Umgang mit Clankriminalität: Führerscheinentzug soll helfen
Niedersachsen arbeitet seit Jahren an einer Strategie gegen sogenannte Clankriminalität. Die neuste Idee: Luxuskarren und Führerscheine einkassieren.
Damit skizziert er schon ein wesentliches Problem dieses Kriminalitätsbereiches. Ein weiteres liegt darin, überhaupt sauber zu definieren, was Clankriminalität ist. Daran arbeitet Niedersachsen schon seit fast acht Jahren.
Im vergangenen Jahr präsentierte der Innenminister zum ersten Mal öffentlich ein Lagebild, in diesem Jahr sitzt auch Justizministerin Barbara Havliza (CDU) mit am Tisch, um die Bemühungen der seit einem Jahr bestehenden Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften in Braunschweig, Hildesheim, Osnabrück und Stade zu präsentieren.
Die aktuelle Definition von Clankriminalität umfasst verschiedene Merkmale: Da ist von einem „überhöhten familiären Ehrbegriff“ die Rede und von einem eigenen Werte- und Normensystem, das über dem Gesetz und über der Verfassung steht; auch von einem hohen Maß an Gewaltbereitschaft verbunden mit einem ebenso hohen Mobilisierungspotenzial, das oft auch bei nichtigen Anlässen eingesetzt wird, die dann im öffentlichen Raum zu Tumultlagen eskalieren.
Von innerer Abschottung, einer Ablehnung des Rechtsstaates, einer Parallelgesellschaft und einer Paralleljustiz ist ebenfalls die Rede. Nun sind dies alles Dinge, die man ohne Weiteres auch Rockergangs unterstellen könnte.
Mehr als eine Spielart der Organisierten Kriminalität
Aber natürlich kommt bei den sogenannten Clans ein weiterer Punkt hinzu: „die durch verwandtschaftliche Beziehungen und eine gemeinsame ethnische Herkunft verbundene Gruppe“. Damit ist in der Regel allerdings nicht die russische oder calabresische Mafia gemeint, sondern Großfamilien aus dem Nahen Osten oder den Balkanstaaten.
An dieser sehr speziellen Ethnisierung des Konfliktes hat es immer wieder Kritik gegeben. Auf die reagiert Boris Pistorius indirekt, wenn er in der Pressekonferenz immer wieder versichert, nicht jede Großfamilie sei ein Clan und kriminell, man nehme nicht einfach nur bestimmte Nachnamen ins Visier, sondern versuche sehr genau, Taten den Täter zuzuordnen und Strukturen im Blick zu behalten.
Gleichzeitig betont er, dass es eben nicht bloß um eine spezielle Spielart der Organisierten Kriminalität gehe. Die effektive Bekämpfung von Clankriminalität erfordere ein sehr viel früheres und niedrigschwelligeres Eingreifen.
So gehen viele der Einsätze, die für öffentliches Aufsehen sorgen, weil sie zu Tumulten und Massenschlägereien auf offener Straße eskalierten, auf simple Ansprachen wegen Ordnungswidrigkeiten oder Verkehrskontrollen zurück. Auch die Bedrohungen gegenüber Polizisten, anderen Staatsbediensteten oder lästigen Nachbarn bewegen sich oft knapp unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit.
Diese öffentlichen Provokationen sind ein wesentlicher Grund für die Gegenoffensive, das machen die drei Herren und eine Dame auf dem Podium immer wieder deutlich. „Wer unsere Gesetze ignoriert, muss mit einer entsprechenden Reaktion rechnen“, sagt Boris Pistorius (SPD).
„Sie wollen den Eindruck erwecken, sie stünden über dem Recht. Das gefährdet das Vertrauen der rechtschaffenden Bevölkerung in unseren Rechtsstaat“, sagt Barbara Havliza (CDU). „Bei einigen kriminellen Clanangehörigen ist es wichtig, Stärke zu demonstrieren und unmissverständlich aufzuzeigen, wer das Sagen hat“, sagt Landespolizeipräsident Axel Brockmann.
Neue Formen der Zusammenarbeit
Für Polizei und Justiz ist das auch deshalb herausfordernd, weil es eine andere Zusammenschau und Zusammenarbeit erfordert – in einem Rechtssystem, das eigentlich darauf angelegt ist, sich an einzelnen Taten und einzelnen Tätern abzuarbeiten. Intensiviert hat man vor allem die Zusammenarbeit mit den Sozialbehörden, den Ausländerbehörden und dem Zoll.
Eine relativ neue Strategie ist dabei die verstärkte Zusammenarbeit mit Fahrerlaubnisbehörden. Die Einziehung von Vermögenswerten gilt seit ein paar Jahren als Königsweg, um Clans empfindlich zu treffen. Dafür werden eigens geschulte „Financial Intelligence Officer“ eingesetzt.
Dabei fielen den Behörden auch immer wieder Luxuswagen in die Hände, die als Statussymbol eine wesentliche Rolle spielen. Nun will man verstärkt dazu übergehen, Führerscheine zu entziehen. Das geht, wenn die „charakterliche Eignung“ für die Teilnahme am Straßenverkehr nachweislich nicht gegeben ist. Und möglicherweise löst sich mit dem Ende der öffentlichen Protzerei und Poserei ja auch ein Teil der „medialen Präsenz“ des Problems auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour