Über Silikon-Sexpuppen in Friedrichshain: Der interaktive Sex der Zukunft
Im „Cybrothel“ werden aus Bordellbetreibern jetzt KI-induzierte und -inspirierte Sexclub-Gestalter. Unser Kolumnist macht sich da so seine Gedanken.
W ir erinnern uns: Westberlin hat stets Leute angezogen, die im Rechnen eine fünf und im Malen eine eins hatten, oder im Musikmachen. Heute machen sie ein großes Kontingent bei den Obdachlosen aus.
Immer wieder haben hier KünstlerInnen auch versucht, neue Bordellformen zu entwerfen. Erinnert sei nur an die Betreiberin des Bordell-Cafés „Pssst“ Felicitas und an die drei HDK-Absolventinnen, die in Schöneberg ein SM-Bordell namens „Schwanzwaldklinik“ eröffneten. Ein Karlshorster Nachwendebordell warb auf seiner Telefonansage mit dem vieldeutigen Satz „Wir haben Verständnis für Toleranz“. Diese „Experimente“ lebten meist nicht lange.
Nun, da die rotgrüngelbe Bundesregierung verkündete: „Das Leitbild der KI-Strategie ist ein europäisches KI-Ökosystem für Innovationen“, gibt es in der Hauptstadt ein neues Experiment, in dem es um „Sex of the Future“ geht. Das aus einer Künstlerinstallation entwickelte „Cybrothel“ bietet für 350 Euro eine ganze Nacht an, um sich mit einer von elf Silikon-Puppen zu „vergnügen“. Dabei kann man sich nebenbei noch von einem Pornofilm anregen lassen. Auf Wunsch liegen Kondome parat.
„Alle Puppen sprechen fließend Deutsch und Englisch.“ Paare sind im Cybrothel willkommen. Für die Frauen liegt ein Set mit „Satisfyern“ bereit. Bezahlt wird vorab per Computer. Durch den „Buchungsprozess“ führt „Kokeshi“ – eine „analoge KI“: Sie ist „eine authentische Persönlichkeit und du kannst interaktiv mit ihr spielen,“ eine „kokeshi.ai“ ist „in Arbeit“.
Nach japanischem Vorbild
„Das Cybrothel sieht sich als Weiterentwicklung des konventionellen Puppenbordells,“ heißt es im Konzept der Betreiber. „Nach japanischem Vorbild bietet es ein immersives, erotisches Erlebnis, nämlich durch die Live-Interaktion mit einer Puppe und ihrer menschlichen Sprecherin.“
Die „lebensechten“ Puppen bestehen aus Silikon. Und das Wort „immersiv“ heißt so viel wie „Eintauchen, Einbetten, Eintritt: Bis in die 2000er Jahre wurden damit vor allem Computerspiele beschrieben, in die der Spieler regelrecht eintauchte. Er wurde also in seiner eigenen Wahrnehmung ein Teil der Spiele-Welt.“
Im „Cybrothel“ scheint es umgekehrt zu sein: Der sexuell erlebnishungrige Kunde zahlt Minimum 85 Euro für 30 Minuten mit Monika, Barbie oder Hito – „ohne ihre Stimme, nur die Puppe“. Wer sie zum Vergnügen beschädigt, muß natürlich was draufzahlen. Je realistischer sie aussieht, desto teurer ist sie. „Die Silikonpuppen werden nach jedem Gebrauch gereinigt und desinfiziert.“
Wäre man so begeistert von dieser unblutigen Abschaffung der Prostitution durch Silikon – wie etwa die Enthusiasten für das noch neue Internet und die sozialen Medien am Anfang (unter anderem der „Chaos-Computer-Club“, der Medienwissenschaftler Geert Loving und die „Digitale Bohème“), dann würde man vielleicht meinen: Im Friedrichshainer „Cybrothel“ werden aus Zuhältern oder Bordellbetreibern wieder Künstler – KI-induzierte und -inspirierte Sexclub-Gestalter. Jede Puppe hat einen Lebenslauf. So liest eine Puppe namens Paris aus ihrem Paris-Hilton-„Tagebuch“ vor und sieht ihr auch ähnlich.
„KI ist für Frauen ein Albtraum“
Wenn auch noch nicht so wie all die „wirklich“ KI-generierten Fotos und Clips u.a. mit dem „Deepfake-Pornostar“ Scarlett Johansson. Diese ist nur eine von vielen Frauen und Stars, die ProtagonistInnen von Sexvideos sind, die von künstlicher Intelligenz generiert wurden.
Die „Washington Post“ berichtet, dass ein „Deepfake“-Video, in dem Johansson zu sehen ist, allein auf einer Pornoseite über 1,5 Millionen Mal aufgerufen wurde. „KI ist für Frauen ein Albtraum“, titelte die Zeitung. „Tatsache ist, dass der Versuch, sich vor dem Internet und seiner Verderbtheit zu schützen, im Grunde ein hoffnungsloser Fall ist.
Das Internet ist ein riesiges Wurmloch der Finsternis,“ meint Scarlett Johansson. Zumal die rechtlichen Möglichkeiten, gegen „Deepfake-Pornographie“ vorzugehen, sehr begrenzt sind und die KI-Bilderflut quasi stündlich steigt. Wandert damit auch die Pornoproduktion ins Virtuelle? Und ist das „Cybrothel“ fast schon ein innovatives „KI-Ökosystem“?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos