Überlastung der Bremer Erstaufnahme: Container für die Lindenstraße

In der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende sollen weitere Plätze in Mobilbauten geschaffen werden. Schon jetzt ist es dort voller als vereinbart.

in Kind blickt in Berlin aus einem Fenster der Flüchtlingsunterkunft Alfred-Randt-Straße

Mobilbauten sind seit Jahren ein Weg, Unterbringungen zu ermöglichen Foto: Soeren Stache/dpa

Bremen taz | Was derzeit in der Europäischen Union passiert, zeigt sich auch im Land Bremen: Die Zahl der Menschen, die Asyl suchen oder eine Duldung beantragen wollen, steigt. „Um den Faktor vier innerhalb eines Vierteljahres“, sagt Anja Stahmann (Grüne), Senatorin für Soziales und Integration nach Angaben des Ressorts: Im Juni seien es noch 226 gewesen; im September 826. Vor allem aus Afghanistan und Syrien kommen viel mehr Menschen an, aber auch aus den Balkan-Staaten wie Albanien und Nordmazedonien.

Auch wenn das nicht überraschend kommt, stellt es die Bremer Landesaufnahmestelle in der Lindenstraße vor große Probleme: „Die Aufnahme kann derzeit kaum mehr gewährleistet werden“, steht in einer Vorlage, die am Dienstag vom rot-grün-roten Senat beschlossen wurde. Die Regierung setzt nun auf Mobilbauten, die auf dem Parkplatz der Lindenstraße aufgestellt werden sollen, mit Platz für rund 90 Menschen.

Aber: Erst im Mai soll die Anlage fertig sein – und dieser Plan sei schon „äußerst ambitioniert“, weil Genehmigungen erteilt, der Boden befestigt, Anschlüsse verlegt werden müssten, erklärt Bernd Schneider, Sprecher des Sozialressorts. Auf einem Parkplatz hätten schon einmal Container gestanden – aber nicht solche großen, und auch nicht übereinandergestapelt. Kosten wird das Ganze für die geplante Nutzungsdauer von zwei Jahren insgesamt 1,9 Millionen Euro.

Die erste Aufnahme der ankommenden Menschen ist aufgrund der Infrastruktur nur in der Lindenstraße selbst möglich. Menschen, die Asyl suchen, ziehen vergleichsweise schnell wieder aus der Einrichtung aus – beziehungsweise werden ausgezogen, sprich umverteilt, weil Bremen seine Quote meist gut erfüllt, erklärt Schneider.

Sofia Leonidakis, Linksfraktion Bremen

„Lieber wäre uns ein richtiges Gebäude und dezentrale Unterbringung, aber da stößt man an praktische Grenzen“

Mehr Zeit bräuchten allerdings Verfahren rund um Duldungen. Sie werden von Menschen beantragt, die aus nach Bundesrecht sogenannten sicheren Herkunftsstaaten wie den Balkan-Staaten kommen. Auch sie würden verteilt werden, könnten aber vorher besondere Gründe angeben, warum sie in Bremen bleiben wollen; zudem gebe es die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen. „Für die Zeit braucht man dann einfach den Platz“, sagt Schneider. Wochen, manchmal auch Monate. Sie müssten zwar nicht in der Lindenstraße bleiben, „aber wir bieten ihnen das an, um Obdachlosigkeit zu vermeiden“.

Ein Ort zum Leben ist die Lindenstraße aber nicht: Herrschten dort schon vor der Pandemie schlechte Bedingungen, protestierten vor allem im Frühjahr 2020 immer wieder Betroffene und sich Solidarisierende für mehr Schutz und eine Schließung der Einrichtung. Zwischenzeitlich gab es dort über 300 Coronafälle. Der Senat reagierte spät.

Rein baurechtlich liegt die Kapazität der Lindenstraße und ihrer Außenstellen derzeit bei 1.264. Aufgrund der prekären Lage und wohl auch des anhaltenden politischen Drucks beschloss der Senat im August 2020, die Belegung auf 665 Menschen zu reduzieren; 250 davon sollten in der Lindenstraße selbst untergebracht sein. Bereits im Herbst letzten Jahres merkte man aber: „Die Maximalbelegung kann derzeit dauerhaft nicht eingehalten werden.“ So steht es in einer weiteren Senatsvorlage aus dem Oktober. Die Sozialsenatorin bemühte sich daher um mehr Außenstellen; derzeit gibt es vier.

Aktuell, beziehungsweise mit dem Stand vom 11. Oktober, wohnen in der Erstaufnahmeeinrichtung mit Außenstellen knapp 1.000 Menschen – also gut 300 „über der politisch vereinbarten Zahl“, so formuliert es Bernd Schneider.

Zur Überlastung dazu kommt bald auch der Umbau der Einrichtung: Ende Juni hat der Senat entschieden, dass neue, zu öffnende Fenster eingebaut werden, außerdem sollen in einem Flügel die Räume so umgebaut werden, dass sie mit der Decke abschließen und so mehr Privatsphäre und Lärmschutz bieten. Bislang diente der Flügel nur als Notunterkunft.

Der Umbau der Fenster wurde nun vorgezogen, weil dabei kein Platz eingebüßt werde; Letzteres könne jedoch erst gemacht werden, „wenn zusätzliche Platzkapazitäten in der unmittelbaren Umgebung der Landeserstaufnahme geschaffen wurden“. Also sobald die Container stehen.

Die Linke will dezentrale Unterbringung

Obwohl schon einige Maßnahmen – ein verbessertes Quarantänekonzept, mehr Personal, bessere Zusammenarbeit zwischen Aufnahmestelle und Migrationsamt – ergriffen wurden, „ist das System der Erstaufnahme deutlich überlastet“. So steht es in der Senatsvorlage von Dienstag. Und: „Es fehlen insgesamt 350 Plätze.“ Doch es kommen nur 90, und das erst nächstes Jahr. „Weitere Unterbringungsmöglichkeiten werden weiterhin gesucht und geprüft“, heißt es entsprechend weiter.

Sofia Leonidakis, Vorsitzende der Linksfraktion in der Bremischen Bürgerschaft, hält die Lösung des Senats für gangbar, wenn auch nicht ideal. „Lieber wäre uns ein richtiges Gebäude und dezentrale Unterbringung, aber da stößt man einfach an praktische Grenzen.“ Trotzdem: Im Koalitionsvertrag stehe, dass man weitere Außenstellen schaffen will. Denn die Größenordnung der Unterbringung sei „eine Belastung für die Betroffenen und bringt immer Konfliktpotenzial mit“, sagt Leonidakis.

„Wenn wir weiter so hohe Zugänge haben, müssen wir überlegen, die Bauarbeiten zu verschieben“, sagt Schneider. Ob das überhaupt geht, sei aber unklar. Und in der Senatsvorlage steht, dass man das gar nicht möchte: Schließlich seien sie „seit längerer Zeit gefordert und das Ergebnis eines umfangreichen politischen Diskurses“. Dagegen spreche auch die Unklarheit darüber, wie sich die Zuwanderungszahlen weiter entwickeln.

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