US-Thriller „Love Lies Bleeding“ im Kino: Gesprengte Ketten
Der Spielfilm „Love Lies Bleeding“ von Rose Glass verbindet Sozialdrama und Thriller zu einem blutigen Akt weiblicher Selbstermächtigung.
In Albuquerque ist es heiß und gefährlich. Dieses Bild vermitteln zahlreiche Serien und Filme. Die Großstadt im US-Bundesstaat New Mexiko wird als Hauptumschlagplatz von Drogen inszeniert. Ihre Luft ist mit Testosteron geschwängert. Hinter jedem Wüstenstrauch lauern Schießereien zwischen Polizei und Drogenmafia.
1989, in irgendeinem Kaff in der Umgebung von Albuquerque, beobachtet Lou das Testosteron eher in Gestalt der Muskelberge, die in dem Fitnesscenter ein- und ausgehen, das sie managt. Das heißt, sie macht morgens das Licht an und abends wieder aus. Dazwischen langweilt sie sich.
Die Gegend hätte sie längst verlassen, wäre da nicht ihre Schwester. Die hat einen Mann, der sie grün und blau schlägt, doch abzuhauen schafft sie nicht. Lou schafft es hingegen, wegen ihr dazubleiben. Am liebsten würde sie ihrem zwielichtigem Vater entfliehen, der vielleicht sogar ihre Mutter auf dem Gewissen hat.
Bodybuilding Wettbewerb
Die Tristesse wird unterbrochen, als Jackie (Katy O’Brian) aus Oklahoma auftaucht. Sie will für einen Bodybuilding-Wettbewerb in Las Vegas trainieren. Lou weiß nicht, wie ihr geschieht. In ihrem Herz der Finsternis hat sie sich immer ein Glühen bewahrt, das eines Tages entflammt werden könnte, und nun ist es so weit, das Spiel der Muskeln bringt die schäbige Muckibude zum Leuchten und Lou wird entflammt.
„Love Lies Bleeding“. Regie: Rose Glass. Mit Kristen Stewart, Katy O’Brian u. a. Großbritannien 2024, 104 Min.
Dieser Blick von Kristen Stewart als Lou, der so viel Neugier und Begehren, so viel Sehnsucht nach einem anderen Leben und einem Abenteuer ausdrückt, ist der magic moment, der alles ins Rollen bringen wird. Und aus der Geschichte der bisherigen Rollen Stewarts kann man ahnen, dass sie sich ganz schön in die Scheiße reiten wird.
Sie liefert die Initialzündung für das, was in der Folge geschieht, denn kurz vor dem ersten Kuss verabreicht sie Jacky ein Muskelpräparat in den Po, mit erstaunlichen Wirkungen. Wie die Muskeln sich nun, von einem krassen Sound begleitet, dehnen, macht klar, dass der soziale Realismus des Films das Fantastische nicht scheut. Doch zunächst kommen die zu erwartenden Gewaltausbrüche, denn nicht nur die Liebe blutet hier, auch diejenigen, die in ihrer sinnlosen Gewalt zu weit gehen.
Wild at Heart
Gekonnt spielt die Regisseurin Rose Glass auf der Klaviatur des Thrillers. Manchmal fühlt man sich an David Lynchs „Wild at Heart“ erinnert, dann, wenn Ed Harris seine dämonischen Auftritte als Lous Vater hat, glaubt man sich im Cronenberg-Kosmos. Doch die Vorzeichen haben sich geändert. Der männliche Antiheld hat abgedankt. Die toxische Gewalt, die auf dem Schießplatz von Lous Vater eingeübt werden kann, sie wird konterkariert durch eine befreiende, eine weibliche, die sich aus einem neuen Körperverständnis speist.
Katy O’Brian, die selbst Bodybuilderin und Kampfsportlerin ist, lässt lustvoll ihre Muskeln spielen, und wenn diese durch die Droge zum Knistern gebracht werden, kann sie durch nichts mehr aufgehalten werden. Auch die Liebe zwischen den beiden Frauen kennt keine Grenzen mehr. Die letzte Grenze, die sie überschreiten müssen, ist das Netz des Tennisplatzes auf dem Anwesen von Lous übermächtigem Vater, doch das hängt schon schlaff am Boden.
Warum sich so viele Filme in die 1980er Jahre begeben, ist nicht immer nachvollziehbar, manchmal hat man den Eindruck, um möglichst viele Leute zeigen zu können, die möglichst viel rauchen. Doch hier ist das Jahr 1989 signifikant, die Berliner Mauer fällt, der Ostblock zerbricht, und damit ist auch der Kalte Krieg bald Vergangenheit.
Staub der Wüste
Die USA wachsen aus ihrer Rolle des Beschützers der freien Welt heraus und werden sich neu finden müssen. Genau zu diesem Zeitpunkt implodiert alles in einem Kaff in New Mexiko und eine neue Kraft tritt auf den Plan, die den Staub der Wüste von den Schultern klopft und in eine neue Zukunft aufbricht. Die USA der Gegenwart mögen diese Signale hören.
Selbstverständlich ist „Love Lies Bleeding“ kein politischer Film in engeren Sinne, es ist vor allem ein Genrefilm, der vieles mit einem Augenzwinkern inszeniert, nicht zuletzt, wenn Jackie wahrlich über sich hinauswächst. Doch wie Rose Glass ein Sozialdrama weiblicher Selbstermächtigung mit dem Thriller und dem Fantastischen verzahnt, ohne dabei auf die grotesk übersteigerte Darstellung weiblicher Stereotypen zu verzichten, ist Kino, das im besten Sinne weh- und guttut.
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