piwik no script img

Überschwemmungen in EuropaLuft voller Wasser

Nick Reimer
Kommentar von Nick Reimer

Die gewaltigen Regenmengen in Mitteleuropa lassen sich auf eine Fünf-B-Wetterlage zurückführen. Wie ist der Zusammenhang mit dem Klimawandel?

Über dem viel zu warmen Mittelmeer entwickeln sich heftige Unwetter Foto: Bernd März/imago

U rsache des Starkregens war wieder eine Fünf-B-Wetterlage“, sagt Marco Manitta, Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst DWD. Fünf-B heißt in der Fachsprache „Vb“, die Bezeichnung steht für die Zugbahn eines Tiefdruckgebiets: Über dem Mittelmeer saugt sich die Luft voller Wasser, die dann über Slowenien Richtung Ost-Mitteleuropa gelangt und viel Regen mit sich bringt.

Mit bis zu 170 Millimeter Niederschlag fiel mancherorts binnen 24 Stunden in Tschechien so viel Regen wie sonst in drei Monaten. Ein Millimeter im Messbecher entspricht einem Liter Wasser pro Quadratmeter, die Behörden rechneten in Prag am Sonntag mit 1.000 Kubikmetern Moldauwasser pro Sekunde – und was dort fließt, kommt wenig später in Dresden an.

Auch an der Donau steigen die Pegel, an der Kamp, einem niederösterreichischen Zufluss der Donau, befürchten die Behörden ein 100-jährliches Hochwasser. Niederösterreich wurde zum Katastrophengebiet erklärt, in Tulln an der Donau kam ein Feuerwehrmann im Einsatz ums Leben. Landeshauptfrau (Ministerpräsidentin) Johanna Mikl-Leitner sprach von den „schwersten Stunden ihres Lebens“ für viele Menschen in dem Bundesland.

„Wieder eine Fünf-B-Wetterlage“, sagt Wetterexperte Manitta, weil vorherige Vbs schwere Überschwemmungen zur Folge hatten: Das Oderhochwasser 1997 war genauso ein Vb wie das Elbehochwasser 2002, die Fluten an Elbe und Oder im Jahr 2013 genauso wie die Überschwemmung in Slowenien und Kärnten 2023 und einige kleinere Katastrophen zwischendurch, wie das Alpenhochwasser 2005 oder die Flut in der Sächsischen Schweiz 2010.

Indizien und Kalter Krieg

Fragt sich: Was ist die Ursache für diese ungewöhnliche Wetterlage? „Die Wassertemperatur im Mittelmeer bewegte sich Anfang September auf Rekordkurs“, sagt Marco Manitta. Je wärmer die Oberflächentemperatur ist, umso mehr Wasser verdampft. Dazu kommt, dass dieses Tiefdruckgebiet zwischen zwei Hochs im Westen und Osten „eingeklemmt ist“, wie es der Meteorologe nennt: „Die Folge ist eine angespannte Dauerregen-Wetterlage.“ Entwarnung könne auch am Wochenanfang nicht gegeben werden.

Führt der Klimawandel zu einer Häufung solcher Wetterereignisse? „Dafür sprechen die Indizien“, sagt Uwe Kirsche, Sprecher des DWD. Wärmere Luft könne mehr Wasser aufnehmen, was die Wissenschaft mit der Gleichung von Clausius-Clapeyron beschreibt: Pro Grad zusätzlich speichert Luft demzufolge sieben Prozent mehr Wasserdampf. Seit 1881 ist es in Deutschland bereits rund 1,6 Grad Celsius wärmer geworden, weshalb Regenwolken heute mehr Wasser aufnehmen können. „Mehr Wasser bedeutet auch mehr Energie“, erklärt Kirsche, weshalb Vb-Wetterlagen auch mehr Zerstörung mit sich bringen.

„Allerdings gibt es noch keine wissenschaftliche Evidenz, dass die Klimaerwärmung mehr Vb-Wetter nach Mitteleuropa bringt“, sagt Kirsche. Um fundierte Aussagen treffen zu können, betrachtet die Klimaforschung mindestens 30-Jahres-Zeiträume, der Deutsche Wetterdienst stellte seine Regenmessmethode vor 2023 um. Bis dahin waren einfache Messröhrchen an mehr als 2.000 Messpunkten im Einsatz, an denen die Regenhöhe in Millimetern abgelesen wurde.

Seit 2001 werden dafür nun jene 17 Radarstationen genutzt, die während des Kalten Kriegs feindliche Kampfjets aufspüren sollten. „Dank der Radaranlagen können wir Starkregenereignisse wesentlich zuverlässiger erfassen“, sagt Andreas Becker, Niederschlagsexperte beim DWD. Und jedem Internetnutzer ermöglichen, per Wetter-Apps übers Land ziehende Regenfronten zu verfolgen.

Menschen sterben

Statistisch jedenfalls haben die Vb-Wetterlagen rasant zugenommen: Gab es sie früher einmal in einhundert Jahren, so ist dieses Vb-Tief bereits das dritte dieses Jahr. In Deutschland waren die Überschwemmungen in Rheinland-Pfalz und in Süddeutschland im Frühjahr Folgen von Vb. „Diesmal wird Deutschland vergleichsweise glimpflich davonkommen“, sagt Meteorologe Marco Manitta.

Er nennt es einen „Streifschuss“: Die Regenmassen ergießen sich weiter östlich, in Polen kam bislang ein Mensch ums Leben, in Rumänien ertranken vier Menschen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Nick Reimer
Seit 1998 bei der taz (mit Unterbrechungen), zunächst als Korrespondent in Dresden, dann als Wirtschaftsredakteur mit Schwerpunkt Energie, Klima und Landwirtschaft, heute Autor im Zukunftsressort.
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Neu hinzugekommen ist nun die Rekorderwärmung der Ozeane. Immer mehr Meerwasser (dass wir mühsam und mit viel Liebe erhitzt haben ☺) verdunstet und muss auch wieder abregnen.



    Mit den Ozeanen verlieren wir einen wichtigen Kühlungseffekt.



    Und hören doch nicht auf, unser Treibhaus weiter zu beheizen.

  • 7% mehr Feuchtigkeit je 1 Grad wärmer. Bei 1,6 Grad entspricht das ca. 10%. Das ist nicht wenig, macht auch nicht das Hochwasser aus.

    • @Thomas Fluhr:

      Es ist ja so, dass diese 1,6°C ein Durchschnittswert sind. Der August 2024 lag in Mittel- und Südeuropa aber eher 3°C über dem Durchschnitt.

      it-online.co.za/20...rd-as-hottest-yet/

      Da nimmt so ein Tiefdruckgebiet über dem Mittelmeer also schonmal 20% mehr Wasserdampf auf, als es dies ohne die globale Erwärmung tun würde.

      Ich arbeite gerne mit Bildern, damit man sich das als Normalbürger*in besser vorstellen kann:

      Die Wassermenge, die so ein Vb-System transportieren kann, ist ja entscheidend für die Wucht der Überschwemmungen.



      Was da aktuell in Österreich, Tschechien, Polen etc. innerhalb weniger Tage abregnet ist von den Dimensionen her vergleichbar mit der Menge an Wasser, die sich im Bodensee befindet!!! Sowas lässt sich nicht managen... Was hilft ist eine Reduktion der Treibhausgasemissionen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs.

      • @Tomtorom:

        "Was hilft ist eine Reduktion der Treibhausgasemissionen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs"

        Definieren Sie "helfen". Für die aktuelle Entwicklung ist der Zug abgefahren, die Wetterkatastrophen in diesem Ausmaß sind das neue Normal. Das drehen wir leider über lange Zeit nicht mehr zurück. Eine Reduktion der Treibhausgase kann nur verhindern, dass es noch viel schlimmer kommt, als es eh schon ist. Wir Menschen haben es schon grandios verbockt, und es sieht so aus, als habe ein entscheidender Teil der Menschen immer noch nicht verstanden, was das für uns alle bedeutet, siehe Klagen wie "Klimaschutz kann /will ich mir nicht leisten, das ist nur was für woke, besserverdienende Grüne". Jetzt sieht man eben, was es kostet, wenn man keinen Klimaschutz betreibt.

  • Auch in diesen nassen Tagen liegt's an "Vb"-Wetterlagen.



    Nach Erfahrung kann schnell nützen: Am Fluss auch die Deiche schützen❗



    /www.spiegel.de/wis...-bbcf-c418f393923d

  • Danke für die gute Beschreibung der vermuteten aber mangels Beobachtungszeit noch nicht nachweisbaren Zusammenhänge zwischen Klimawandel und diesen Extremwettern.