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Umgang mit AfD an SchulenStorch soll Abflug machen

Vor jeder Wahl müssen sich Schulen überlegen: Laden wir die AfD zu einer Podiumsdiskussion ein? An einem Berliner Gymnasium kam es zu Protesten.

Protest gegen Besuch von Beatrix von Storch am Hans-und-Hilde-Coppi-Gymnasium Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Auf dem kleinen Schulhof des Hans-und-Hilde-Coppi-Gymna­siums in Berlin ist was los an diesem Dienstagmittag: Die Schule hat die Berliner AfD-Politikerin Beatrix von Storch wie andere Di­rekt­kan­di­da­t:in­nen für eine Podiumsdiskussion eingeladen. Etwa 300 Menschen sind gekommen, um dagegen zu protestieren. Auch die Polizei fährt groß auf: insgesamt zwölf Mannschaftswagen sind um das Schulgelände in Position.

Neben den Schü­le­r:in­nen sind auch Eltern, Großeltern und Freun­d:in­nen gekommen, um gegen die Normalisierung der AfD zu protestieren – vor allem an einer Schule, deren Na­mens­ge­be­r:in­nen von den Nazis ermordet wurden. „Deshalb müssen wir gegen den Auftritt von von Storch protestieren“, ruft die Elftklässlerin Leni in die Menge.

Mit jeder Wahl stellt sich für Schulen aufs Neue die Frage: Wie umgehen mit der AfD? Die Ministerien machen hierzu keine Vorgaben. Sie begründen das mit dem in den Schulgesetzen festgeschriebenen Gleichheitsgebot. Solange die AfD nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten werde, könne die Partei nicht pauschal von Schulveranstaltungen ausgeschlossen werden, heißt es dazu beispielsweise aus Sachsen.

So sieht es auch der Berliner Senat. Auf taz-Anfrage teilt ein Sprecher mit: „Schulen sind im Rahmen ihres demokratischen Bildungsauftrags verpflichtet, den Schülerinnen und Schülern ein breites Spektrum politischer Standpunkte zu vermitteln, ohne eine Partei zu bevorzugen oder zu benachteiligen.“

Unsicherheit groß

Sabine Achour von der Freien Universität Berlin sieht darin ein bildungspolitisches Versagen: „Viele Schulen wünschen sich klare Vorgaben, wann sie die AfD zu Veranstaltungen einladen und wann nicht“, sagt die Politikwissenschaftlerin der taz. Aber anstatt hier juristisch wasserfeste Guidelines zu erarbeiten, drückten sich die Ministerien vor einer klaren Positionierung. Achour gehört zu denjenigen, die die AfD nicht zu Podiumsdiskussion an Schulen einladen würden. „Stellen Sie sich vor, Schü­le­r:in­nen begegnen Politiker:innen, die genau diese Jugendlichen 'remigrieren’ möchten.“ Für genau diese Schü­le­r:in­nen hätten die Schulen eine Fürsorgepflicht.

Wie es gelingen kann, mit solchen Situationen umzugehen, weiß der Kölner Lehrer für Sozialwissenschaften Ingo Arntz. Vor Europa- und Bundestagswahlen wurden an seiner Schule in der Vergangenheit schon mehrfach AfD-Abgeordnete eingeladen. Es brauche dabei aber klar kommunizierte Grenzen: „Bei menschenfeindlichen oder rassistischen Äußerungen kann jede Schule das Hausrecht geltend machen und das sofortige Verlassen der Schule veranlassen“, so Arntz. Um seine Schü­le­r:in­nen macht sich der Lehrer ohnehin nicht zu große Sorgen: Etwa die Hälfte habe Migra­tionshintergrund, viele Jugendliche an dem Gymnasium seien eher links eingestellt. „Da macht die AfD keinen Stich.“

Arntz könne zwar sehr gut nachvollziehen, dass Schü­le­r:in­nen und Lehrkräfte die AfD nicht an der Schule haben wollen. Trotzdem hält er unmittelbare Auseinandersetzung mit der AfD für wichtig – auch, damit sich die Partei nicht sofort in die Opferrolle begeben könne.

In diesem Jahr allerdings fällt die Podiumsdiskussion mit Par­tei­en­ver­tre­te­r:in­nen aus – wie schon vor der Europawahl im vergangenen Jahr. Das liegt an einem De-facto-Verbot für Wahlveranstaltungen an Schulen, das in Nordrhein-Westfalen wie in anderen Bundesländern in den letzten sechs Wochen vor der jeweiligen Wahl gilt. Im Januar erinnerte das Schulministerium von Dorothee Feller (CDU) in einem Schreiben daran, dass die 6-Wochen-Frist auch trotz der Kurzfristigkeit der anstehenden Bundestagswahlen gelte.

Kritik an 6-Wochen-Frist

Bei Lehrer Arntz stößt das auf Unverständnis. „In dieser Woche beispielsweise finden an unserer Schule U18-Wahlen statt, am Freitag zählen wir die Stimmen aus.“ Eine Podiumsdiskussion mit Di­rekt­kan­di­da­t:in­nen aus Köln wäre hier eine optimale Ergänzung gewesen. Er sehe „keinen rationalen Grund“ für die 6-Wochen-Frist. Eine Podiumsdiskussion zwei Monate vor der Wahl ergebe wenig Sinn: „Da gibt es in der Regel auch noch keine Wahlprogramme, mit denen sich die Schü­le­r:in­nen vorbereiten können.“

Das Ministerium in Düsseldorf verweist auf die Grundsätze schulischer Neutralität und Unparteilichkeit, die es kurz vor Wahlen besonders einzuhalten gelte – und stößt damit auf Kritik. Die oppositionelle FDP beispielsweise kritisiert, dass die politische Bildung so auf der Strecke bliebe – und politische Debatten noch stärker in die sozia­len Medien verlagert würden.

Mittlerweile hat das Ministerium offenbar seine Haltung überdacht. Auf taz-Anfrage betont ein Ministeriumssprecher, dass Schulen auch in den sechs Wochen vor der Wahl Podiumsdiskussionen veranstalten dürften, wenn sie dabei „besonders sensibel“ vorgehen und die „Chancengleichheit der Parteien“ wahrten. Für viele Schulen kommt diese Klarstellung zu spät – sie haben die geplanten Panels verworfen oder abgesagt.

Die Politikwissenschaftlerin Achour sieht in dem Hin und Her eine „Kapitulation“. Aus ihrer Sicht haben die Ministerien das Kontroversitätsgebot des Beutelsbacher Konsenses als Neutralitätsgebot komplett missverstanden. Der Konsens definiert Grundregeln der politischen Bildung. „In der Zeit vor Wahlen finden noch die meisten Angebote für politische Bildung an Schulen statt – da gehört die Konfrontation mit den Parteien und ihren Wahlversprechen doch unbedingt dazu“, sagt Achour.

Schü­le­r:in­nen ernst nehmen

Zudem wünschten sich viele Schü­le­r:in­nen solche Podiumsdiskussionen und übernähmen auch gerne die Organisation und Vorbereitung. Wenn dieses Interesse so von oben ausgebremst werde, sei das auch „eine Entmündigung“ der Jugendlichen. Achour appelliert seit Jahren an die Politik, die junge Generation ernster zu nehmen – und Schulen zu Orten gelebter Demokratie zu machen.

Wie wenig das auch an dem Berliner Coppi-Gymnasium der Fall war, berichten Schü­le­r:in­nen der taz: So habe es zwar eine Abstimmung darüber gegeben, ob von Storch zur Podiumsdiskussion erscheinen solle, erzählt der Elftklässler Kilian. Das Ergebnis hätten die Schü­le­r:in­nen jedoch nicht erfahren. „Die Abstimmung war dann wohl egal“, vermutet er.

Ihr Ziel, dass die Schulleitung von Storch auslädt, haben die Protestierenden zwar nicht erreicht. Die Anwesenden zollen den Schü­le­r:in­nen für ihren Protest aber dennoch Respekt. Als die Schü­le­r:in­nen für die Podiumsdiskussion ins Gebäude verschwinden, erhalten sie donnernden Applaus.

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12 Kommentare

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  • sich argumentativ durchsetzen, fachwissen aneignen, retorische tricks durchschauen, zuhören, verstehen, einordnen, nachfragen, ausreden lassen, nicht pauschalisieren, thematisch vorbereiten usw.



    lernen das die schüler nicht mehr?



    könnten sie hier mal sinnvoll anwenden, ein afdoof schild hochhalten reicht da nicht mehr.

  • Mich als Schüler hätte der Besuch interessiert, aber ich habe mich immer schon gerne zwischen die Stühle gesetzt.



    Wir wollen das Wahlrecht ab 14 oder 16 aber ein Besuch der falschen Partei in der Schule droht alles zu zerstören?

  • ... die von Storch ("AfD") ist in der Rhetorik geübt genug, um den Kids 'nen Knopp anne Backe zu labern. Ich bin strikt gegen diese (und auch andere solcher) Veranstaltungen. Ich kann mich noch gut genug und leider an die "Bundeswehr" in den Schulen erinnern.



    Lasst das!



    MfG: B.Liebig

  • Aktive PolitikerInnen haben generell an Schulen nichts verloren! Es bleibt immer ein Rest Wahlwerbung und Übervorteilung in eigener Sache hängen. Besonders problematisch ist es, wenn der Termin für Schüler Pflicht ist.

  • Lasst uns nicht immer streiten, sondern uns untereinander lieb haben, egal welcher Partei wir angehören.

  • Naja, vor was haben die Menschen Angst? Jeder weiß wofür die AfD steht, unabhängig von Diskussionen an Schulen oder nicht. Warum darf sich kein Schüler sein eigenes Bild machen? Mit welchem Recht, möchten hier Schüler und Angehörige diesen Diskurs verhindern?

    Mir persönlich sind die Grünen mit ihren Ansichten ein Dorn im Auge. Aber meine Nichten dürfen sich trotzdem Veranstaltungen mit Beteiligung der Grünen anhören, ohne das ich hier auf die Barrikaden gehe.

  • Die Frage, die sich stellt, ist eher, ob Diskussionen zwischen Parteien wirklich an Schulen etwas zu suchen haben.



    Da bin ich eher dagegen: Denn eine politische Aufladung ist dem Miteinander in der Schule nicht zuträglich. Vielmehr sollten Schülerinnen und Schüler Sachfragen diskutieren können, ohne sich in konfliktträchtige Grabenkämpfe zu verwickeln.

    Wenn man das jedoch anders entscheidet, dann ist völlig klar, dass die zweitstärkste Partei vertreten sein muss. Entweder man konfrontiert die Schülerschaft mit den politischen Auseinandersetzungen - oder man lässt es.

    Jeder Zwischenweg, also ein betreutes Diskutieren, ist undemokratisch und nimmt die Schülerinnen und Schüler eben nicht ernst.

  • Frau Achour verkennt, dass die Vorgaben des Senates bereits eindeutig sind. Es gilt das Neutralitäts- und Gleichheitsgebot gegenüber nicht verboteten Parteien. Und wenn dann einzelne Schüler von etwaigern Forderungen der Politiker betroffen sein könnten, dann ist das kein Grund für eine Ausnahme. So ist das halt mit der Meinungsfreiheit.

    • @DiMa:

      Das ist nicht korrekt. Es gibt, wie auch der Artikel erwähnt, kein "Neutralitäts- und Gleichheitsgebot gegenüber nicht verbotenen Parteien" (NPD?). Stattdessen gilt an Schulen mit dem Beutelsbacher Konsens ein Kontroversitätsgebot, das heißt, was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Pädagogisch nicht sinnvoll wäre es, Positionen seitens der Lehrkraft unkommentiert nebeneinander stehen zu lassen. Stattdessen müssen sie aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und den Schüler:innen eine qualifizierte Auseinandersetzung zu ermöglicht werden. Auch ist Lehrkräften nicht verboten, eine eigene Meinung zu haben. Sie dürfen sie Schülern aber nicht aufzwingen, sondern müssen ihnen den Raum geben, eine eigene Sichtweise zu entwickeln und im Austausch mit anderen Sichtweisen begründet zu vertreten.

      Insbesondere eine Partei, die menschenrechtsfeindliche, völkische Ziele verfolgt, sich aber je nach Publikum als Verteidiger der Meinungsfreiheit gibt, kann m.M.n. nicht als normaler Teil des politischen Spektrums an einer Schule auftreten. Die Schule muss die Schüler *mindestens* untersützen, die Mimikry der AfD zu durchschauen.

      • @sàmi2:

        " kein "Neutralitäts- und Gleichheitsgebot gegenüber nicht verbotenen Parteien" (NPD?)"

        Ja, weil das BVerfG auch geurteilt hat, dass die Partei "die Heimat" aufgrund ihrer kämpferischen Grundhaltung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung für 6 Jahre von der Parteien Parteinfinazierung ausgeschlossen wird. "Ihr politisches Konzept missachtet die Menschenwürde aller, die der ethnischen „Volksgemeinschaft“ nicht angehören, und ist zudem mit dem Demokratieprinzip unvereinbar."



        So ein Urteil gibt es gegen die AfD nicht und das ist auch schon alles, worum es geht. Was man selbst über die AfD denkt ist hier kein Bewertungskriterium.

      • @sàmi2:

        Die Schule ist ein ganz normaler Teil der Verwaltung und unterliegt damit den normalen Grundsätzen. Der Beutelsbacher Konsens stellt auch keinen Gegensatz dar. Selbstverständlich darf (und sollte) sich die Schule im Unterricht auch mit den einzelnen Positionen der Parteien kritisch auseinandersetzen. Nur darf die Schule halt nicht nicht verbotene Parteien vollständig unterschiedlich behandeln.

        Wenn zu Podiumsdiskussion geladen wird, dann ist der AFD halt auch entsprechend Zugang zu gewähren. Selbstverständlich sollten die Ergebnisse dann auch kritisch besprochen werden. Wenn man das nicht möchte, muss man halt die Podiumsdiskussion gänzlich unterlassen.

  • „Achour von der Freien Universität Berlin sieht darin ein bildungspolitisches Versagen: „Viele Schulen wünschen sich klare Vorgaben, wann sie die AfD zu Veranstaltungen einladen und wann nicht“, sagt die Politikwissenschaftlerin der taz. Aber anstatt hier juristisch wasserfeste Guidelines zu erarbeiten, drückten sich die Ministerien vor einer klaren Positionierung."→ Die Ministerien drücken sich nicht vor der Aussage, sie geben nur nicht die Antworten, die sich die Politikwissenschaftlerin Anchour im universitären Elfenbeinturm wünscht. Denn die juristisch "wasserfeste Guideline" ist sonnenklar und auch im Artikel klar kommuniziert: Es gilt die parteipolitische Neutralität und der Grundsatz der Gleichbehandlung. Wenn es eine Podiumsdiskussion mit allen Parteien gibt, die ernsthafte Aussichten auf Einzug in den Bundestag haben, muss auch die AfD eingeladen werden. Parteipräferenzen darf der Lehrer als Bürger haben und auch äußern, nicht aber die Schule oder der Lehrer in seiner Funktion als Beamter.