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Ukraine fordert EU-BeitrittEin langer Weg

In einer emotionalen Rede hat sich der ukrainische Präsident an das Europaparlament gewendet. Einen EU-Blitz-Beitritt soll es jedoch nicht geben.

Blau-gelbe Outfits als Zeichen der Solidarität mit der Ukraine im Europa-Parlament Foto: Virginia Mayo/ap

Brüssel taz | Eine solche Sitzung hat das Europaparlament in Brüssel noch nicht erlebt: Fünf Tage nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine redete Staatschef Präsident Wolodymyr Selenskyj den Abgeordneten ins Gewissen. In einer Videoansprache aus dem umkämpften Kiew forderte Selenskyj eine „gleich-berechtigte“ Mitgliedschaft seines Landes in der EU.

Die EU-Parlamentarier quittierten seine Rede mit Standing Ovations. Viele Abgeordnete hatten sich Schleifen in den Farben der ukrainischen Flagge ans Revers geheftet oder Ukraine-T-Shirts übergestreift. „Wir haben uns für Europa entschieden, und ich möchte gerne von Ihnen hören, dass Sie unsere Wahl für Europa teilen“, rief Selenskyj aus.

Doch die Antwort fiel nicht so klar aus, wie er gehofft haben dürfte. „Wir erkennen die europäische Perspektive der Ukraine an“, sagte Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. Das Beitrittsgesuch werde ernsthaft geprüft, erklärte EU-Ratspräsident Charles Michel. Der Rat werde sich „seiner Verantwortung nicht entziehen können“.

Einen Blitz-Beitritt wird es jedoch nicht geben. „Es liegt noch ein langer Weg vor uns“, stellte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen klar, die noch am Montag vorgeprescht war und große Erwartungen geschürt hatte. Bisher ist die Ukraine nur durch ein Assoziierungsabkommen an die EU gebunden.

Für einen Beitritt sind viele Schritte nötig, die in der Regel viele Jahre dauern und manchmal – wie in der Türkei – sogar in eine Sackgasse führen. Neben der Türkei warten auch die Länder des westlichen Balkans auf die begehrte Eintrittskarte für den europäischen Club. 20 Jahre nach Ende des Jugoslawienkriegs haben sie ihr Ziel immer noch nicht erreicht.

Man führt keinen Krieg, um den Krieg zu beenden

Martine Aubry, Ko-Chefin der Europäischen Linken

Unter dem Bombenhagel des russischen Angriffskrieges wird es bestimmt keinen Beitritt geben, da sind sich alle in Brüssel einig. Doch unterhalb dieser Schwelle scheint alles möglich. Alle Fraktionen des Europaparlaments – von ganz links bis ganz rechts – stellten sich hinter die Ukraine und ihr Streben nach Freiheit und Demokratie.

„Wir sind voller Bewunderung für die Ukraine und für Selenskyj, Europa erlebt seinen Kiew-Moment“, sagte der Chef der größten Parlamentsfraktion, Manfred Weber (EVP). Noch emotionaler äußerte sich von der Leyen. Sie redete Selenskyj mit seinem Vornamen Wolodymyr an und versprach humanitäre Hilfe in Höhe von 500 Millionen Euro.

Die Mittel aus dem EU-Budget sollen sowohl innerhalb der Ukraine als auch für die Flüchtlinge eingesetzt werden. Sie kommen zu weiteren 500 Millionen Euro hinzu, mit denen die EU Kriegswaffen für das umkämpfte Land beschaffen will. Das Geld aus der sogenannten Europäischen Friedensfazilität war erst am Montag freigegeben worden.

Die entschlossene Reaktion der Europäer habe Kremlchef Wladimir Putin sicherlich überrascht, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Der Krieg werde aber nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Sanktionen geführt. Es gehe darum, „die Kräfte des Bösen“ zu schlagen – deshalb werde die EU sich noch mehr Verteidigungskapazitäten zulegen.

Allerdings blieb Borrell eine Antwort auf die Frage schuldig, ob und welche Fehler die EU gemacht haben könnte – und wie es nun weitergehen soll. Mehrere Abgeordnete wiesen darauf hin, dass man sich in der Energiepolitik zu sehr von Russland abhängig gemacht habe. Die Ko-Chefin der Linken-Fraktion, Martine Aubry, warnte davor, allein auf Vergeltung zu setzen.

„Man führt keinen Krieg, um den Krieg zu beenden“, sagte sie unter Anspielung auf die harten Wirtschaftssanktionen. Die EU dürfe sich nicht auf Putins „schreckliches Spiel“ einlassen. Das Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ führe in diesem Konflikt nicht weiter, am Ende müsse eine diplomatische Lösung stehen.

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5 Kommentare

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  • Die Lieferung von Waffen an die Ukraine war ein großer Fehler. Auch bei Wirtschaftssanktionen sollte man nicht überstürzt handeln.



    In den Jahren, in denen Gorbatschow in Russland an der Macht war, wurde der Kapitalfehler begangen, die NATO vor die Haustür Russlands zu holen, obwohl die Gelegenheit hätte genutzt werden sollen, Natur und Zweck der NATO zu ändern und vor allem Russland eng mit Europa zu verbinden. Russland gehört in der Tat zu Europa, und die Idee, es in die Ecke zu drängen, war und ist einfach unklug wenn nicht einfach töhrichte. Jetzt geht es darum, dieses Fehler zu korrigieren, das vor allem deshalb geschehen ist, weil die USA und Russland ein Spiel mit dem Leben von uns Europäern gespielt haben und noch spielen. Es war eine echte Sünde der Hybris, die, das muss man sagen, vom "Westen" und denjenigen, die ihn führten, begangen wurde. Vor allem der größten Macht des Westens. Diejenigen, die über mehr Weisheit, Reife und Urteilsvermögen verfügen, müssen es nun nutzen. Diejenigen, die mehr haben, müssen mehr geben.



    Das ist der moralische Imperativ, nicht die Berufung auf abstrakte Prinzipien. Die Berufung auf abstrakte Prinzipien in Zeiten wie diesen signalisiert nur einen Mangel an gutem Willen, Zugeständnisse zu machen, um Frieden in Europa zu erreichen. Jeder Mensch guten Willens hingegen muss in erster Linie den Frieden und ein sofortiges Ende der Militäraktionen wollen und muss auch in diesem Sinne handeln, insbesondere wenn er Regierungsverantwortung trägt.



    Dies ist eine Verpflichtung, die jeder von uns gegenüber seinen Kindern und der jüngeren Generation hat, die in erster Linie leben will.



    Ich hoffe, dass der Papst an die Patriarchen der russischen und ukrainischen Kirche appellieren wird, die Bevölkerung zum Frieden zu bewegen. Ich hoffe auch auf die Vermittlung durch maßgebliche Persönlichkeiten wie die Altbundeskanzlerin Angela Merkel oder Gerhard Schröder oder auch den ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi

  • Und Boris J hat sich dafür ausgesprochen, dass die Ukraine in die EU gehört.....

    • @fly:

      Boris Jelzin? Boris Johnson?

  • Machen wir uns nichts vor, der EU Beitritt jetzt wäre ein Hebel den Konflikt auf die Ebene EU-Russland heben. Das wäre der direkte Kriegseintritt Europas. Einen Beitritt nach dem Krieg wird es nicht geben, allein weil die Chancen auf einen ukrainischen Sieg verschwindend gering sind, bestenfalls bleibt eine Restukraine bestehen, die kann dann, wegen eines permanenten Konflikts mit Russland ebenfalls nicht Mitglied werden.



    Das ist aus Selenskijs Perspektive ein Versuch die Ukraine zu retten, aus europäischer Sicht aber nicht erfüllbar, so lange wir keinen Atomkrieg wollen.

    • @nutzer:

      Was ist in einem Guerilla-Krieg denn ein "Sieg", wie Sie es nennen? Ich glaube nicht, dass der losgetretene Konflikt für Russland auf absehbare Zeit militärisch lösbar ist. Putin ist in einer Sackgasse. Es könnte daher - mit oder ohne EU-Beitritt - schon so sein, dass der verzweifelte greise Putin sein eigenes Volk mit sich in die Hölle nehmen will. Aber dann müsste ja auch der Verteidigungsminister, der den zweiten Code hat, diesem erweiterten Suizid noch zustimmen.