Umfrage zu Lernrückständen: Ausgebremste Bildung
Schüler:innen und Eltern fürchten, dass in der Pandemie Bildungslücken entstanden sind. Gut durch die Krise kamen wohl jene, die ohnehin kaum Lernprobleme haben.
Die meisten Befragten gaben in der von der Telekom Stiftung beauftragten Studie zwar an, mit dem sogenannten Homeschooling gut zurechtgekommen zu sein. Wie gut, das hängt aber stark von der Schule und vom persönlichen Umfeld ab.
„Es gibt einen nicht unerheblichen Teil, die sind stärker abgehängt als zuvor“, sagte der ehemalige Bundesinnenminister und heutige Vorsitzende der Telekom-Stiftung, Thomas de Maizière, am Donnerstag zu den Studienergebnissen. Er sprach sich für die Pflicht zur Teilnahme an Nachhilfeangeboten aus. Freiwillige Sommercamps oder ähnliche Angebote würden „exakt die nutzen, die es nicht am nötigsten haben“.
Diejenigen, die stärkere Rückstände haben, müssten überproportional Angebote bekommen. „Und da wird es möglicherweise nicht anders gehen, als mit Verpflichtungen“, so de Maizière.
Gemischte Bilanz des Fernunterrichts
Bildungspolitiker:innen gehen davon aus, dass jede:r vierte oder fünfte Schüler:in wegen der Schließungen und Einschränkungen an Schulen große Lernrückstände aufgebaut hat. In der vorliegenden Befragung waren 27 Prozent der Schüler:innen der Meinung, dass sie und ihre Mitschüler:innen beim Lernstoff „deutlich“ im Rückstand seien, 52 Prozent gehen von „etwas“ Rückstand aus.
Von den Eltern dieser Altersklasse machen sich 61 Prozent Sorgen wegen der Lernrückstände ihrer Kinder. 49 Prozent sind der Ansicht, ihr Kind sei durch die Schulschließungen beim Lernstoff „etwas“ im Rückstand, 32 Prozent sprechen von einem „deutlichen“ Rückstand.
Beim sogenannten Homeschooling ziehen Schüler und Eltern eine gemischte Bilanz: Zwar gaben 58 Prozent der Kinder und Jugendlichen an, damit gut oder sehr gut zurechtgekommen zu sein, aber ein großer Teil von 38 Prozent kam auch weniger oder gar nicht gut damit zurecht.
Das Urteil der Eltern, von denen viele monatelang den Spagat zwischen Arbeit und Ersatzlehrer:in schaffen mussten, fällt ebenfalls gemischt aus: 53 Prozent sind der Ansicht, die Familie sei mit dem Lernen von zu Hause aus gut oder sogar sehr gut zurechtgekommen, 42 Prozent sehen das nicht so.
GEW-Vorsitzende: In den Ferien nicht für die Schule pauken
Auffällig ist, dass Befragte, die sich selbst als gute Schüler:innen einschätzen, deutlich häufiger angaben, gut durch die Schulschließungen gekommen zu sein. Gymnasiast:innen ziehen eine positivere Bilanz als Haupt-, Real- oder Gesamtschüler:innen.
Auch die technische Ausstattung im eigenen Haushalt spielt bei der Bewertung eine Rolle. Die Krise habe die sozialen Unterschiede und den Einfluss der Bedingungen im Elternhaus auf die Entwicklung der Schüler:innen vergrößert, sagte die Geschäftsführerin des Allensbach-Instituts, Renate Köcher am Donnerstag.
Der Ausnahmezustand an den Schulen hatte aber auch positive Begleiteffekte: Eine Mehrheit der Schüler:innen hat sich nach eigener Auffassung im Umgang mit Computern und digitalen Medien verbessert, hat Fortschritte beim Recherchieren von Informationen gemacht und dabei, sich selbst zu organisieren und sich Dinge zu erarbeiten. Das sehen auch die Eltern so.
Trotzdem wünschen sich die meisten, dass die Vermittlung von Schulstoff auch nach der Coronakrise weitgehend von den Lehrer:innen in der Schule übernommen wird. Und fast allen Schüler:innen (93 Prozent) wäre es am liebsten, wenn der Unterricht „ausschließlich“ oder „überwiegend“ in der Schule stattfindet. Bei den Eltern ist dieser Wunsch noch ausgeprägter (96 Prozent).
Aufholprogramm von Bundesregierung beschlossen
Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, hält trotz der selbstdiagnostizierten Lernlücken wenig davon, dass Schüler:innen in den Sommerferien den in der Coronazeit versäumten Stoff aufholen. „Es ist völlig falsch, jetzt in den Ferien Inhalte zu pauken“, sagte Finnern dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nach anderthalb weitgehend vor Computern und Handys verbrachten Jahren sollten Schüler:innen nicht auch noch die Ferien online verbringen.
Um Versäumtes nachzuholen, hat die Bundesregierung ein Aufholprogramm für Kinder und Jugendliche beschlossen. Bis Ende 2022 stehen zwei Milliarden Euro unter anderem für Ferienfreizeiten, Aufenthalte in Familienferienstätten oder Nachhilfe zur Verfügung. Das sei „relativ viel Geld für relativ wenig Zeit“, betonte Finnern. „Die einfachste Lösung ist natürlich, den Kindern Gutscheine für Nachhilfe in die Hand zu drücken.“
Finnern forderte hingegen Kommunen und Schulträger auf, „gute Ferienangebote“ zu entwickeln: Die Jugendlichen müssten rausgehen in die Natur, Gemeinschaft erleben, „voneinander und miteinander lernen“. Die GEW-Vorsitzende kritisierte, dass die Homeschooling-Zeit „viel zu defizitär und negativ gesehen wird“. Finnern sagte: „Ja, es war eine schwierige Phase, aus der man aber viel lernen kann für das künftige Leben.“
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