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Umgang mit SexarbeitZwischen Stigmatisierung und Schutz

Sexkauf soll bestraft werden, findet die Unionsfraktion. Vor dem Familienausschuss wird Kritik an dieser Forderung laut.

Eine Leuchtreklame in einem Wohnwagen auf dem Straßenstrich am Kirmesplatz in Essen Foto: Kerstin Kokoska/imago

Berlin taz | Eine Aktivistin verteilt Herzsticker, bevor der Familienausschuss des Bundestags am Montagnachmittag Sachverständige zum Thema Sexkaufverbot anhört. Die Frau mit Glitzertop und Plüschhandtasche, selbst Sexarbeiterin, reicht sie den Wartenden vor dem Paul-Löbe-Haus. Sie wirbt dafür, Sexarbeit zu ent­stigmatisieren. Neben ihr steht eine Frau vom Verein Sisters, der Prostituierte beim Ausstieg unterstützt.

Dann beginnt die Anhörung der von den Fraktionen geladenen Sachverständigen. „Jede Kollegin sieht und empfindet ihren Job ganz anders“, sagt Johanna Weber, Sprecherin des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen. In ihrer Rolle müsse sie ihre eigene Wahrnehmung hinten anstellen und zuhören. „Das sollte auch die Basis der Arbeit im Bundestag sein, gerade bei einem so emotionalen Thema.“

Dass das Sexkaufverbot im Ausschuss überhaupt Thema ist, liegt an einem Antrag der Unionsfraktion. Dieser prangert die Armuts- und Elendsprostitution an und fordert unter dem Motto „Sexkauf bestrafen“ einen Paradigmenwechsel nach dem Vorbild des „nordischen Modells“: Dieses sieht eine Strafbarkeit von Freiern vor, während gleichzeitig mehr Geld in Ausstiegsprogramme investiert wird.

Weiter ins Dunkelfeld

Huschke Mau, Gründerin des Netzwerks Ella, unterstützt den Vorstoß. „Wenn wir Sexkauf verbieten, gibt es weniger Freier. Und wenn es weniger Nachfrage gibt, gibt es auch weniger Angebot“, sagt sie. Als junge Frau ist Mau selbst in die Zwangsprostitution und Drogenabhängigkeit geraten. „Wir reden über Sexkauf, aber es geht eigentlich um Gewalt“, sagt sie. So argumentiert auch die Traumatherapeutin Brigitte Schmid-Hagenmeyer: „Gewalt ist in der Prostitution inhärent.“ Sexuelle Handlungen gegen Geld schädigten eine Person oft psychisch und körperlich.

Die Vermischung von Zwangsprostitution mit der freigewählten Sexarbeit kritisiert Stefanie Kohlmorgen vom Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiter:innen: „Es wird von Armut und Not gesprochen. Dann müssen wir diese Probleme angehen und nicht die Sexarbeit.“ Mit dem nordischen Modell würden Sex­ar­bei­te­r:in­nen nur noch weiter stigmatisiert. Die Sachverständige von der Gewerkschaft der Polizei befürchtet, Sexarbeit werde so weiter ins Dunkelfeld verschoben.

Die Anhörung sei trotz der unterschiedlichen Ansichten „differenziert, konstruktiv, sachlich“ gewesen, bilanziert Ariane Fäscher (SPD). Anders als die Union wolle ihre Partei jedoch den Weg mit dem Prostituiertenschutzgesetz weitergehen. Dieses 2017 eingeführte und schon damals umstrittene Gesetz wird derzeit evaluiert.

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6 Kommentare

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  • Eine der schwierigsten politischen Fragen, bei der ich tatsächlich unentschieden bin. Befürworter*innen und Kritiker*innen des Sexkaufverbots haben empirische Belege und nachvollziehbare ethische Argumente, die praktischen (Un)Möglichkeiten stellen eine weitere bedenkenswerte Ebene dar. Viele Hoffnungen, die mit dem Prostituiertenschutzgesetz verbunden waren, haben sich nicht erfüllt, was aber nicht heißt, dass Nachsteuern nichts bringt. Andererseits lässt die Medienberichterstattung, die ich kenne, vermuten, dass es deutlich weniger emanzipierte, freiwillig Sexarbeitende gibt als von Gewalt und Elend in die Sexarbeit gezwungene Menschen.

  • Das eigentliche Problem ist doch die Zwangsprostitution, die in diesem Gewerbe ausserordendlich grosse Ausmasse erreicht hat. Dagegen wird fast nichts bis gar nichts unternommen, da ohne Aussage der Betroffenen laut Justiz nichts gegen die Menschenhändler unternommen werden kann.



    Anstatt hier anzusetzen (ist wohl ein zu grosses Geschäft oder warum wurde bis jetzt nichts in dieser Richtung getan?), soll jetzt ein Verbot das Problem beheben? Daran glaubt doch nicht wirklich jemand...

  • Typisch #Verbotspartei CDU / CSU

  • "Die Vermischung von Zwangsprostitution mit der freigewählten Sexarbeit..."

    Der Anteil der Menschen, die diese Tätigkeit wirklich frei, eigenständig und ohne Not wählen, oder die reinrutschen und sich dann frei, eigenständig und ohne Not für das Weitermachen entscheiden, ist verschwindend gering. Fast immer stehen Armut, schlechte Ausbildung, sozial schwache Herkunft, Missbrauchserfahrungen oder einfach ein schlechtes Umfeld dahinter. Kurzgesagt: so gut wie keine Frau mit gutem Abi, stabilem Elternhaus und festem Freund entscheidet sich, Prostituierte zu werden. Es mag ja die eine oder andere Studentin geben, die sich was dazuverdient, aber das ist dann fast immer spätestens zum Examen vorbei.

    Immer noch enden fast 80 Prozent aller Sexarbeiterinnen irgendwann in der Sozialhilfe.

    Ist es nicht gerade links, die kommerzielle Verwertung von Körpern bzw. körperlicher Nähe und Sexualität sowie dem Abrutschen in soziale Notlage verhindern zu wollen?

    • @Suryo:

      Vielleicht ist das ja keine dieser Fragen, die anhand von Links Rechts Schema zu klären sind. Letztendlich hat glaube ich keine Partei ein Interesse daran, dass Frauen als Prostituierte ausgebeutet werden. Gleichzeitig ist man sich keineswegs einig ob die Frauen durch ein Verbot schlechter oder besser geschützt werden. Lassen wir also dich die Polemik einfach zuhause, vergessen aber gleichzeitig nicht die Relevanz des Themas?

      • @wirklich?:

        Sie haben recht, aber von einigen, und das sind nun mal in erster Linie Politiker:innen von den Grünen, zum Teil auch von der SPD und der LINKEn, wird immer noch die Mär von der selbstbewussten, eigenständigen Sexarbeiterin, die den Job mit Freude erledigt, verbreitet.

        In Skandinavien ist der Kauf von Sex verboten, nicht jedoch die Prostitution an sich.

        Tatsache ist: Deutschland ist DAS Bordell Europas. Es ist Ziel von Sextouristen vom ganzen Kontinent. In kaum einem anderen Land ist das Gewerbe - und zwar GERADE unter dem Deckmantel der Regulierung - so liberalisiert, also letztlich unkontrolliert. Das liegt auch daran, dass sowohl Bordellbesitzer als auch die meisten Prostituierten selbst natürlich immer noch am liebsten am Finanzamt vorbei verdienen wollen und es auch tun und trotz aller Lippenbekenntnisse das meiste immer noch unreguliert stattfindet.

        Auf keinen Fall haben sich die Hoffnungen auf besseren Schutz und bessere Absicherung der Prostituierten erfüllt. Man muss das einfach mal ehrlich zugeben.

        Ansonsten: auch, wenn ich niemals CDU wählen würde, kann ich die Reden von Dorothee Bär im Bundestag zu diesem Thema sehr empfehlen. Da trifft Realität auf Kiezromantik.