Ukraine in der Gegenoffensive: Russland verliert erste Gebiete
Bei Kiew und bei Cherson drängt die Ukraine die Gegner zurück. Doch Russland mobilisiert wohl bereits neue Truppen.
Die ukrainischen Streitkräfte erzielen offenbar immer mehr militärische Erfolge gegen die russische Invasionsarmee. Vor allem rund um die Hauptstadt Kiew soll es zu deutlichen Rückschlägen für Russland gekommen sein. Am Mittwochnachmittag berichteten ukrainische Stellen, dass der Kiewer Vorort Irpin wieder „fast vollständig“ unter ukrainischer Kontrolle sei. Die Stadt nordwestlich von Kiew markierte bisher den weitesten Vorstoß der russischen Truppen aus Belarus heraus auf der westlichen Seite des Flusses Dnipro in Richtung der ukrainischen Hauptstadt.
Am Dienstagnachmittag hatten die ukrainischen Truppen bereits den Ort Makariv auf der Westseite des russischen Vorstoßes zurückerobert. Den russischen Verbänden, die sich nordwestlich von Kiew in Orten wie Butscha und Hostomel festgesetzt haben, drohe nun die Einkesselung, hieß es am Mittwochabend in der täglichen Lageeinschätzung des britischen Verteidigungsministeriums. Auf der östlichen Seite des Dnipro soll die Ukraine die russischen Truppen um bis zu 35 Kilometer zurückgeworfen haben, bestätigten US-Militärangaben am Donnerstag entsprechende ukrainische Berichte vom Vortag.
Im Süden des Landes rücken ukrainische Truppen derweil auf Cherson vor. Cherson ist seit 2. März unter russischer Kontrolle und die größte von Russland in diesem Krieg eroberte Stadt. Ein CNN-Reporter berichtete am Donnerstag aus dem Dorf Posad-Pokrovske, das auf der Straße nach Cherson etwa auf halber Strecke von Mykolaiv liegt, wo die Ukraine vergangene Woche einen russischen Vorstoß abgewehrt hatte. Das Fernsehteam half bei der Evakuierung zurückgebliebener Dorfbewohner, die die russische Besatzung erlebt hatten und nun von den zurückgewichenen russischen Truppen beschossen worden sind.
In Cherson selbst, wo die Bevölkerung täglich gegen die russische Besatzung auf die Straße geht, hängten Protestierende als Zeichen des Widerstands eine gigantische ukrainische Flagge am Verwaltungsgebäude auf.
Die Ukraine warnt vor weiteren russischen Einheiten
Im Hafen von Berdjansk westlich von Mariupol am Asowschen Meer geriet das russische Landungsschiff „Saratow“ aus noch ungeklärter Ursache in Brand. Videoaufnahmen zeigten, wie das Schiff regelrecht explodierte und hohe Flammen und dichter Rauch aufstiegen. Die „Saratow“ ist eines der Herzstücke der russischen Schwarzmeerflotte und spielte eine zentrale Rolle beim russischen Militäreinsatz in Syrien ab 2013. Über Berdjansk läuft der Nachschub für die russische Eroberung des eingekesselten und fast vollständig zerstörten Mariupol, dessen Verteidiger weiterhin den Großteil der Stadt halten.
In Mariupol und anderen Städten setzte Russland seine Luft- und Raketenangriffe fort. In Charkiw starben nach Angaben der Stadtverwaltung sechs Menschen beim russischen Beschuss einer Warteschlange vor einem Postamt, das als Verteilungszentrum für Hilfsgüter diente.
Russlands Regierung erklärte derweil, die sogenannte Spezialoperation verlaufe nach Plan. Auch ukrainische Regierungsstellen warnten, Russland habe seine Pläne nicht aufgegeben. Neue russische Einheiten seien in Belarus und auf der Krim eingetroffen, um die bereits in die Ukraine entsandten zu verstärken. Die russischen Truppen stellten sich auf einen „Abnutzungskrieg“ ein, sagte der ukrainische Präsidentenberater Mykhailo Podoliak dem Kyiv Independent.
Der Generalstab in Kiew erklärte auf Facebook, seinen Informationen zufolge „hat die militärisch-politische Führung der Russischen Föderation beschlossen, ihre Pläne für weitere Feindseligkeiten auf dem Territorium der Ukraine anzupassen, angesichts der Tatsache, dass die vor dem Krieg mit der Ukraine gesetzten Ziele nicht pünktlich erreicht wurden“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett