US-Satireblatt "The Onion": Unter der Haut
"The Onion", das weltweit größte Satiremagazin, legt die Schwächen von Politikern und sozialen Probleme der USA offen. Doch auch sie muss sich auf die Post-Bush-Ära einstelllen.
"Endlich ist der lang anhaltende Albtraum von Frieden und Wohlstand vorbei". Diese vermeintliche Antrittsrede hat die Satirezeitschrift The Onion George W. Bush im Jahr 2001 in den Mund gelegt, ohne zu wissen, wie recht sie damit behalten sollte. Denn der Artikel war geradezu prophetisch: Die Redakteure ließen Bush darin mindestens einen Golf-Krieg beginnen ("Warum haben wir denn sonst eine Armee?"), die Wirtschaft in eine tiefe Rezession rutschen und Arm und Reich noch weiter auseinander driften.
"Holy Fucking Shit - Attack on America" ("Heilige Scheiße - Amerika wird angegriffen"), "American Life Turns Into Bad Jerry Bruckheimer Movie" ("Das Leben der Amerikaner wird zu einem schlechten Jerry-Bruckheimer-Film"): Schlagzeilen nach dem 11. September 2001.
"Bush To Appoint Someone To Be In Charge Of Country" Angesichts zahlreicher Schwierigkeiten will George jemanden ernennen, der sich um das Land kümmert. (Oktober 2005)
"McCains Economic Plan For Nation: Everyone Marry A Beer Heiress" Um Amerikas Wirtschaft wieder fit zu machen, empfiehlt der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain jedem, es ihm nachzumachen und die reiche Erbin einer Bierbrauerei zu heiraten. (September 2008)
"Area teen up to something" Ein Junge aus der Nachbarschaft führt offensichtlich etwas im Schilde. (Januar 2009)
"Bush dies peacefully in his sleep". Bush stirbt friedlich im Schlaf. Nachdem der Leichnam durch eine Flugzeugturbine gedreht wurde, muss die Beerdigung allerdings verschoben werden. (Januar 2009)
Angesichts der bitteren Realität, in die sich dieser Witz heute verwandelt hat, könnte einem das Lachen im Hals stecken bleiben. Dennoch hatte die Präsidentschaft von George W. Bush auch positive Auswirkungen: Sie bescherte dem Magazin einen ungeahnten Aufschwung. Gerade in Zeiten des "embedded journalism" entpuppte sich die Satire als das probateste Mittel, Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu äußern. Das bewusste Überschreiten von Grenzen macht es möglich, Themen auf eine Weise anzusprechen, wie es sich keine der seriösen Nachrichtenstationen trauen würde. The Onion ist daher viel mehr als reiner Klamauk, sie ist vor allem als scharfe Sozialkritik zu verstehen.
Dies sehen auch die Amerikaner so, wie die Verkaufszahlen belegen: Mit rund 700.000 verkauften Exemplaren ist The Onion das größte Satiremagazin der Welt. Was als Gag zweier Studenten vor rund 20 Jahren begann, ist heute ein professionell geführtes Medienunternehmen mit Büros in zehn amerikanischen Großstädten.
Den Durchbruch brachte vor allem das Internet, das mittlerweile bedeutend wichtiger als die Druckausgabe ist. Über 5 Millionen Seitenaufrufe zählen die Macher jeden Monat. Auf www.theonion.com sind nicht nur sämtliche Artikel der Printausgabe archiviert, es werden auch eigens Radiobeiträge und Videos produziert. Von einer solchen Reichweite kann die deutsche Titanic, obwohl sie gut zehn Jahre älter ist und den gleichen Prinzipien folgt, nur träumen. Im TV-vernarrten Amerika hat Satire, vor allem dank der erfolgreichen Abendshows von Jon Stewart und Conan O'Brien, eine breitere Akzeptanz, wovon auch The Onion profitiert.
Die 2007 erstmals ausgestrahlte Nachrichtensendung "Onion News Network" berichtet in einem seriösen Stil über frei erfundene Ereignisse. Unter den populärsten Beiträgen findet sich ein Enthüllungsstück, wonach die USA jahrelang Entwicklungshilfe an Andorra gezahlt haben sollen, im Irrglauben es handele sich um ein armes afrikanisches Land - eine Parodie auf die Weltfremdheit der Amerikaner, von denen ein Viertel das eigene Land nicht auf einer Weltkarte verorten kann.
Die Idee dahinter ist simpel: Nachrichten werden in ein seriöses Äußeres verpackt, das sich bewusst an bekannten Marken orientiert. Die Printausgabe ahmt die konservative Tageszeitung USA Today nach, das "Onion News Network" orientiert sich an CNN. Wenn Moderator Brandon Armstrong einen Beitrag über Kim Jong Ils Pläne ankündigt, den Mond mit Rakten nach Nordkorea zu holen, um die amerikanische Flagge zu entfernen, dann geschieht dies mit einer Ernsthaftigkeit, das es dem unbedarften Zuschauer schwerfällt, die Sendung als Satire zu entlarven. Die Studiokulisse, die Jingles und das Auftreten des Moderators sind bewusst bei MSNBC oder Fox News abgekupfert. Verwechselungen mit ernsthaften News-Beiträgen sind deshalb nicht selten - und auch genauso gewollt.
Die chinesische Zeitung Beijing Evening News berichtete nahm einen Onion-Beitrag ernsthaft darüber, dass der US-Congress gedroht habe, Washington zu verlassen, wenn kein neues Kapitol mit abnehmbarem Dach gebaut würde. Hintergrund des Gags waren die Umzugs-Drohungen großer US-Sportvereine, um so den Bau größerer Stadien auf Staatskosten zu erzwingen. "Es sind die schönsten Momente, wenn wir ernsthafte Kommentare über falsche Meldungen lesen", erklärt die Onion-Managerin Julie Smith.
Das zweite Element der Berichterstattung bilden Schlagzeilen über John Doe, den amerikanischen Otto-Normalverbraucher, der gern auch mal ein bisschen paranoid ist. Mit Meldungen wie "Teenager in der Nachbarschaft führt etwas im Schilde" werden Sensationsreportagen der Boulevardpresse aufs Korn genommen.
Die Absicht dahinter ist klar: die Menschen auf eine humorvolle Weise mit der bitteren Realität konfrontieren und sie so zum Nachdenken anregen. In Zeiten, in denen die Leute in den Abendnachrichten mit Katastrophenmeldungen überschüttet werden, ist die Satire nicht nur einen Möglichkeit, der schlechten Welt da draußen für einen Moment zu entfliehen. Sie bietet vor allem einen Zugang zu gesellschaftlichen Problemen, der sich leicht erschließt.
Denn im elitären Bildungssystem der USA wird nicht jeder Bürger mit den Voraussetzungen ausgestattet, die gesellschaftlichen Debatten und die Strukturen der Machtausübung zu verstehen. The Onion bietet so auch einen demokratischeren Zugang zur Nachrichtenwelt. Denn wo keine Satire erlaubt ist, ist es auch um die Demokratie schlecht bestellt. Nur ein geringer Teil der Bevölkerung versteht die Problematik der hire-and-fire Personalpolitik großer Konzerne; die Meldung "Vorstandsvorsitzender entlässt 5.000 Angestellte um Freundin zu beeindrucken" dagegen führt einem die Absurdität des Themas sofort vor Augen.
Dabei kennt The Onion kaum Tabus: Ob Abtreibung, Magersucht oder Amokläufe, kein Thema verbietet sich für eine Parodie. Mit der Schlagzeile über die Anschläge vom 11. September, "Holy Fucking Shit - Attack on America", verpassten die Macher nur knapp die Nominierung für den Pulitzer-Preis, wie ein Jury-Mitglied später zugab.
Wegen ihrer Schonungslosigkeit hat The Onion regelmäßig Rechtsstreit mit Politikern und Wirtschaftsvertretern. Unter anderem erhob das Weiße Haus unter George Bush persönlich Anklage: In einer ausgedachten Videobotschaft hatten die Redakteure illegalerweise das Siegel des US-Präsidenten benutzt, worüber der Texaner anscheinend gar nicht lachen konnte.
Nun sind die fetten Jahre der Satire unter George W. Bush vorbei. Der neue Präsident Barack Obama steht den Machern der Zeitschrift näher und wird hoffentlich weniger Anlass für Parodien bieten. Es bleibt also abzuwarten, wie The Onion mit dem neuen Mann im Weißen Haus umgehen wird. Erste Artikel lassen eine Richtung erahnen: Bei der Amtseinführung soll in Zukunft neben dem Eidschwur auch eine Tanzperformance mit Hip-Hop-Elementen verpflichtend sein. Und die ersten Schwarzen beschweren sich schon über die penetrante Freundlichkeit, mit der sie sich nun rumschlagen müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge