US-Ökonom zu Griechenland: „Höhere Priorität als Lateinamerika“
Laut dem US-Wirtschaftswissenschaftler Weisbrot haben die USA in der Griechenlandfrage vor allem ein Interesse: das Land in der Eurozone halten.
taz: Herr Weisbrot, US-Präsident Barack Obama hat in den letzten Wochen immer wieder mit europäischen Spitzenpolitikern über Griechenland gesprochen. Welches Interesse haben die USA in der EU-Krise?
Mark Weisbrot: Ein geostrategisches. Oder – wenn Sie es weniger höflich haben wollen – ein imperiales. Sie wollen, dass Griechenland der Linie der US-Außenpolitik verbunden bleibt. Dafür haben sie ziemlich große Anstrengungen übernommen. Inklusive der Unterstützung der Militärdiktatur. Ein Ausstieg aus der Eurozone wäre ein möglicher Schritt zu einer unabhängigen Außenpolitik.
Was ist der Zusammenhang zwischen der Militärdiktatur der 60er und 70er Jahre und der griechischen Situation heute?
Die US-Strategie. Europa ist der wichtigste Alliierte der USA in der Welt. Da wollen sie keine Fragmentierung. Auf der Prioritätenliste steht Griechenland höher als Lateinamerika, wo die USA in den letzten 15 Jahren kontinuierlich verloren haben.
■ Die Europartner und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben seit 2010 zwei Hilfspakete für Griechenland geschnürt. Der deutsche Steuerzahler müsste erst dann für Verluste einspringen, wenn Athen Hilfskredite nicht zurückzahlt.
■ Die Rückzahlung an die Europäer beginnt ab dem Jahr 2020 und zieht sich über Jahrzehnte hin.
■ Ende März hatte Griechenland nach Angaben der griechischen Schuldenagentur Schulden von 313 Milliarden Euro.
■ Im Rahmen des ersten Hilfspakets von 2010 wurden 73 Milliarden Euro an Griechenland ausgezahlt. Davon hat die Euro-Zone etwa 52,9 Milliarden Euro beigesteuert. Der deutsche Anteil der europäischen bilateralen Kredite im Rahmen dieses ersten Programms beträgt rund 15,2 Milliarden Euro. Der IWF zahlte 20,1 Milliarden Euro.
■ Im Rahmen des zweiten Hilfspakets erhielt Griechenland aus dem vorübergehenden Euro-Rettungsfonds EFSF 130,9 Milliarden und 11,8 Milliarden Euro vom IWF. Deutschland haftet bisher für schätzungsweise 85 Milliarden Euro.
■ Das dritte Rettungspaket - die Rede ist von bis zu 86 Milliarden Euro - soll über den dauerhaften Rettungsschirm ESM bereitgestellt werden, der nach dem Euro-Beitritt Litauens im Februar 2015 über rund 704,8 Milliarden Euro Stammkapital verfügt. (dpa)
Der 1954 geborene Wirtschaftswissenschaftler ist Mitgründer und Ko-Direktor des „Center for Economic and Policy Research“ (cepr), eines Think Tanks in Washington.Er hat über das Sozialversicherungssystem der USA und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) geforscht und Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay, Ecuador, Bolivien und Venezuela bei der Gründung der Regionalbank „Banco Sur“ beraten. Weisbrot war als Experte zu US-Kongress-Hearings über Argentinien und Venezuela geladen.Im Herbst erscheint sein Buch Failed. What the „experts“ got wrong about the global Economy. Darin beleuchtet Weisbrot unter anderem die Entwicklungen in der Eurozone.
Wollen Sie sagen, dass die USA in der EU-Krise vor allem politische und nicht wirtschaftliche Interessen haben?
Das gilt auch für die EU – ich will keine einzelne Nation herausgreifen, denn die Deutschen haben Alliierte. Die finanzielle Frage hätte vor fünf Jahren gelöst werden können: Für einen Bruchteil des Verlustes, der in Zukunft ansteht. Es geht darum, ein neues Europa zu schaffen. Daran arbeitet die Eurozone seit der globalen Finanzkrise.
Was meinen Sie mit „neues Europa“?
Die Mitglieder des Weltwährungsfonds müssen Politik-Empfehlungen folgen. In den vier Krisen-Jahren von 2008 bis 2011 gab es für die EU 67 solche Politik-Empfehlungen. Ihr Muster ist beeindruckend gleichbleibend: Steuererhöhungen. Einschnitte bei Renten und Gesundheitsversorgung und Arbeitslosenunterstützung. Schwächung der Verhandlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften. Das haben wir in Griechenland, aber auch in Spanien, Portugal, Italien und Irland gehabt. Die EU hat die Krise genutzt, um Veränderungen durchzusetzen, für die bei Wahlen niemals Mehrheiten zustande kämen. Die meisten Finanzminister und die Repräsentanten von IWF und Europäischer Zentralbank haben ein politisches Programm, das die EU den USA ähnlicher macht. Mit weniger sozialen Sicherheitssystemen und mit weniger Regierung.
Ist das zugleich das Programm des US-Präsidenten?
Nein. Und das unterscheidet die USA von den Verantwortlichen der Eurozone. Das einzige, was die USA interessiert, ist das strategische Ziel: Griechenland in der Eurozone zu halten.
Wen genau meinen Sie mit „die USA“?
Alle Akteure der Außenpolitik. Das Weiße Haus, die 17 Geheimdienste, das Pentagon, das Außenministerium und außenpolitische Schlüsselfiguren im Kongress. Das außenpolitische Establishment in den USA will Griechenland nicht verlieren. Und es will keinen Zusammenbruch der Eurozone.
Ein Austritt von Griechenland wäre für Sie ein Weg in den Zusammenbruch der Eurozone?
Viele Dinge könnten falsch laufen. Wir reden hier von vorsichtigen Leute. Sie haben die Regierung von Honduras 2009 gestürzt, die keine große Bedrohung darstellte, bloß weil sie dort eine Militärbasis haben.
Und was würde es für Griechenland bedeuten, wenn es aus der Eurozone austräte?
Es gibt ein Leben nach der Finanzkrise. Griechenland würde es sehr wahrscheinlich zunächst schlechter gehen. Aber es könnte sich außerhalb der Eurozone schneller erholen. Insbesondere als unter dem Programm, dem es gerade zugestimmt hat.
Woher nehmen Sie diese Gewissheit?
Bei den Finanzkrisen der letzten 25 Jahre hat niemand so viel verloren, wie Griechenland schon jetzt verloren hat.
Gibt es historische Erfahrungen, die zeigen, dass Griechenland gewinnen könnte, indem es die Eurozone verlässt?
Argentinien. Es hatte einen finanziellen Zusammenbruch, nachdem es seine Schulden nicht mehr zahlen konnte. Das hat drei harte Monate gedauert. Und Argentinien hat ungefähr 5 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes verloren. Aber danach ist die Ökonomie binnen sechs Jahren um 63 Prozent gewachsen. Es gibt viele weitere Beispiele.
Was folgt aus der Einigung zwischen Eurozone und Griechenland?
Die Fortsetzung dessen, was die Eurozone in den letzten fünf Jahren getan hat. Es wird die griechische Ökonomie weiter in die Rezession schrumpfen. Und es wird fast gewiss eine Erholung in der vorhersehbaren Zukunft verhindern. Solche Krisen entstehen nicht durch ein einziges Ereignis – wie ein finanzieller Crash, oder ein Zusammenbruch des Immoblienmarktes. Sie sind das Resultat einer Serie von jahrelangen Politik-Fehlern.
Können Sie diese Fehler in der EU beim Namen nennen?
Der größte war, dass die Europäische Zentralbank viel zu lange gebraucht hat, bevor sie für die spanischen und italienischen Bonds gebürgt hat. Erst im September 2012 hat EZB-Chef Draghi seine berühmte Rede gehalten. Er musste nicht einmal Mittel zur Verfügung stellen, er musste nur sagen, dass er tun wird, was immer nötig ist. Das hätten sie drei Jahre früher tun können, um zwei Jahre Rezession und Massenarbeitslosigkeit zu vermeiden. Sie mussten nur tun, wozu eine Zentralbank da ist. Wie die Zentralbank von England, von Japan, von den USA. Der zweite war die Austerität. Sie hat die Eurozone weiter in die Rezession, in die Stagnation und in die Langzeitarbeitslosigkeit getrieben.
Auch in den USA haben Bundesstaaten massive Verschuldungsprobleme. War für die Federal Reserve ein Rausschmiss aus den USA eine Option?
Natürlich nicht. Wir haben eine politische und eine finanzwirtschaftliche Union. Während die Eurozone lediglich eine monetäre Union ist.
Was war die Antwort von Washington auf die Verschuldung einzelner Bundesstaaten?
Die Staaten mussten ihre Haushalte ausgleichen. Mussten in der Rezession ihre Ausgaben kürzen und ihre Steuern erhöhen. Was übrigens eine schwere Belastung für die US-Wirtschaft war und das Konjunkturprogramm der US-Regierung konterkariert hat. Die Bundesregierung und die Federal Reserve in Washington haben ihre Arbeit getan. Deswegen hat unsere Rezession nur 18 Monate gedauert. Wir sind offiziell zurück bei 5,6 Prozent Arbeitslosigkeit. Obwohl die USA das Epizentrum der weltweiten Finanzkrise und Rezession von 2008 und 2009 waren. In der Eurozone ist die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch.
Was hat die Federal Reserve konkret anders gemacht?
Als erstes hat sie die Zinssätze auf Null gesenkt. Dann hat sie quantitative Lockerungen („Quantitative Easing“, d. Red.) benutzt.
Was ist das?
Sie kauft Langzeitanleihen, um die Zinssätze langfristig niedrig zu halten. Die EZB hingegen hat die Zinssätze nicht gesenkt, sondern sie in der Krise sogar noch einmal erhöht. Und – was schwerer wiegt – sie hat erst im Dezember 2012 für Anleihen gebürgt. Zunächst für Griechenland, dann für Italien und Spanien, wobei letztere „too big to fail Länder“ (zu groß, um zu scheitern, d. Red.) sind. Dann hat die EZB die Austerität implementiert, die ebenfalls die Wirtschaft in der Eurozone beschädigt hat. Sie hat die Krise genutzt, um ein politisches Programm durchzusetzen. Und hat damit die Krise verlängert.
Welche Rolle hat die Wall Street gespielt?
Im Vorfeld der Krise war die Wall Street in Geschäfte involviert, die die griechischen Schulden vergrößert und zugleich kaschiert haben. Sie haben der griechischen Regierung im Wesentlichen Darlehen in anderer Form gegeben. In der letzten Zeit gab es Hedge Fonds, die auf beide möglichen Ergebnisse gesetzt haben.
Ist die Krise mit der Einigung vorbei?
Überhaupt nicht. Es ist verheerend, dass die Europäischen Spitzen das griechische Banksystem eine Woche vor dem Referendum zum Stillstand gebracht haben, um ein „Ja“ durchzusetzen. Auch der IWF sieht, dass der griechischen Ökonomie damit in zwei Wochen schwerer Schaden zugefügt worden ist. So etwas hat keine Zentralbank zuvor getan. Eine Zentralbank ist ein Garant in letzter Instanz. Und nicht dafür da, vorsätzlich eine finanzielle Krise zu verursachen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt