Ukrainische Medien im Krieg: Marathon gegen Propaganda
Der russische Angriffskrieg wirkt sich auf die Pressevielfalt in der Ukraine aus. Auch die ukrainische Regierung schränkt sie ein.
Dadurch wird es immer schwerer, an Informationen zu kommen. Besonders in frontnahen Gebieten sind die Leser*innen davon betroffen. Dort gibt es oft keine lokalen Print-Medien mehr und Online-Portale sind wegen häufig unterbrochener Internetverbindungen nur begrenzt erreichbar.
Aber nicht für jeden Verlust ist die angegriffene Infrastruktur verantwortlich, auch die Regierung trifft Entscheidungen, die die Medienvielfalt einschränken können: Seit dem 20. August 2021 ist das bekannte Nachrichtenportal strana.ua durch einen Entscheid des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats landesweit blockiert.
Auch bei den Nachrichten im Fernsehen haben Ukrainer*innen nur noch wenig Auswahl. Zu Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 hatten sich die sechs großen ukrainischen Fernsehsender zu einem gemeinsamen 24-Stunden-Nachrichtenprogramm zusammengetan. Mit dem sogenannten Telemarathon wollten sie der russischen Propaganda entgegenwirken. Seit Kriegsbeginn senden fast alle ukrainischen Sender das staatlich finanzierte Programm. Die Nachrichtensendung wird mit 37 Millionen Dollar Steuergeldern gefördert.
Doch inzwischen gibt es auch Stimmen gegen den Telemarathon. Es könne nicht sein, dass man auf allen großen Sendern ein und dieselbe Nachrichtensendung serviert bekomme, so die Kritik. Kleinere oppositionelle Kanäle sind seit der Einführung des Telemarathons aus dem digitalen Rundfunk weitgehend verbannt und nur noch online oder per Satellit erreichbar.
Doch die ukrainische Regierung bleibt bei ihrer Unterstützung des Telemarathons. Während das Kriegsrecht gilt, solle auch diese Nachrichtensendung weiter finanziert werden, sagte Kulturminister Mykola Tochytskyi. Die EU-Kommission kritisiert die staatliche Finanzierung und stellt infrage, ob der Telemarathon sich für den freien Meinungsaustausch eigne.
Rundfunk- und Fernsehrat nimmt Einfluss
Leonid Schtekel, bekannter Journalist aus Odessa und Chefredakteur von Odessa-Daily, hat unterschiedliche Einflussnahmen von verschiedenen ukrainischen Regierungen erlebt. Er ist seit den 1980er Jahren engagiert. Zu Sowjetzeiten geriet er mit dem KGB in Konflikt, weil er einen Film von Solidarność-Mitglied Andrzej Wajda zeigte. Zur Jahrtausendwende demonstrierte er gegen den korrupten ukrainischen Präsidenten Kutschma, war bei den Maidan-Protesten 2004 und 2005 sowie 2013 und 2014 dabei.
Das Hauptinstrument der Einflussnahme auf die Medien sei der Rundfunk- und Fernsehrat, sagt Schtekel. Der wurde nach dem Ende der Sowjetunion in den 1990er Jahren gegründet, seine Aufgabe ist die Zuteilung von Sendefrequenzen. Als 2002 Präsident Wiktor Janukowytsch an die Macht kam, ließ er hier seinen Einfluss spüren. Während er regierte, konnte man von diesem Rat nur Sendefrequenzen erhalten, wenn man seinem Umfeld angehörte.
Das sollte sich durch den Sieg des Maidan 2014 ändern. Doch als die Ukraine in den ersten Wahlen nach den Protesten Petro Poroschenko zum Präsidenten wählte, kamen neue Gesetze dazu. Mit seinem Amtsantritt habe der Nationale Rat für Fernsehen und Rundfunk auch inhaltlich Einfluss genommen, sagt Schtekel. Ab 2016 sei dieser Rat das Instrument geworden, mit dem Poroschenko das Verbot der russischen Sprache in Rundfunk und Fernsehen durchsetzte.
Schtekel war zu der Zeit Leiter eines kleinen Verlages und eines Nachrichtenportals, beide erschienen überwiegend russischsprachig. Nach den neuen Gesetzen mussten alle Veröffentlichungen nun auch auf Ukrainisch erscheinen. „Das machte den Betrieb untragbar – die Kosten für Übersetzungen waren gerade für kleinere Nachrichtenportale nicht erschwinglich“, erinnert sich Schtekel.
Ende 2020, inzwischen war Selenskyj Präsident, wurde das Mediengesetz neu verfasst. Doch die neue Fassung war so umstritten, dass der Gesetzentwurf lange nicht zur Abstimmung vorgelegt wurde. Auch Schtekel kämpfte dagegen, organisierte in Odessa Mahnwachen, 50 Journalist*innen unterschrieben einen Aufruf gegen das geplante Gesetz. In einer Rede vor dem ukrainischen Parlament warnte Schtekel vor dem Gesetzentwurf.
Mit dem Beginn der russischen Invasion waren allerdings Einigkeit und der Kampf gegen „Desinformation“ angesagt, so Schtekel. Und was Desinformation ist, entschieden nun staatliche Stellen. Im Dezember 2022 wurde das Gesetz verabschiedet und der Rat erhielt das Recht, zusätzlich auch Online-Seiten zu kontrollieren.
Russische Sprache bleibt für viele wichtig
Schtekel engagiert sich auch gegen die Umbenennung von Straßen mit russischen Namen und gegen den Abriss von Denkmälern. Gemeinsam mit 116 Prominenten unterzeichnete er einen offenen Brief an die Unesco, in dem er die Institution darum bat, sich in dieser Sache zu engagieren.
Für viele Ukrainer*innen, besonders in Odessa, bleibe die russische Sprache ein geschätzter Teil ihrer Kultur. „Die russische Sprache zu lieben, bedeutet keineswegs, Russland zu lieben. Man kann Russisch lieben und zugleich Putin hassen“, betont Schtekel. Das Tragische an den Umbenennungen sei, dass Bürger*innen nicht befragt würden, die Namensänderungen von oben angeordnet seien. Und dass auch viele Straßen betroffen seien, die Namen von Personen trugen, die ein kulturelles Symbol von Odessa seien.
Es schmerze ihn, dass ausgerechnet die Namen Alexander Puschkins, Isaak Babels und Wladimir Wysotzkis aus dem Stadtbild verschwinden sollten. Sein Unverständnis erklärt er so: „Babel wurde unter Stalin erschossen, Puschkin wegen seiner Kritik am Zaren nach Odessa verbannt, Ilja Ilf und Jewgeni Petrow machten sich in ihrer Literatur über die Sowjetunion lustig.“
Aktuell fürchtet Schtekel auch ein Verbot von Telegram. Das Chatprogramm sei zu einer der wenigen Plattformen geworden, auf der unabhängige Informationen verfügbar seien. Die Entwicklung könnte seiner Befürchtung recht geben. Seit Anfang November verbieten führende Universitäten die Nutzung von Telegram. Und ein neuer Gesetzentwurf sieht ein Verbot von Telegram in staatlichen Instituten vor.
Es sei nicht einfach, in der Ukraine oppositionelle Meinungen zu äußern, sagt Schtekel noch. „Augenblicklich erleben wir eine Einschüchterungskampagne gegen die, die sich gegen die Namensänderungen ausgesprochen haben.“ Nachdem er mit einigen Gleichgesinnten auf der Straße drei Protestaktionen durchgeführt habe, würden sie über Facebook mit Mord, Schlägen und Racheakten bedroht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen