Überwachung von Corona-Regeln: Abstandskontrolle vom Balkon
Diese jungen Leute spucken uns ins Gesicht. Wie die Corona-Krise den Generationskonflikt verschärft und nicht nur das Beste im Menschen herausbringt.
W ir sitzen in der Sonne auf unserem Balkon hoch über der Stadt, als ich unten auf dem schäbigen kleinen Grünstreifen vier junge Menschen dicht nebeneinandersitzen sehe, und das in Sichtweite einer dieser mobilen Polizeiwachen, die dort zurzeit über die Einhaltung der Schutzmaßnahmen zu wachen vorgeben.
Ich glaube nicht, dass das eine Familie oder eine WG ist, sage ich zu meiner Frau, die sicher ebenso empört ist, auch wenn man es ihr nicht anmerkt. Ich hätte jetzt wahnsinnig gern ein Megafon, um laut herunterzuquäken: „Heda! Halunken! Sofort auseinander, ihr Pestknechte!“ Denn das ist es, was ich hier tun kann – es ist im Grunde sogar meine verdammte Pflicht.
Die Ordnungsmacht scheint nicht die Bohne daran zu denken, dem schädlichen Treiben ein Ende zu bereiten. Wie in der Pause zwischen zwei Corridas aalen sich die Bullen untätig in der Sonne. Manchmal frage ich mich, wozu ich überhaupt Steuern bezahlen würde, wenn ich denn genug verdiente. Muss ich hier jetzt die 110 anrufen oder wie? Oder 911 oder wie war gleich noch mal diese Virus-Hotline? Was für eine Zumutung!
Miesepeter-Fünfkampf
„Schschsch!“, mache ich, erhebe mich kurz von meinem Balkonstuhl und wedle ausholend mit den Händen, um die Straftäter zu verscheuchen, nur ist das auf die Entfernung aussichtslos. Meine Frau schlägt vor, ich könne doch einen vollen Pisseeimer runterschütten, aber die Strolche sitzen gut und gern siebzig Meter Luftlinie von hier.
Wenn ich das draufhätte, wäre ich statt auf dem Balkon wahrscheinlich eher im Trainingslager für die Olympischen Spiele – falls die jemals wieder stattfinden. Da übe ich dann für den Miesepeter-Fünfkampf aus Pisseeimerweitwurf, Querfeldeinverpfeifen, Mittelgewichtspetzen, Viererdenunzieren ohne Steuermann und 3.000-Meter-Beschwerdelauf.
Kann man wirklich nichts machen? Die Wichte entwickeln vor unseren Augen eine kriminelle Energie, die man in dieser Dimension nicht für möglich gehalten hätte. Den Schutzwall, den Virologen, Gesundheitsminister und Behörden im Schweiße ihres Angesichts für uns alle aufgebaut haben, reißen sie hier allein mit einem verächtlichen Achselzucken wieder ein.
„Wir scheißen auf eure Gesellschaft“, spucken uns diese jungen Leute unmissverständlich ins Gesicht, „wir möchten euch tot sehen, so bald, so viele und so qualvoll wie möglich. Danach tanzen wir auf euren Gräbern, zu viert, zu vierhundert, zu vierhunderttausend, mit Fahrrädern, ohne Masken und dicht beieinander wie Sardinen des Satans.“ O Gott, wie ich sie hasse!
Die Dame Corona in Teufels Küche
Die Gesetze sind schließlich für alle da. Wo kämen wir hin, wenn das jeder so machen würde? Wir kämen direkt in Teufels Küche. Dort stünde die Dame Corona mit einer schwarzen Küchenschürze am Herd und brockte uns ein fettes Süppchen ein, aber hallo! Und zwar mit ordentlich Pfeffer unterm Arsch und Radieschen von unten.
Während ich überlege, dass ich gerade Hunger bekomme, stehen dort unten endlich die Verbrecher auf. Bestimmt denken sie, dass hier im Viertel eh bald alle tot sind. Nun wird es ihnen langweilig, sie ziehen weiter, um ihr Mordhandwerk woanders fortzusetzen. Zwei gehen als Paar dicht nebeneinander, vereinzelt folgen die andere Frau und der andere Mann mit Abstand. Die Fahrräder schieben sie, direkt an den Polizisten vorbei.
Wenn ich die wäre, würde ich das spätestens jetzt genau überprüfen. „Kann ich bitte mal ihre Fickkarte sehen?“, spräche ich das „Paar“ an. Das folgende Gestotter möchte ich aber mal hören, da würde ich gern Mäuschen spielen. Und dann ab ins Gefängnis. Ordnung muss sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind