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Umgang mit Palästina-ParoleWillkür und Rechtsunsicherheit

Hanno Fleckenstein
Kommentar von Hanno Fleckenstein

Weil ein Grundsatzurteil zum „From the River“-Slogan fehlt, kann die Berliner Polizei propalästinensische Demos quasi nach Belieben kriminalisieren.

Polizeigewalt bei „Internationalist Queer Pride“: Unter anderem sei die Parole „From the River to the Sea“ skandiert worden Foto: ZUMA Press Wire/imago

U nd wieder eine Schlappe für Polizei und Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Palästina-Protesten in Berlin: Am vergangenen Mittwoch weigerte sich das Amtsgericht Tiergarten erneut, eine Aktivistin wegen der Verwendung der umstrittenen Parole „From the River to the Sea, Palestine will be free“ zu verurteilen. Der Freispruch war bereits der zweite binnen weniger Wochen. Schon Ende Juni hatte das Gericht einen Studenten vom Vorwurf freigesprochen, durch den Spruch Hamas-Propaganda verbreitet zu haben.

Die beiden Entscheidungen zeigen: Das vom Bundesinnenministerium im November 2023 verhängte Verbot des Slogans als Kennzeichen der Terrororganisation ist rechtlich und inhaltlich nicht haltbar. Trotzdem sorgt es für Willkür und Rechtsunsicherheit auf Berlins Straßen.

Ein Paradebeispiel dafür lieferte die Solidaritätskundgebung für die Aktivistin am Mittwoch vor dem Gericht in Moabit. Teil­neh­me­r*in­nen skandierten die Parole und wurden prompt festgenommen, obwohl drinnen wenige Minuten zuvor der Freispruch verhängt worden war. Und erst vor einer Woche hatte die Polizei eine palästinasolidarische Pride-Demo aufgelöst – besser gesagt: zusammengeschlagen –, weil dort der Spruch zu hören oder zu lesen war.

Das Vorgehen von Polizei und Justiz folgt dabei einem altbekannten Muster: Demos werden mit strengen Auflagen belegt und die Be­am­t*in­nen angewiesen, bereits beim kleinsten Verstoß mit aller Härte reinzugehen. Dabei nimmt die pauschale Kriminalisierung des Slogans eine Schlüsselfunktion ein: Dessen Verwendung liefert den Be­am­t*in­nen wieder und wieder Anlässe, Versammlungen als vermeintlich antisemitisch und gewalttätig darzustellen und diese zu beenden.

Ein konstruiertes Verbot

Dabei war die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums von vornherein konstruiert – was sich nun in der Rechtsprechung äußert. Denn die Hamas verwendet den Slogan gar nicht vollständig, sondern nur die erste Hälfte, also die Gebietsbeschreibung. Es ist deshalb rechtlich mindestens zweifelhaft, ob die Übernahme des Halbsatzes „From the River to the Sea“ in der Charta der Terrororganisation ausreicht, um diesen als deren Kennzeichen zu erklären.

Zudem sind dadurch auch Abwandlungen der Parole vom Verbot getroffen – was absurde Folgen hat. Auch eine Forderung wie „From the River to the Sea, we demand equality“ („Vom Fluss bis zum Meer verlangen wir Gleichheit“) würde somit als Terrorpropaganda gelten.

Historische Forderung nach Gleichberechtigung

Doch auch inhaltlich ist die eindeutige Zuschreibung der Parole zur Hamas nicht haltbar. Sie wird bereits seit den 1960er Jahren von säkularen palästinensischen Na­tio­na­lis­t*in­nen verwendet, die einen demokratischen Staat mit Gleichberechtigung für alle Bür­ge­r*in­nen zwischen Mittelmeer und Jordan fordern. Auch linke jüdisch-israelische Gruppen machen ihn sich zu eigen. Und rechtsextreme israelische Politiker wandeln ihn ab, um ihren expansiven Gebietsanspruch zu untermauern.

Der ideologische Hintergrund ist folglich mehr als uneindeutig. Zu dieser Erkenntnis ist inzwischen sogar das Berliner Landeskriminalamt (LKA) in einem internen wissenschaftlichen Gutachten gekommen. Die Behörde widerspricht damit also dem Bundesinnenministerium und konterkariert auch das Vorgehen der Einsatzkräfte auf Berlins Straßen.

Das hat Folgen: Als das Gutachten im Juni vor Gericht eingebracht wurde, gab es direkt Freispruch. Die Richterin folgte der Argumentation der Sachverständigen und kritisierte die „Kriminalisierung von politischem Protest“. Ein bemerkenswertes Urteil, schließlich war noch im vergangenen November eine Frau wegen der Äußerung vom Landgericht verurteilt worden.

Ein fataler Schlingerkurs

Dieser Schlingerkurs ist für die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit in Berlin fatal. Was helfen würde, wäre höchstrichterliche Rechtsprechung – also wenn endlich ein Verfahren wegen der Verwendung von „From the River to the Sea“ vor dem Bundesgerichtshof oder dem Bundesverfassungsgericht landen und ein richtungsweisendes Urteil fallen würde.

Das steht derzeit aber nicht in Aussicht. Ein Anfang wäre deshalb schon getan, wenn Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft endlich von ihrer rigorosen Verfolgung vermeintlicher Aussagedelikte abrücken und legitime Proteste gegen einen mörderischen Krieg und das Aushungern von Zi­vi­lis­t*in­nen nicht mehr niederknüppeln würden.

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Hanno Fleckenstein
Redakteur taz.berlin
Redakteur für Innenpolitik im Berlinteil. Seit 2021 bei der taz, zuerst als freier Mitarbeiter und Text-Chef in den Ressorts Inland, Wirtschaft+Umwelt, Meinung und taz.eins. Hat Politikwissenschaft und Publizistik in Berlin und Maskat (Oman) studiert.
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1 Kommentar

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  • From the river……. Sorry, der Slogan ist eindeutig. Da ist für Israel kein Platz mehr