Umgang mit Lebensmitteln: Verwenden oder verschwenden?

Klar sollte man keine Lebensmittel wegwerfen. Aber so heilig, dass man nicht was anderes damit machen könnte, sind sie auch nicht.

Lebensmittelpackungen in einem Müllsack

Zu schade für die Tonne: abgelaufene Lebensmittel Foto: Marius Becker/dpa

Lebensmittel wegwerfen geht gar nicht – da sind sich alle einig. Aber wer wirft dann die über sechs Millionen Tonnen Lebensmittel jährlich in den deutschen Hausmüll? Meine Eltern mit Sicherheit nicht. Mein Vater hat mir eingebläut, dass Haltbarkeitsdaten bloß ein Marketingtrick sind und meine Mutter nagt bis heute eisern den öllerichsten Knust auf, bevor sie das frische Brot anschneidet.

Seit Willi ausgezogen ist, fehlt er mir in dieser und mancher anderen Hinsicht. Wenn Willi an Wochenenden zu Hause ist, sucht er als Erstes begeistert die Küche nach unseren angetrockneten Nudelresten ab.

Apropos Nudeln. Neulich erzählte mir eine Erzieherin, sie sei von einer Mutter der Lebensmittelverschwendung bezichtigt worden, weil sie in der Kita mit den Kindern Ketten aus Nudeln aufgefädelt hatte. „Essen ist kein Spielzeug!“ Ich wette, über ein Amazon-Produkt mit dem Titel „Penne, Kindergarten-Perlen-Mischung aus 100 Prozent Hartweizengrieß für 12,99 Euro“ oder über Plastikperlen hätte sich niemand aufgeregt.

Ich habe kürzlich ein Bilderbuch gemacht, welches von einer Kartoffel handelt und das ich – naheliegenderweise – mit Kartoffeldruck illustriert habe. Ich bin mir dabei sehr öko-woke vorgekommen. Eine Technik mit günstigem, natürlich nachwachsendem und 100 Prozent kompostierbarem Rohstoff. Gerade bekam ich aber Post von den Veranstaltern eines Workshops. Sie wünschen, dass ich mit den Kindern statt der Kartoffeln lieber Kunststoffstempel verwende, von wegen Essensverschwendung.

Essen die Leute, die in der Kita wegen einer Handvoll Linsen in einer Klorollen-Rassel meckern, eigentlich die alten Schulbrote ihrer Kinder auf?

Aber ist verwenden gleichbedeutend mit verschwenden? Sind Granatapfel und Sheabutter, die vermeintlich in meiner Seife sind, auch verschwendete Lebensmittel? Niemals vorher hat es jemanden interessiert, mit was für Material ich mit den Kindern arbeite, ob giftige Lösungsmittel, synthetischer Binder oder vielleicht auch Nahrungsmittel wie Maisstärke drin sind. Aber eine einfache Kartoffel zum Stempeln ist: böse.

Essen die Leute, die in der Kita wegen einer Handvoll Linsen in einer Klorollen-Rassel meckern, eigentlich die alten Schulbrote ihrer Kinder auf? Oder wollen sie – eben, weil sie es nicht tun – ihr Gewissen beruhigen, indem sie anderswo herummoralisieren? Was Kinder lernen sollten, ist doch der respektvolle Umgang mit Lebensmitteln – und mit etwas „zu spielen“ schließt Respekt nicht aus. Solange wir es am Ende aufgegessen haben, durften wir früher zu Hause immer auf dem Teller Straßen ins Kartoffelmus bauen.

Mein Mann wurde im Zusammenhang mit Essen strenger sozialisiert als ich. Der Clan seines Vaters hatte nicht nur wie meine Eltern Erinnerungen an den Nachkriegshunger, sondern auch an Flucht. Bei meiner ersten Einladung auf Tante Lottis Geburtstag vor 25 Jahren, wurde ich von einem älteren Cousin in der Küche zur Seite genommen und in eine überlebenswichtige Grundregel eingewiesen.

Er zeigte auf eine Frikadelle, in der Erbsen zu sehen waren. Er schärfte mir ein, immer darauf zu achten, ob etwas im Essen sei, was nicht hineingehörte, so wie in diesem Falle die Erbsen. Die mussten wahrscheinlich dringend weg. Und was dringend weg musste, galt als ungenießbar für jeden, der keinen Ostpreußischen Magen-Darm-Trakt besaß.

Tante Lotti lebt leider nicht mehr – und sie ist nicht etwa an Lebensmittelvergiftung gestorben. Ich vermisse sie sehr, sie war so wunderbar pragmatisch. Niemals hätte sie so viel Gewese um die Sache gemacht wie ich hier. Sie hätte die Stempel-Kartoffeln später abgewaschen und mit allem anderen, was weg musste, als Zusammengejagtes verkocht. Ich tue das übrigens auch. Ich werfe sogar noch den harten Knust mit rein. Ich muss dann nur noch aufpassen, dass Willi das Ganze nicht verspeist, denn das ist für die Hühner.

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Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de

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