Modelle. China natürlich nicht, aber eine mildere Variante à la Singapur … Augenzwinkern: Diese endlosen Debatten wie bei uns gibt es dort jedenfalls nicht.
„Wehret den Anfängen!“, ruft es an dieser Stelle aus dem Hintergrund. Und auch sonst begegnet einem vermeintlich Altbewährtes: präsidiale Mahnworte, Aufrufe zur Demokratie-Erziehung, Abgrenzungsrituale, ein verdoppeltes „gegen“. Alles zweifellos richtig. Viel wirksamer aber, behaupte ich, wäre etwas, das auf der „eigenen“ Seite zu schaffen wäre: eine intelligente, politisch robuste Linke.
Gerade da stehen sich aber viele linke Milieus mit ihrer Neigung zur Übermoralisierung selbst im Weg. Diese führt (siehe die exzessive Correctness-Kultur in den USA) nicht zu mehr Moralität, sondern begünstigt – in einer finsteren Dialektik – den Durchmarsch der Amoralität eines Trump. Und sie führt zu Abwehrreflexen einer stillen, eher unpolitischen Mehrheit, die sich aus diesen Diskursen (trotz deren ständiger Inklusionsrhetorik) ausgeschlossen fühlt. Viele, da hat der Philosoph Julian Nida-Rümelin recht, haben „diese belehrende Kultur der Gebildeten“ satt.
Zu gewinnen wären diese vielen hingegen mit einer überzeugenden Verbindung aus Werteorientierung und Realismus, einer Art humaner Realpolitik. Wie die aussehen könnte, müsste je nach Thema ausbuchstabiert werden, von klassischen politischen Feldern wie der Sozialpolitik bis zu empörungsintensiven kulturellen Themen: gendergerechte Sprache, Antirassismus. Aber selbst dort ließen sich versuchsweise gewisse Linien oder Kipppunkte identifizieren.
Wolfgang Müller
war bis 2020 Redakteur beim NDR. Philosophie und Kulturgeschichte sind seine Herzensthemen. Zuletzt erschien: „Zumutung Anthroposophie. Rudolf Steiners Bedeutung für die Gegenwart“.
Dass beispielsweise die aktive Verwendung des verletzenden N-Wortes indiskutabel ist, fände zweifellos überwältigende Zustimmung; Unbelehrbare stünden rasch allein. Und auch für subtilere Formen der Diskriminierung sind die meisten Menschen sehr wohl sensibilisierbar. Wird die Sache dagegen überdreht, etwa durch einen sprachlichen Exorzismus, der auch in ältere Texte eingreift, schlägt das Ganze um. Dann werden viele, die bis dahin durchaus erreichbar waren, einen ähnlich überdrehten Kontra-Affekt entwickeln und das ganze Thema genervt abwehren. Jene Unbelehrbaren wiederum reiben sich die Hände: Eben noch als verbohrte Minorität wahrgenommen, können sie sich jetzt als Kämpfer fürs Mehrheitsempfinden aufspielen. Von dieser politischen Mechanik profitiert allein die Rechte. Ein bisschen traurig, ihr wieder und wieder unfreiwillig zuzuarbeiten.
Vergleichbares ließe sich auf praktisch jedem anderen Feld durchdeklinieren. Entscheidend ist auch gar nicht, wie das Ergebnis dabei im Einzelnen aussieht (vielleicht ja anders als eben angedeutet), entscheidend ist ein beweglicher Diskurs, der sich wachen Auges seinen Weg zwischen Idealen und trägen Wirklichkeiten sucht.
Wird dieser Weg nicht fast immer in einer lauen „Mitte“ münden, kaum eine Handbreit vom Mainstream entfernt? Mag sein. Genau damit aber kommt die eigentliche Aufgabe in den Blick. Denn diese Mitte ist, historisch gesehen, ein bewegliches Ding. Wer vor zweihundert Jahren das forderte, was heute demokratischer Standard ist, galt als gefährlicher Extremist. Der Inhalt dessen, was konsensfähig und durchsetzungsfähig ist, die „Mitte“, lässt sich also verschieben. Radikale, in aller Schärfe vertretene Positionen sind in diesem Prozess überaus wichtig; sie leuchten gleichsam den inhaltlichen Kosmos aus. Nur müssen auch sie letztlich durch die Mühle der öffentlichen Meinungsbildung gehen. Das ist die berühmte „Überzeugungsarbeit“. Aus ihr gehen neue Mehrheiten hervor oder auch nicht. Das nennt sich Demokratie. Alles andere, so progressiv es sich gebärden mag, ist auf verdeckte Weise autoritär.
Werden diese Zusammenhänge nicht verstanden, werden die richtigsten Impulse ins Leere laufen. Eine Politik, die als weltfremd und bevormundend erlebt wird, ist, gerade in einer Demokratie, chancenlos; schlimmer noch, sie diskreditiert auch den Teil der Anliegen, der berechtigt ist und, anders angegangen, sogar mehrheitsfähig wäre.
Kurz: Mehr als Brandreden gegen rechts zählt die eigene politische Performance. Der viel beschworene Kampf gegen rechts wird links gewonnen – oder verloren.
Es gibt, gerade auf der politischen Linken, einen Bedarf an Bescheidenheit. Aus inhaltlichen und nicht zuletzt aus taktischen Gründen. Denn gerade dort, wo – zu Recht – höhere Ansprüche und politische Ziele formuliert werden, ist die Fallhöhe entsprechend groß. Es ist kein Zufall, dass jene Kultur der Häme, die die letzten Winkel des Internets flutet, gerade die politische Linke als ihr Lieblingsobjekt entdeckt hat. Nie ist das Triumphgeheul größer, als wenn sich auch dort persönliche Inkonsequenzen und politische Fehlleistungen finden lassen.
Die Antwort darauf erfordert keine heiligengleiche politische Praxis, aber doch eine Korrektur im Selbstverständnis. Statt der unterschwelligen Suggestion, man habe die richtigen Anschauungen abonniert und die Humanität gepachtet, ginge es um die kühlere Ansage: Unsere Politik ist, alles in allem, etwas humaner. Das wäre schon ziemlich viel. Heißt das, die politische Linke ist, wenn sie in ihren Selbstblockaden steckenbleibt, mitverantwortlich für den Aufstieg der Rechten? Ja. Selbstgerechte, eindimensionale Moralität ist zu wenig.
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