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US-Urteil zum Recht auf Abtreibung Mitschuld der De­mo­kra­t*in­nen

„Roe v. Wade“ sorgte für trügerische Sicherheit. Die De­mo­kra­t*in­nen versäumten es, das Recht auf Abtreibung gesetzlich zu verankern.

Kalt erwischt: Repräsentantenhauschefin Nancy Pelosi verspricht zu kämpfen Foto: ap

BERLIN taz | Führende Po­li­ti­ke­r*in­nen der Demokratischen Partei haben unmittelbar nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs zur Aufhebung von „Roe v. Wade“ erklärt, nunmehr den Kampf um eine gesetzliche Regelung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch mit voller Kraft aufnehmen zu wollen.

Jetzt wird Abtreibung zum demokratischen Wahlkampfthema – ein bisschen spät

Nancy Pelosi etwa, die demokratische Chefin des Repräsentantenhauses, sagte: „Irren Sie sich nicht – wir De­mo­kra­t*in­nen werden hart darum kämpfen, Roe v Wade in den Gesetzen des Landes zu verankern.“ Und sie fügte hinzu: „Auch das steht bei den Wahlen im November auf dem Stimmzettel.“

Diese Aussage zeigt ein Dilemma der Demokratischen Partei. Denn diesen Schritt, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch nicht nur durch ein Gerichtsurteil, sondern durch ein ordentliches Gesetz verankert zu haben, hätten demokratische Mehrheiten, die es in den letzten 50 Jahren ja immer mal wieder gab, schon längst gehen können.

Aber Roe v. Wade machte es scheinbar überflüssig, dem Thema oberste Priorität zu ­geben. Bis zur Amtszeit Donald Trumps hatte der Supreme Court eine liberale Mehrheit, von dort schien keine Gefahr zu drohen. Zumal hatte sich auch erst in den letzten 15 bis 20 Jahren die Abtreibungsfrage als einer der Rechts-links-Unterschiede bei den Richterbesetzungen herausgestellt: Die Mehrheit des Supreme Court, die 1973 das Roe-v.-Wade-Urteil fällte, war von republikanischen Präsidenten nominiert worden.

Zu befürchten war ja scheinbar nichts

Das alles änderte sich erst, als die Re­pu­bli­ka­ne­r*in­nen merkten, dass die Mobilisierung der in den 1990er Jahren erstarkten rechts-evangelikalen Wäh­le­r*in­nen­grup­pen vielerorts der einzige Schlüssel zu republikanischen Wahlsiegen war. Und für diese Gruppen war das hochideologische „Lebensschutz“-Thema von größter Bedeutung. Das führte umgekehrt allerdings nicht dazu, dass die demokratische Seite sich in Wahlkämpfen ihrerseits lautstark für die Frauenrechte starkgemacht hätte – sondern im Gegenteil in eher konservativen Staaten das Thema vermied, um der Gegenseite nicht noch Mobilisierungshilfe zu geben. Und zu befürchten war ja nichts: Es gab ja Roe v. Wade.

2016 änderte sich das noch einmal schlagartig. Rund neun Monate vor der Präsidentschaftswahl, die letztlich Donald Trump ins Amt befördern sollte, starb der konservative Richter Antonin Scalia – und die Republikaner im Senat verhinderten, dass der damalige Präsident Barack Oba­ma ihn durch den liberalen Merrick Garland ersetzen konnte. Stattdessen kam dann unter Trump der konservative Neil Gorsuch, mit dem Rücktritt des Liberalen Anthony Kennedy und seinem Nachfolger Brett Kavanaugh kippte die Mehrheit nach rechts, und mit dem Tod von Ruth Bader Ginsburg kurz vor Ende von Trumps Präsidentschaft, als die Republikaner Amy Coney Barrett im Eilverfahren durchpeitschten, stand es 6:3 für die Rechten – mit dem Ergebnis der Entscheidung vom Freitag.

Jetzt rächt es sich, dass die De­mo­kra­t*in­nen sich eben nicht rechtzeitig um tragfähige Bundesregeln bemüht haben, als das noch möglich gewesen wäre. Das Urteil ist ein Werk der Republikaner*innen, aber dass die Folgen so hart sind, verantwortet auch die Demokratische Partei.

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