Ukrainer:innen in Deutschland: Der Schlüssel zur Flüchtlingshilfe
Täglich kommen Tausende Ukrainer:innen in Großstädten wie Berlin und Hamburg an. Nun sollen die Menschen auf die Länder verteilt werden.
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Knapp 160.000 aus der Ukraine Geflüchtete hat Deutschland seit Beginn der russischen Invasion registriert. In Wahrheit sind wohl bereits deutlich mehr Menschen angekommen, denn Ukrainer*innen können sich in der Bundesrepublik für 90 Tage visafrei bewegen, und viele dürften direkt zu Verwandten oder Bekannten gefahren sein.
Allein in Berlin kommen jeden Tag im Schnitt 10.000 weitere Menschen an. Die Hauptstadt sei „deutlich mehr belastet als andere Regionen“, sagte am Dienstag Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Auch in anderen Großstädten wie Hamburg und München ballen sich die Ankünfte, ebenso wie im an Polen grenzenden Bundesland Brandenburg. Giffey betonte deswegen die Bedeutung der „föderalen Solidarität“ – dass also die Menschen gleichmäßiger als bisher auf alle Bundesländer verteilt werden. „Wir haben inzwischen mehrfach auf den Wunsch nach Bundesunterstützung hingewiesen“, sagte sie.
Seit Tagen schon drängen verschiedene Bundesländer und die kommunalen Spitzenverbände darauf, dass der Bund sich in die Verteilung und Versorgung der Geflüchteten einschaltet. Am Freitag meldeten einige Länder, die Aufnahmekapazitäten seien erschöpft. Schon am Freitag hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verkündet, dass die Menschen nun verstärkt nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt werden sollen – also entsprechend Steueraufkommen und Bevölkerungszahl. Faeser versprach den Ländern und Kommunen auch, der Bund werde sich an den Kosten für die Aufnahme der Menschen beteiligen. Wie genau, wird am Donnerstag Thema auf der Ministerpräsidentenkonferenz sein. Um Chaos und lange Wartezeiten am Ankunftsort zu vermeiden, soll zudem die Registrierung von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine vereinfacht werden. Wer auf der Durchreise in ein anderes Land nur kurz Unterkunft und Verpflegung benötige, müsse nicht erkennungsdienstlich behandelt werden.
Neues Ankunftszentrum am Ex-Flughafen Tegel
Für die Unterbringung der Menschen sollen auch Gebäude der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) genutzt werden. Hierfür müssen die Länder oder Kommunen dann Betreiber stellen. Die Eintreffenden sollen über das sogenannte Easy-Verfahren registriert werden, das Bundesverkehrsministerium soll ihren Transport in die Länder organisieren. Die Länder sollen gegenüber dem BMI ihre Zustimmung signalisiert haben, neue Unterbringungsplätze zu schaffen. In Berlin etwa soll bis zum Ende der Woche ein neues Ankunftszentrum am ehemaligen Flughafen Tegel den Betrieb aufnehmen, in Zelten und Containern sollen dort bis zu 7.500 Schlafplätze entstehen.
Franziska Giffey, SPD
Es führen bereits „viele Busse und es fahren Züge, um insbesondere Berlin und Brandenburg, aber auch Städte wie Hamburg und München zu entlasten und Geflüchtete in andere Bundesländer zu bringen“, sagte Faeser am Freitag. Dass so viele Menschen in Großstädten ankommen, liege zu einem Großteil ganz pragmatisch an der Logistik, sagt der Osnabrücker Migrationsforscher Franck Düvell: „Die Menschen reisen dorthin, wo die Züge sie hinbringen.“
Das soll nun entzerrt werden. So einigte sich die Bundesregierung nach taz-Informationen mit Polen darauf, in den Städten Rzepin bei Frankfurt (Oder) und Wrocław zwei Sammelpunkte zu schaffen, sogenannte „Hubs“. Von dort sollen Busse und Pendelzüge koordiniert nach Deutschland geleitet werden. Zu einer zentralen Ankunftsstelle soll Cottbus in Brandenburg werden.
Pro Asyl warnt davor, die Menschen ausschließlich mit Blick auf die Kapazitäten der Länder zu verteilen. „Statt nach einem starren Schlüssel zu handeln, müssen die Bedürfnisse der Betroffenen berücksichtigt werden“, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt. In Deutschland leben rund 331.000 Menschen mit einem ukrainischen Migrationshintergrund. Viele nun Flüchtende kämen bei Angehörigen und Verwandten unter, sagt auch der Migrationsexperte Düvell. „Da passiert eine automatische Umverteilung von unten, übrigens auch in kleinere Städte und Dörfer. Und es ist mit Blick auf die psychosoziale Lage der Menschen auch viel besser als eine Unterbringung in großen Unterkünften.“ Düvell plädiert dafür, dass Bund und Länder diese Prozesse unterstützen.
In Berlin ist genau das geplant: Wer eine Anschrift in Berlin angeben könne, weil er zum Beispiel bei Verwandten unterkomme, solle unbürokratisch Zugang etwa zu einer Arbeitserlaubnis bekommen, sagte Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) am Dienstag. Diese Menschen sollten Berlin dann bei der Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel angerechnet werden.
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