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Überwachung von LinksextremenRüge für Big Brother

Jahrelang überwachte das Bundeskriminalamt Telefongespräche und Mailverkehr von drei Berlinern. Der Bundesgerichtshof stufte die Überwachung nun als rechtswidrig ein.

Uneingeschränkte Überwachung: Gegen drei Männer, die das Bundeskriminalamt der "militanten gruppe" zuordnete, reizte man alle Mittel aus. Bild: ap

BERLIN taz | Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) hat die jahrelange, rechtswidrige Überwachung dreier Berliner aus der linksradikalen Szene scharf kritisiert. "Für die Betroffenen bedeuten die Telefonüberwachungen und Observationen massive Verletzungen ihrer Persönlichkeitsrechte über viele Jahre hinweg", teilte der Bürgerrechtsverein am Wochenende mit.

Die Sicherheitsbehörden hatten vermutet, dass die drei Männer Mitglieder oder gar Gründer der linksextremen "militanten gruppe" seien und spähten von 2001 an tausende Telefongespräche und E-Mails aus, überwachten Hauseingänge per Video und Autos mit GPS-Peilsendern. Der Bundesgerichtshof hat dieses Vorgehen von Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft nun als "rechtswidrig" bewertet (taz vom 19.6.). Es habe "zu keinem Zeitpunkt ein ausreichender Tatverdacht" bestanden, befanden die Richter.

Kritik übt der Anwaltszusammenschluss RAV daran, dass im Juli 2001, als die Bundesanwaltschaft beim Ermittlungsrichter erstmals die Überwachung beantragte, ein entlastendes BKA-Gutachten nicht erwähnt wurde. Und obwohl die nachfolgenden Ermittlungen weitere entlastende Details erbrachten, seien die Maßnahmen wieder und wieder verlängert worden. Eine jahrelange Überwachung "allein aufgrund von Vermutungen und politischer Orientierung" sei nicht hinnehmbar, so der RAV. Das Ermittlungsverfahren gegen die drei war erst im September 2008 eingestellt worden.

Markus H., einer der überwachten Männer, empfindet angesichts des BGH-Beschlusses eine "echte Genugtuung". Gleichzeitig zeigte er sich verwundert, was für einen Aufwand die Sicherheitsbehörden betrieben. "Was da angestellt wurde, war der Hammer", sagte er der taz. "Ich bin empört, natürlich." Die linksradikale Gefangenenhilfsorganisation "Libertad", der die drei Betroffenen angehören, sprach von einem "Orwellschen Programm".

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9 Kommentare

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  • J
    jps

    Zu diesen Vorgängen erklärt der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV):

     

    Es ist nicht hinnehmbar, dass allein aufgrund von Vermutungen und politischer Orientierung Personen über einen Zeitraum von mehr als sieben Jahren rechtswidrig überwacht werden können. Mit dem Beschluss erweist sich die richterliche Vorabkontrolle von Telefonüberwachungen und Observationen, die rechtswidrige Überwachungsmaßnahmen eigentlich verhindern sollte, wieder einmal als weitgehend wirkungslos.

     

    Aus Sicht des RAV ist es nicht ausreichend, die Staatsanwaltschaften zu verpflichten, auch entlastende Umstände in ihren Anträgen vollständig wiederzugeben. Gerade bei länger andauernden heimlichen Ermittlungsmaßnahmen muss der Ermittlungsrichter eine eigenständige Prüfung anhand des gesamten Akteninhalts vornehmen. Eine nur nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit, wie sie der Bundesgerichtshof jetzt ausgesprochen hat, ersetzt auch nicht den Schutz der Betroffenen vor tiefen Grundrechtseingriffen.

     

    Dass die Richter am Bundesgerichtshof derart deutliche Worte finden ist richtig und überfällig. Es lässt aber befürchten, dass auch in anderen Verfahren ähnlichen Hintergrundes das Funktionieren der rechtsstaatlichen Institutionen zweifelhaft ist und insbesondere von Seiten der Generalbundesanwaltschaft massiv gegen Grundrechtsgarantien verstoßen wird.

     

    Für die Betroffenen bedeutet die Telefonüberwachungen und Observationen massive Verletzungen ihrer Persönlichkeitsrechte über viele Jahre hinweg.

     

    http://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/ueberwachung-rechtswidrig-generalbundesanwalt-beruecksichtigte-entlastendes-material-nicht-140/

  • J
    jps-mm

    Verfolgerwahn

     

    Von Christian Bommarius

     

    Was ist ein Unverdächtiger? Ein Unverdächtiger ist ein Verdächtiger, der sich dem Verdacht mit List und Tücke erfolgreich entzieht. Was sind staatliche Überwachungsmaßnahmen? Von den Sicherheitsbehörden veranlasste und von einem Richter genehmigte Ermittlungsmethoden, die sich umso intensiver gegen Unverdächtige richten, je weniger sich ihnen gegenüber - infolge ihrer List und Tücke - ein Verdacht begründen lässt. Und was ist der grundrechtlich verbürgte Schutz der Privatsphäre? Er ist das Papier nicht wert, auf dem er steht, wenn das die Perspektive ist, mit der die Sicherheitsbehörden in Deutschland ihre Arbeit verrichten.

     

    Jahrelang haben die Bundesanwaltschaft, das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz drei Männer lückenlos ausgespäht, haben Telefonate abgehört, E-Mails gelesen, ein Auto verwanzt, haben die Privatsphäre von drei Menschen vernichtet, weil sie glaubten, diese seien Gründer einer kriminellen Vereinigung, der "militanten gruppe". Belastendes haben sie nie gefunden, aber sie glaubten, das sei nur eine Frage der Zeit; Entlastendes haben sie unterschlagen, weil sie glaubten, das störe den Gang der Ermittlungen, beeinträchtige also ihren Glauben an das Entstehen des Verdachts. Natürlich, Glaube kann Berge versetzen; hier hat es nur dazu gereicht, die Vorschriften der Strafprozessordnung beiseitezuschieben.

     

    Das rechtsstaatliche Versagen der Sicherheitsbehörden ist zwar nicht die Regel, aber auch keine rare Entgleisung, die das Funktionieren des Ganzen eher bestätigt als in Frage stellt. Der BGH-Ermittlungsrichter hat die Überwachungsmaßnahmen über die Jahre hinweg rund 40 Mal ohne zu zögern bestätigt, obwohl - wie jetzt der 3. Strafsenat des BGH befand - "zu keinem Zeitpunkt" ein ausreichender Tatverdacht bestand. Derjenige, der die Sicherheitsbehörden von ihrem Verfolgerwahn hätte kurieren müssen - der Ermittlungsrichter des BGH - , war selbst von ihm befallen.

     

    http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/meinung/2769385_Leitartikel-Verfolgerwahn.html

  • T
    Timocracy

    "Linksradikal" ist in Augen des Verfassungsschutz doch jeder, der nur noch den Besitz eines gesunden Menschenverstandes vorweisen kann...

  • W
    willy

    Was sagt Herr Gauck eigenlich dazu?

  • J
    jps

    Mit der Merkel werden Menschenrechtsverletzungen schwerster Art unverändert fortgesetzt:

     

    Im Jahr 2005 stellte die Merkel das Programm für die Legislaturperiode unter das Motto "Mehr Freiheit wagen". Tatsächlich aber hat die Merkel in den letzten 4 Jahren u.a. dafür gesorgt, dass

    - die Bürgerrechtsverletzungen schwerster Art unverändert fortgesetzt wurden,

    - die dafür verantwortlichen Rechtsbrecher systematisch der Strafverfolgung entzogen wurden,

    - mittels Vorratsdatenspeicherung sämtliche Verbindungsdaten von Internet- und Handy-Verbindungen über einen Zeitraum von 6 Monaten gespeichert werden,

    - das BKA eigenmächtig - ohne Beaufsichtigung durch einen Staatsanwalt -präventive Ermittlungen ohne konkreten Tatverdacht durchführen darf,

    - die Befugnisse des BKA zu Lauschangriffen auf Wohnungen nochmals deutlich ausgeweitet wurden,

    - das BKA auch die Befugnis für Video-Überwachungen von Wohnungen erhalten hat,

    - die Durchsuchung und Überwachung von Computern im Wege der sogenannten Online-Durchsuchung zulässig ist.

     

    Die Merkel hat die Bürgerrechte vollständig ausgehöhlt und die letzten Restbestände der Verfassung faktisch außer Kraft gesetzt.

     

    Die Merkel hat den Begriff "Freiheit" damit vollständig entkernt. Deutschland ist schon längst ein asozialer Unrechtsstaat. Und das muss man direkt ansprechen.

  • N
    Nero

    Natürlich werden die Ermittlungsbehörden in all den Jahren schon kapiert haben, dass in Wahrheit gar kein Verdacht bestand - nie bestand. Sehr bedenklich, denn es muss einem den Gedanken nahelegen, dass der Verfassungschutz massiv zu politischen Zwecken missbracht wird. Das erfordert mehr als ein vorübergehendes Stirnrunzeln.

     

    Da ist ein Untersuchungsausschuss fällig und eine strengere Überwachung von Behörden, die sich vom Rechtsstaat verabschiedet haben. Aber leider ist der Verfall des Rechtsstaates und des Sozialstaates bei der neudeutschen Dekadenz schon an der Tagesordnung. Wer soziale Ziele in der Öffentlichkeit nennt, gilt nicht mehr als Freund des Sozialstaatsprinzips. Er gilt als Feind der Verfassung. Ein beschämender Zustand unseres Gemeinwesens.

     

    Da hilft nur eins: Nicht nachgeben und den Teufel an den Hörnern packen.

  • WW
    Wilder Wusel

    Da zeigte sich mal wieder eine völlig überzogene Handlungsweise was die sogenannte Terrorüberwachung betrifft.In diesem Land muss nur jemand denunziert werden und schon wird er überwacht;das ganze nennt man dann noch Präventivmassnahme. Wir sind mittendrin,in der **Schönen neuen Welt**.

  • F
    fnord

    linksextrem, linksradikal, linksextrem, linksradikal: warum werde ich das gefühl nicht los, dass diese adjektivhäufung analog zur wortwahl der hier eigentlich zu kritisierenden staatlichen repressionsorgane ausschließlich pejorativ gemeint ist? shame on you.

  • MS
    Martin Schmitz

    Ich habe diesem Staat noch nie getraut. Gerade hörte ich, dass der Wirtschaftspakt der OECD die BRD Mitte der 90ziger Jahre als den korruptesten Staat der Erde eingestuft hat. Heute liegen wir auf der gleichen Stufe wie Uganda, ein Skandal.

    Man maßt sich an, andere Staaten als Unrechts- oder Schurkenstaaten zu beschimpfen und ist nicht viel besser.