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Über Mist-Karren, KI-Fakes und Hass im Netz

In einem internationalen Kooperationsprojekt hat die taz in den vergangenen drei Jahren zu Desinformations­kampagnen recherchiert, die eine Unterdrückung freier Berichterstattung zum Ziel haben. Auch Jour­na­lis­t*in­nen der taz sind betroffen. Ein Lagebericht

Gülle über Berlin: Durch Aktionen wie diese am 18. 12. 2023 kritisieren Land­wir­t*in­nen Politik und Medien Foto: Foto:Olaf Schuelke/imago

Von Jean-Philipp Baeck und Christian Jakob

Um zu verstehen, wie heftig sich der öffentliche Diskurs und der Hass auf Jour­na­lis­t*in­nen in den vergangenen Jahren verschärft hat, hilft ein Rückblick auf eine Episode, in die die taz einst selbst verwickelt war. Am 26. November 2019 machte sich eine Gruppe von etwa 20 Männern, Frauen und Kindern auf den Weg zum Redaktionsgebäude. Dabei hatten sie einen Trecker und eine Schubkarre voller Unrat, die sie „Goldene Mistkarre“ nannten. Auf den Haufen an Fäkalien hatten sie ausgedruckte Artikel des taz-Redakteurs Jost Maurin drapiert.

Unser Kollege Maurin, Experte für Landwirtschaftspolitik, hatte zuvor in der taz das Agrarpaket der damaligen Bundesregierung verteidigt, mit dem unter anderem neue Vorschriften zum Schutz des Wassers und der Artenvielfalt eingeführt und das Ausbringen von Gülle eingeschränkt werden sollten. Viele Landwirte waren aufgebracht – über die neuen Umweltvorschriften ebenso wie über Maurins kritische Berichte. So sehr, dass sie ihre Wut dem Redakteur an jenem Novembertag persönlich übermitteln wollten.

Damals war die Vergiftung des öffentlich-politischen Diskurses noch weniger fortgeschritten. In der Redaktion wurde die Aktion nicht sofort als persönliche Einschüchterung und Drohung interpretiert. Stattdessen, so zeigen es Videoaufnahmen, wurde den Wut-Bauern noch die Tür aufgehalten und tags darauf in aufgeschlossenem Ton in eigener Sache über die Unternehmung berichtet.

Das ist sechs Jahre her. Zwar begann die Dämonisierung der Medien bereits einige Jahre früher, bei den ersten xenophoben Pegida-Demonstrationen im Jahr 2014, bei denen der Vorwurf der „Lügenpresse“ in zeitgenössischer Form wieder aufkam, ein Vorwurf, dessen Wurzeln ins 19. Jahrhundert zurückreichen und der während der Nazizeit häufig verwendet wurde. Doch die pressefeind­liche Stimmung nahm vor allem in den jüngst vergangenen Jahren noch weiter zu.

Nur wenige Wochen nachdem die Bauern damals mit ihrer Mistkarre vor der taz aufgetaucht waren, begann die Coronapandemie. Sie wirkte wie ein Katalysator für eine gesellschaftliche Polarisierung und die Stimmung gegen fakten­basierten Journalismus. Die Aktion lag vor den Desinformationskampagnen, die die russische Invasion in die Ukraine mit dem Jahr 2022 begleiteten sollten – vor der Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter durch den Tech-Milliardär Elon Musk, vor Hackerangriffen auch auf die taz und vor Mordaufrufen gegen Jour­na­lis­t*in­nen im öffentlichen Raum, wie sie der taz-Redakteur Nicholas Potter aktuell wegen seiner Nahost-Berichterstattung erleiden muss.

Heute, nach alledem, würde ein solch unfreundlicher Besuch der Bauern in der Redaktion wohl anders aufgenommen. Auch taz-Redakteur Jost Maurin sagt: „Ich fand das schon grenzwertig, meine Artikel symbolisch auf den Mist zu werfen.“ Seit der Aktion ist ihm viel widerfahren. Maurin steht im Dauerfeuer konservativer Landwirte und rechtsextremer Influencer. Er bekommt Todeswünsche per Post, regelmäßige Hass-Kommentare unter Social-Media-Beiträge, wird in Video-Botschaften beleidigt und muss sich bis heute gegen Klagen wehren, die seine Berichterstattung zu unterdrücken versuchen. Er wird bedroht, beleidigt, eingeschüchtert.

Die persönlichen Angriffe auf Maurin kulminierten vor allem während der Welle an Bauernprotesten ab Ende 2023, die stark von Rechtsradikalen angeheizt und bei denen nicht nur Straßen und Autobahnen blockiert wurden, sondern wiederholt auch Redaktionsgebäude und Vertriebszentren deutscher Zeitungen. In Deutschland, Spanien und Belgien kam es zu verbalen und körperlichen Angriffen auf Reporter.

Die taz hat sich des Falles von Jost Maurin und der Pressefeindlichkeit der europaweiten Bauernproteste im Rahmen eines internationalen Kooperationsprojektes angenommen. Seit 2022 haben wir mit dem International Press Institute (IPI) mit Sitz in Wien und der Faktencheck-NGO Faktograf aus Kroatien zusammengearbeitet. Das Projekt namens „Decoding the Desinformation Playbook“ drehte sich um Angriffe und Hass auf Journalist*innen, die darauf abzielen, eine freie Berichterstattung zu behindern und die in ihrer Tragweite als Element systematischer Desinformation bezeichnet werden müssen.

Reportagen entstanden über die Kampagnen von Coronaleugnern, die sich auf den Lokaljournalisten Alexander Roth in Baden-Württemberg einschossen, über den Druck auf den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk am Beispiel Thüringens, über den autoritären Umbau des Mediensystems in Ungarn, über Fälle in Spanien, Italien, Kroatien und in der russischen Arktis. Wir recherchierten zu Desinformationskampagnen gegen Rechtsextremismus-Expert*innen in Rumänien und gegen die slowakische Journalistin Monika Tódová, die Opfer des ersten bekannten KI-generierten Audio-Deepfakes gegen ei­ne*n Jour­na­lis­t*in in der EU wurde. Europaweit arbeiteten die Kol­le­g*in­nen von Faktograf zudem erstmals die Erfahrungen von Faktencheckern mit Anfeindungen in einer Studie auf und erstellten mit dem IPI eine Anleitung für Redaktionen, wie auf Hasskampagnen gegen Kol­le­g*in­nen reagiert werden kann.

Klar wurde dabei: Abhängig vom jeweiligen nationalen Kontext wiederholen sich die pressefeindlichen Narrative, sind grundiert von nationalistischer, antifeministischer und antisemitischer Ideologie. Begriffe, die im medialen Diskurs einst Orientierung boten, wurden gekidnappt und in ihrer Bedeutung vom Kopf auf die Füße gestellt. Heute schimpfen Rechte über die „Mainstreammedien“ und veröffentlichen in eigenen „Alternativmedien“. Was als „Fake News“ verunglimpft wird, ist mit großer Wahrscheinlichkeit Journalismus hoher Qualität, missliebige Jouna­lis­t*in­nen und Faktenchecker werden wahlweise als „ausländische Agenten“ oder „Volksverräter“ gebrandmarkt oder als „Sprachrohr der globalen Elite“, man wirft ihnen selbst Desinformation vor. Faktenchecks werden zur „Zensur“.

Auch körperliche Angriffe nehmen zu. Eine Studie des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit in Leipzig vom April 2025 ergab einen Anstieg der physischen Angriffe auf Jour­na­lis­t*in­nen in Deutschland um 44 Prozent (98 Fälle im Jahr 2024 gegenüber 69 Fällen im Jahr 2023).

Christian Jakob und Jean-Philipp Baeck sind Reporter im Ressort „Reportage und Recherche“, dem Investigativ-Ressort der taz. Für ihre Recherche über den autoritären Umbau des Mediensystems in Ungarn und die Diffamierungskampagne aus Kreisen von Orbáns Regierungspartei Fidesz gegen die österreichische Journalistin Franziska Tschinderle wurden sie 2024 mit dem Rainer-Reichert-Preis zum Tag der Pressefreiheit ausgezeichnet.

Im dritten und vorerst letzten Jahr unseres Projektes, dessen Finanzierung durch den European Media and Information Fund nun auslief, widmete sich das Team aus taz, IPI und Faktograf den Attacken speziell gegen Klimajournalist*innen. Stark im Fokus sind hier die Meteorolog*innen, die bei der Wettermoderation im Fernsehen ein breites Publikum erreichen.

Einer, der dabei immer versucht, auch über die Folgen des Klimawandels aufzuklären, ist Özden Terli, Meteorologe und Wettermoderator beim ZDF. Dass er sich in seinem Sender mit selbstverständlichen Kontextinformationen nicht zurückhält und erklärt, wie extreme Wetterereignisse mit der Klimakrise zusammenhängen, macht ihn besonders zur Zielscheibe. Terli wird „Aktivismus“, „grüne Propaganda“ oder sogar „Missbrauch“ seiner TV-Reichweite vorgeworfen, Beleidigungen mischen sich mit Rassismus. Auch zu seinem Fall und dem anderer Wet­ter­mo­de­ra­to­r*in­nen hat die taz im Rahmen des Projektes recherchiert.

Terli, Maurin und die vielen anderen Kol­leg*in­nen weltweit versuchen, sich von den Anfeindungen und Angriffen nicht von ihrem Journalismus abhalten zu lassen. Doch der Hass hinterlässt immer Spuren. Auf dem Spiel steht dabei nicht nur die Gesundheit der Faktenchecker*innen, Reporter*innen, Me­teo­ro­lo­g*in­nen und Redakteu­r*innen, sondern mit der freien Berichterstattung letztendlich auch der demokratische Charakter der Gesellschaft – und, sofern die Destruktion des Diskurses sich fortsetzt, auch die Aufklärung selbst.

Die ausführlichen Rechercheberichte dieses Projektes lesen Sie entweder auf dem Portal observatory.ipi.media oder auf taz.de/disinfo

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