Überprüfung der Wahl in Afghanistan: Wahlbetrug „in industriellem Ausmaß“
Der bisher zweitplatzierte Abdullah Abdullah boykottiert die Neuauszählung der Präsidentenwahl. Es seien zu wenig gefälschte Stimmen erkannt worden.
BERLIN taz | Der Überprüfungsprozess aller Wählerstimmen der afghanischen Stichwahl wird voraussichtlich erst am 10. September abgeschlossen. Dies erklärte der Chef der UN-Mission in Kabul (Unama), Jan Kubis, am Donnerstag laut seinem Büro dem scheidenden afghanischen Präsidenten Hamid Karsai. Dieser hatte erklärt, sein Amt am 2. September einem Nachfolger zu übergeben. Bis Donnerstag waren aber erst 70 Prozent der Stimmen geprüft.
In Kabul war am Mittwoch nach halbtägiger Unterbrechung die Überprüfung der Stimmen aller 22.000 Wahlurnen fortgesetzt worden. Die Unterbrechung kam durch den Rückzug des Teams des Kandidaten Abdullah Abdullah, eines früheren Außenministers. Er protestierte damit dagegen, dass zu wenige gefälschte Stimmen erkannt und aussortiert würden. „Wir haben den Überprüfungsprozess verlassen und werden nicht zurückkehren“, sagte Abdullahs Sprecher. „Die Ergebnisse werden für uns nicht akzeptabel sein.“
Der vor allem im Norden und unter Tadschiken beliebte Abdullah hatte den ersten Wahlgang am 5. April gewonnen, aber die absolute Mehrheit verfehlt. Bei der Stichwahl am 14. Juni war er dann laut vorläufigem Ergebnis dem früheren Finanzminister Ashraf Ghani deutlich unterlegen. Der gilt als Kandidat der Paschtunen. Abdullah sprach von Wahlbetrug „in industriellem Ausmaß“ und weigert sich das Ergebnis anzuerkennen. Beobachtern zufolge gab es massive Manipulationen. Doch soll es diese im Norden auch zu Gunsten Abdullahs gegeben haben.
US-Außenminister John Kerry vermittelte bereits zweimal in Kabul zwischen den Kontrahenten. Vereinbart wurde die Überprüfung aller Wahlzettel. Manipulierte Stimmen sollten für ungültig erklärt und der Verlierer an der Regierung beteiligt werden. Dazu soll ein neuer Posten geschaffen werden, vergleichbar dem eines Premierministers. Details blieben unklar.
Am früheren Bundeswehr-Standort im nordafghanischen Kundus sind schwere Gefechte mit den Taliban ausgebrochen. Der Polizeichef der Provinz Kundus sagte dpa am Donnerstag, die Kämpfe in den Distrikten Char Darah und Chanabad dauerten an. Derzeit seien rund 2.000 Aufständische in der Provinz. Die Taliban seien besser ausgerüstet als die Sicherheitskräfte. Die Bundeswehr war im Oktober aus Kundus abgezogen. Im Internet kursiert ein Bild, das die Taliban-Flagge auf einem angeblich früheren deutschen Außenposten zeigt. Laut Bundeswehr-Einsatzführungskommando ist unklar, wo der Turm auf dem Foto stehe. (dpa)
Auch Ghani zieht sich zurück
Nach Abdullahs Rückzug überzeugte die von der Wahlkommission hinzugezogene UN-Mission auch Ghanis Team davon, sich zurückzuziehen, damit die Überprüfung nicht einseitig wirke. Unama-Vizechef Nicholas Haysom erklärte, die Überprüfung aller Stimmen sowie eine Regierung der nationalen Einheit seien weiter der beste Weg, um ein „glaubhaftes Ergebnis und einem friedlichen Machtwechsel“ zu erreichen.
Mit seinem Rückzug zeigt Abdullah, dass er nicht mehr glaubt, per Neuauszählung Präsident zu werden. Er hatte am Dienstag ultimativ schärfere Kriterien gefordert, die mehr Stimmen Ghanis für ungültig erklärt hätten. Doch hielt sich Abdullah damit selbst nicht an bereits Vereinbartes und erscheint so auch als schlechter Verlierer. Sein Rückzug dient sicher auch dazu, bei Verhandlungen zur Machtteilung mehr herauszuschlagen.
Am 5. September beginnt in Wales der Nato-Gipfel, zu dem Karsai nicht reisen will. Auch will er das mit den USA ausgehandelte Sicherheitsabkommen anders als Abdullah und Ghani nicht unterzeichnen. Das ist Voraussetzung für die von der Nato nach Abzug ihrer Kampftruppen zum Jahresende angestrebte Ausbildungsmission ab 2015.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!