Ukrainische Kunst vor dem Krieg schützen: Fluxus, Spiritus und Ballaballa

Ein Teil vom wilden Kosmos des 2007 verstorbenen ukrainischen Künstlers Fedir Tetyanych ist nun im CCA zu sehen. Auch, um seinen Nachlass zu schützen.

Ausstellungsraum mit Kleidung auf kopflosen Kleiderständern

Ein Stück Melancholie: Die Kostüme von Fedir Tetyanych Foto: Diana Pfammatter

Schon vom großen Schaufenster nahe der Kurfürstenstraße fangen diese seltsamen Kostüme den Blick. Eine bunte Batikhose in den Pastellfarben der achtziger Jahre, ausgelatschte Sneakers, eine Jacke, derart mit bunten Schnipseln, Plastikstücken und Goldfolie besteckt, dass sie sich zu einer breitschultrigen Rüstung formt. Und darüber hängt eine Kappe, von Aufgesammeltem ornamental geschmückt, sie muss das wichtige Beistück einer Zeremonie sein.

Diese zusammengeklaubten Materialien und Kleidungsstücke, sie wirken nur auf den ersten Blick einer Kulisse wie der für den postapokalyptischem Film „Mad Max“ entsprungen. Zu anders, zu „byzanthinisch“ sind diese offenbar aus dem Abfall herausgefischten Dinge.

Fedir Tetyanych: „Everywhere Is My Endless Body., CCA, Kurfürstenstraße 145. Bis 3. September 2022

Zeit und Ort dieser Kostüme: Kiew zwischen 1980 und 2007, zwischen UdSSR und den politischen Umwälzungen der postsowjetischen Ära. Urheber: der Künstler, Philosoph und Nonkonformist Fedir Tetyanych.

In einem ausgestellten Video hat sich Tetyanych in eines der Kostüme geschält, als sagenhafter Zeremonienmeister tritt er zwischen neugierig um ihn gescharten Menschen auf. Seine gefilmte Straßenaktion – ein bisschen Fluxus, ein bisschen spirituelles Ritual, ein bisschen Ballaballa – war 1992. Kurz nachdem die Ukraine ein souveräner Staat geworden war, in einem wirren politischen Moment eines sich neu findenden Staats.

Kunst in Gefahr

Nun wird die Souveränität dieses Staates von Moskau wieder brutal infrage gestellt. Und es gehört zu diesem unfassbaren Krieg, dass auch die Kunst der Ukraine in Gefahr gerät. Es gibt Initiativen wie etwa „Museums for Ukraine“, durch die auch Werke aus ukrainischen Museen im sicheren Ausland ausgestellt und damit praktisch evakuiert werden können.

Fedir Tetyanych, der 1942 geborene Avantgardist, der in den sowjetischen 1960er bis 1980er Jahren viele öffentliche Aufträge, Reliefs und Skulpturen in der Ukraine realisierte und sich später immer mehr mit künstlerischen Aktionen in den Underground vertiefte, gehört jedoch nicht zu jenen öffentlich Gesammelten. Der Nachlass des 2007 Verstorbenen liegt bei seiner Familie.

Es ist letztlich einigen ukrainischen Künst­le­r:in­nen und Ak­ti­vis­t:in­nen zu verdanken – darunter Nikita Kadan –, dass auch das Œuvre dieser eher randständigen Figur Fedir Tetyanych nach Deutschland gebracht werden konnte. Nun ist eine Auswahl seines Nachlasses im Center for Contemporary Arts (CCA) zu sehen, das seinerseits erst im März dieses Jahres von Privatpersonen ins Leben gerufen wurde.

Bemerkenswert, wie hier freie Initiativen die institutionelle Aufgabe zum Schutz der Kultur der vom russischen Angriffskrieg bedrohten Ukraine wahrnehmen.

Körper und Materie

Und aufregend, wozu sie uns hier Zugang verschaffen. Denn mit den Zeichnungen, Fotografien, Malereien, Kostümen und humorvollen Assemblagen – hat Tetyanych da 1980 aus alter Pappe eine grobe Figur gebaut und ihr aus kleinen Milchtüten etwa zwei große Brüste mit Kleeblattmuster verpasst? – blickt man in den unabhängigen Geist eines Künstlers, der auf die politischen Erschütterungen der Ukraine von den 1980er Jahren bis 2007 mit einem ganzheitlichen Kunstbegriff reagierte.

Unter dem Begriff „Fripulia“ – was keine Bedeutung hat, aber ein bisschen nach dem englischen „free“ klingt – entwickelte er eine Doktrin, nach der alles Körperliche und Materielle zusammenhängt.

Seine bekanntesten Formen sind die „Biotecnospheres“. In diesen an Richard Buckminster Fullers Geodäten erinnernden Kugelbauten kommen Wohnen und Transport zusammen. Bis ins technische Detail kann man auf Entwürfen seine Vorstellungen dieser Biotecnosphären sehen, die auch mal die Ausmaße ganzer Raumschiffe annehmen.

An einer Wand hängt in Grautönen eine Reihe von Kreiskompositionen. Man weiß nicht, zeigen sie die Nahansicht eines Antriebsmotors, den „Schwarzen Stern“ aus Star Wars oder sind es einfach nur Studien.

Schatten und Nacht sind eins

Auf einer kleinen Assemblage hängt ein Zettel: „Schatten und Nacht sind eins“ steht darauf in kyrillischen Buchstaben. Das alles wirkt manchmal recht vergilbt in der enthusiastischen Vermengung von Technik und Esoterik. Man könnte meinen, Fedir Tetyanych hätte sich seine künstlerische Welt als früher Moderner um 1910 geschaffen, er wäre vielleicht einer der russischen Kosmisten gewesen.

Doch vielmehr beschreibe seine Kunst einen „Ukrainischen Kosmismus“, kann man in einem 2016 online veröffentlichten Gespräch zwischen den Künstlern Nikita Kadan und Yuri Leidermann nachlesen.

Auch der „Ukrainische Kosmismus“ behandele eine Kombination aus Modernismus und Volksglauben, allerdings ein halbes Jahrhundert später, als das Projekt der Moderne selbst im Spätsozialismus zusammenbrach „und nur ein Glitzern, ein Rascheln, eine Mannschaftsliste zurückließ. So wie Chruschtschows Epoche der Stadtplanung ein Geplätscher des verschwindenden Geistes von Le Corbusier war“, sagt Leidermann.

Ein Stück Melancholie, es liegt also nicht nur in dem tragischen politischen Hintergrund dieser Ausstellung, sondern auch irgendwie in der Kunst Tetyanychs.

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