Übersterblichkeit in der Pandemie: Wie Staaten ihre Coronatoten zählen
Länder berechnen die Zahl ihrer Toten unterschiedlich. Die WHO hat die Zahlen vergleichbar gemacht. Das zeigt das Ausmaß der Pandemie.
In den Jahren 2020 und 2021 sind weltweit 5,4 Millionen Menschen an Corona gestorben. Jedenfalls geben das die Gesundheitsbehörden der Staaten so an. Aber wie viel getestet werden kann und was überhaupt als „Todesfall durch Corona“ gilt, ist von Land zu Land unterschiedlich. Deswegen hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Übersterblichkeit 2020 und 2021 modelliert, um das Ausmaß der Pandemie festzustellen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die WHO-Forscher*innen in der Fachzeitschrift Nature.
Die Studie
Mit Übersterblichkeit meint die WHO, wie viel mehr Menschen 2020 und 2021 gestorben sind, weil es die Coronapandemie gab. Darunter fallen auch alle Toten, die nicht an Covid-19 gestorben sind, sondern die zum Beispiel wegen überlasteter Krankenhäuser keine ausreichende Versorgung bekommen haben, also indirekte Opfer der Pandemie sind. Dafür mussten die Forscher*innen zwei Zahlen vergleichen: wie viele Menschen 2020 und 2021 tatsächlich gestorben sind, und wie viele Menschen ohne Pandemie gestorben wären.
Die zweite Zahl ergibt sich relativ leicht aus den Sterblichkeitsdaten für die Jahre 2015 bis 2019, wenn es sie gibt. Für Länder, die keine einheitlichen Daten erheben, haben die Forscher*innen anhand verschiedener Indikatoren die Sterblichkeit modelliert und mit Ländern abgeglichen, deren Daten vorlagen. Wie viele Menschen 2020 und 2021 tatsächlich gestorben sind, haben die Wissenschaftler*innen mit dem Einkommen der Länder, verschiedenen Gesundheitsindikatoren, der Temperatur und dem Anteil positiver Coronatests berechnet. Wie groß der Unterschied zwischen gemeldeten und modellierten Zahlen war, hing vom Land ab: In Indien war er sehr groß, in Deutschland minimal.
Die WHO geht auf Grundlage dieser Modelle von 13,23 Millionen bis 16,58 Millionen Coronatoten weltweit aus, also bis zu dreimal mehr als offiziell gemeldet. Im Jahr 2021 starben 18,3 Prozent mehr Menschen als in einem pandemielosen Jahr, 2020 waren es 8 Prozent mehr. Das erklären die Forscher*innen vor allem damit, dass sich das Virus erst 2021 in Indien verbreitete, das die höchste Übersterblichkeit weltweit zu verzeichnen hat. In Deutschland starben laut Studie 101.000 bis 143.000 Menschen, was in etwa auch der deutschen Schätzung entspricht.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Was bringt’s?
Die Forscher*innen warnen davor, anhand der Daten voreilige Schlüsse über die Coronapolitik einzelner Länder zu ziehen. Die Altersstruktur, Bevölkerungsdichte, Kultur, Infektiösität der verschiedenen Varianten und die Reaktion der Bevölkerung auf Infektionsschutzmaßnahmen seien ebenso wichtig. Die WHO-Studie kann aber dazu dienen, den Blick in die richtige Richtung zu lenken: Wen hat die Pandemie besonders stark getroffen, und wen nicht? Und woran liegt das genau? Dieser Frage müssen sich Wissenschaftler*innen als Nächstes zuwenden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“