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Ukrainische Regisseurin über den Krieg„Man verliert einen Teil der Angst“

Regisseurin Alisa Kovalenko hat schon in der Ostukraine gedreht. Ein Gespräch über ihre Erfahrungen an der Front und ihren Film mit Jugendlichen im Himalaja.

„Ich fühle mich schuldig, dass ich gegangen bin“, sagt die ukrainische Regisseurin Alisa Kovalenko Foto: Wolfgang Borrs
Sophia Zessnik
Interview von Sophia Zessnik

taz: Frau Kovalenko, in Ihrem Film „My ne zgasnemo“ folgen Sie fünf Jugendlichen und deren Alltag. In der Anfangsszene sind Gewehrsalven und Bombenhagel in der nächtlichen Ferne zu hören, zwei Jungs zünden derweil Böller. Wo ist das?

Alisa Kovalenko: Wir sind in einem Dorf im Donbass, in der Nähe der Stadt Luhansk. Also sehr nah an der Grenze zu Russland.

Im Interview: Alisa Kovalenko

wurde 1987 in Saporischschja geboren. Sie studierte Dokumentarfilm in Kyjiw und Warschau. Ihr erster abendfüllender Dokumentarfilm, „Alisa in Warland“ (2015), zeigt die Maidan-Proteste und den Krieg in der Ost­ukraine.

Ihr Dokumentarfilm spielt noch vor dem Angriffskrieg Russlands.

Ich habe Anfang 2019 angefangen zu filmen. Das letzte Mal dort war ich im Februar 2022, als gerade die russische Invasion in vollem Umfang anfing. Also vor ziemlich genau einem Jahr.

Ihre Prot­ago­nis­t*in­nen sind 14 bis 16 Jahre alt. Sie alle erinnern sich noch gut an 2014. „Es ist, als hätte damals eine neue Zeitrechnung begonnen“, sagt eine. Wie wirkt es sich aus, wenn man seine Jugend in einem von Kriegsunruhen betroffenen Gebiet verlebt?

Als wir starteten, war Andriy mit 13 Jahren der Jüngste. Der Rest war 14, 15 Jahre alt. Ich habe sie quasi beim Erwachsenwerden begleitet. Die Umstände, unter denen man in einem solchen Gebiet lebt, sind natürlich per se schwierig. Man gewöhnt sich aber auch daran, so hart es klingt. Was für junge Menschen dort aber vor allem herausfordernd ist, ist an sich selbst zu glauben, an die Träume und Wünsche, die man hat. Denn an einem solchen Ort ist es viel schwieriger, eine Vorstellung von dem zu entwickeln, was im Leben möglich ist.

Lera, Liza, Ruslan, Andriy, Illia – sie alle haben Dinge, die sie gerne tun: Fotografieren, Zeichnen, Rappen, an Motorrädern schrauben und Tanzen. Zugleich fehlen die Zukunftsperspektiven. Woraus schöpfen die jungen Menschen im Donbass Hoffnung?

Ebendas habe ich in meinem Film herauszufinden versucht: Diese jungen Menschen ziehen ihre Energie aus ihren Träumen, aus dem, was sie leidenschaftlich gerne tun. So versuchen sie Licht in ihr Leben zu bringen und das an diesem furchtbar deprimierenden Ort.

Das alltägliche Leben der fünf ist ein endloses Warten auf bessere Zeiten, bis sie eine Einladung von Valentyn Shcherbachev bekommen. Der Sportjournalist organisierte für die Gruppe einen Trip ins Himalaja-Gebirge. Entstand daraus die Idee für Ihren Film?

Sozusagen. Ich traf Valentyn und er erzählte mir von seinem Traum, Kinder auf diese abenteuerliche Reise mitzunehmen, als eine Art therapeutische Maßnahme. Ich fand die Idee so schön, dass ich mich dem Projekt anschließen wollte. Valentyn organisierte einen Aufruf in den Medien, speziell für Kinder aus dem Gebiet Donbass. Er erhielt so viele Briefe und Videos, in denen Jugendliche erzählten, warum sie die Welt dort draußen sehen wollen. Wir reisten dann gemeinsam in den Donbass. Ich habe von Anfang an alles gefilmt, aber natürlich konnte ich nicht ansatzweise all das Material mit in den Film aufnehmen.

Wie haben sich die sportliche Vorbereitung und der Trip selbst auf die Jugendlichen ausgewirkt?

Ich würde sagen, es hat sie stark geprägt. Sie haben zum ersten Mal diese völlig andere Welt gesehen und erlebt, dass man sich auch mal gut fühlen kann. Und ich denke, dass dieses Gefühl eine längerfristige Veränderung bewirkt.

Inwiefern?

Das ist etwas, das man in sich trägt, von dem man weiß, man hat es geschafft. Man hat Grenzen überwunden, um einen Berg zu bezwingen. Es gibt einem Vertrauen in sich selbst. Wenn man das geschafft hat, schafft man auch andere Berge – oder Herausforderungen.

Blühende Rhododendren und die aufgehende Sonne in den Bergen, all das breitet sich vor den Jugendlichen aus. Wie war es, diese berührenden Momente mit der Kamera einzufangen?

Für mich war es auch eine existenzielle Erfahrung, aber ich war natürlich viel mehr auf die Jugendlichen und ihre Empfindungen konzentriert. Ich hatte zwar meist einen Kameramann dabei, aber ich filme auch viel alleine. Das erfordert viel Konzentration; wandern, denken, planen, filmen und das alles gleichzeitig. Es war also nicht einfach, aber das war es wert. Ich habe mich so für die Kinder gefreut. Zu sehen, wie glücklich sie diese Reise gemacht hat, war das Schönste für mich.

„My ne zgasnemo“

24. 2., 12.45 Uhr, Cubix 8

25. 2., 18.30 Uhr, FT am Friedrichshain

Andriy sagt im Film: „Stell dir vor, in 50 Jahren wird unser Dorf verschwunden sein. Jeder wird sterben, der Rest wird gehen.“ Wie ist die Situation gerade im Donbass?

Es ist eine sehr schlimme Situation. Viele Orte wurden besetzt oder zerstört. Der Ort, in dem Andriy zum Beispiel lebte, ist völlig zerstört. Fast alle sind von dort geflohen. Andriy und seine Familie auch. Seine Vorstellung ist also wahr geworden, wenn auch nicht erst in 50 Jahren.

Sie selbst waren einige Monate an der Ostfront. Warum haben Sie Ihre Kamera weggelegt und zur Waffe gegriffen?

Das ist eigentlich eine lange Geschichte, aber um es kurz zu machen: 2014/2015 habe ich den Film „Alisa in Warland“ gemacht. Dafür habe ich viel an der Front gefilmt, innerlich aber habe ich gezweifelt, ob das der richtige Weg ist.

Können Sie das präzisieren?

Es ist nicht leicht, diese Distanz zu behalten und mit der Kamera draufzuhalten, während andere kämpfen. Ich habe mich gefragt, was meine Aufgabe ist, ob es reicht, das Ganze zu dokumentieren. Ich habe mir dann versprochen, sollte dieser Krieg weitergehen beziehungsweise ausarten, dann lege ich die Kamera weg und gehe selbst an die Front.

So war es dann auch.

Ja, als es letzten Februar losging, konnte ich nicht mehr filmen, das hat sich nicht richtig angefühlt. Ich war zu der Zeit gerade bei Andriys Familie. Wir haben viel geweint und gesprochen, auch darüber, was aus dem Film werden soll. Ich spürte damals, dass die Realität in dem Moment stärker war und ich hatte nicht das Gefühl, mit meiner Kamera nützlich sein zu können. Ich musste handeln, wollte den Menschen helfen und auf irgendeine Weise auch meinem Land.

Hatten Sie keine Angst?

Nicht so sehr. Ich hatte vieles zumindest schon gesehen. Und ich wusste, warum ich dort bin. Es war meine eigene Entscheidung, an die Front zu gehen, niemand hat mich gezwungen. Ein paar Mal gab es so heftige Schusswechsel, dass ich dachte, ich werde sterben. Das waren traurige Momente, weil ich befürchtete, meinen Sohn nicht wieder zu sehen, ihm nicht mehr meine Liebe geben zu können. Das war verdammt hart.

Ihr fünfjähriger Sohn und sein Vater waren aber sicher zu der Zeit?

Ja, sie waren beide in Frankreich, wo mein Partner herkommt. Mittlerweile sind wir aber alle wieder in Kyjiw.

Wie ist es aktuell dort zu leben?

Es ist jetzt besser, wo wir wieder Strom haben. Aber klar, man weiß nie, was passieren wird. Du weißt nicht, ob heute oder morgen eine Rakete auf dein Haus fällt. Trotzdem haben wir beschlossen, dass es unser Zuhause ist und wir dort leben werden, solange es geht. Immerhin hat der Kindergarten meines Sohnes einen sehr guten Luftschutzkeller.

Hat Ihre Unerschrockenheit auch etwas mit dem sexuellen Übergriff zu tun, den sie 2014 durch einen russischen Offizier erlebt haben?

Das war eine sehr schmerzhafte Erfahrung. Ich habe danach lange Zeit nicht darüber gesprochen, sondern versucht, mich durch meine Arbeit abzulenken. Wenn man in Bewegung bleibt, hilft das erst mal. Wenn es aber stiller wird und man allein ist, kommt das Trauma zurück und frisst einen auf. Ja, vielleicht ist das auch der Grund, warum ich nicht so viel Angst hatte, an die Front zu gehen. Wenn einem etwas so Traumatisches widerfährt, verliert man einen großen Teil seiner Angst.

Denken Sie darüber nach, zurück an die Front gehen?

Ja. Ich fühle mich verantwortlich. Und ich fühle mich schuldig, dass ich gegangen bin. Ich wusste aber, dass ich diesen Film zu Ende bringen muss. Ich fühle auch eine Verantwortung gegenüber meinem Team und vor allem gegenüber den Protagonist*innen. Deshalb habe ich beschlossen, den Film zu beenden und mich zunächst darum zu kümmern. Danach werde ich weiter entscheiden. Dieser Krieg wird lange dauern, darauf müssen wir uns einstellen. Aber trotzdem weiß ich, dass wir Licht in uns haben und dieses Licht wird gegen die Dunkelheit gewinnen. Daran glaube ich.

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