US-Linke nach der Wahl: Wunden lecken
Frauenrechte, Transrechte, soziale Rechte – Donald Trump greift den Fortschritt an. Bewegungslinke aus den USA haben uns erzählt, was jetzt noch geht.
„Wir haben Angst“
Marlow Bull ist queer und verkauft in Connecticut handgemachte Kerzen:
Wir queere, trans und nicht-binäre Menschen in den USA trauern. Darüber, dass die Mehrheit der Wähler:innen ein leeres Versprechen auf Wohlstand der Wahrung unserer Grundrechte und der Menschenrechte anderer vorgezogen hat. Wir haben Angst, dass unser Schutz von offizieller Seite erodiert. Und vor der Gewalt, die folgt, wenn Machthaber Angst vor einer kleinen Gruppe schüren.
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Aber gleichzeitig – und im gleichen Maß – wenden sich queere und trans Leute an ihre Community, um zu sehen, wie es den anderen geht. Um Liebe zu senden und sich gegenseitig daran zu erinnern, dass wir immer wieder Regierungen überlebt haben, die uns dämonisiert, verfolgt und für tot erklärt haben. Ronald Reagans vorgetäuschte Unwissenheit über Aids ist schließlich noch gar nicht so lange her.
Gemeinsam erinnern wir uns jetzt daran, dass wir durch gegenseitige Hilfe überleben und sogar richtig stark werden können. Durch Gemeinschaft, nicht dadurch, dass wir uns auf große Institutionen verlassen, denen es nur um Macht und Profit geht.
Die zweite Trump-Präsidentschaft wird groß angelegte Angriffe auf uns mit sich bringen, aber die werden durch die Community und mehr und mehr Graswurzel-Aktionen ausgeglichen werden – wenn sie nicht sogar mehr Gewicht gewinnen als die Angriffe. Ich sehe diese Fürsorge füreinander schon jetzt und weiß, dass sie gerade dann wachsen wird, wenn die Lage schlimmer wird. (sah)
„Wir werden nicht aufgeben“
Christian Nunes ist Schwarz, Sozialarbeiterin und Präsidentin der National Organization for Women in Washington, D.C.:
Wir erleben gerade eine verstörende Zeit, das Wahlergebnis ist entmutigend und enttäuschend. Und ich fühle mich auf eine Art sogar betrogen. Wir hatten die Wahl zwischen einer Kandidatin, die für Zusammenhalt und den Schutz persönlicher Freiheit steht und einem Kandidaten, der für Spaltung, Hinterlistigkeit, Sexismus und Hass steht. Nur ein Teil der Leute hat genau dafür Trump gewählt, ein anderer Teil trotz dieser Rhetorik.
In jedem Fall hat die Mehrheit im individuellen Interesse gewählt, nicht im Interesse der Allgemeinheit. Dass Donald Trump gewonnen hat, ist hart für unsere Mitglieder, für Frauen im Allgemeinen und Eltern, die ihre Kinder nach guten Werten erziehen möchten. Die Frage ist jetzt: Wie machen wir weiter?
Hoffnung gibt mir, dass am Wahltag in zehn Bundesstaaten auch über Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch abgestimmt wurde. In sieben von diesen zehn Staaten sprachen sich die Wähler:innen für eine Aufnahme des Abtreibungsrechts in die Verfassung ihres Bundesstaats aus. Auch in Staaten, die für Trump als Präsidenten gestimmt haben. Das ist paradox, macht aber auch Mut, auf der lokalen Ebene für Frauenrechte weiterzukämpfen. Auch im Regierungsviertel werden wir präsent bleiben und dem Parlament gegenüber Härte zeigen. Wir haben einen Rückschlag erlebt, aber wir werden nicht aufgeben. (sah)
„Ich fühle mich müde“
Robin Dembroff ist trans und lehrt Philosophie an der Yale-Universität in New Haven:
Ich war emotional auf dieses Wahlergebnis vorbereitet. Unsere patriarchalische Geschichte ist geprägt von politischen Vaterfiguren, die im Austausch für Rechte und Freiheiten Schutz und Reichtum versprachen. Bei dieser Wahl entschieden sich die Amerikaner:innen dafür, diese Geschichte fortzusetzen: Sie entschieden sich erneut dafür, ihre kollektive Macht an einen „echten Mann“ abzugeben, der so tut, als ob er ihnen ähnlich wäre, sie aber hinter ihrem Rücken entmenschlicht.
Was wir erwarten können, ist das, was das Patriarchat immer liefert: Frauen, Kinder, Tiere und alle, die mit ihnen verglichen werden – darunter viele Männer – werden durch staatliche Mechanismen verunglimpft und geschwächt. Und den Kindern wird in der Schule beigebracht, dass das gottgewollt und „natürlich“ ist.
Ich fühle mich müde, bin aber auch entschlossen, mich dafür zu entscheiden, in Liebe und nicht in Angst zu leben, meiner Integrität zu folgen und immer wieder zu lernen, wie ich meine Energie am besten einsetzen kann, um etwas zu bewirken, wo und wann ich kann. (sah)
„Ich mache mir Sorgen um meine trans Schüler:innen“
Blair Taylor ist Weiß, arbeitet als Lehrer in der Nähe von Seattle und gehört zu den Democratic Socialists of America:
Dass Trump jetzt Amerika repräsentiert, ist enttäuschend und deprimierend. Aber es kam nicht unerwartet. Ich habe Probeabstimmungen in meinen Schulklassen gemacht. Drei von fünf dieser Abstimmungen gingen zugunsten von Trump aus. Als ich am Mittwoch zur Arbeit kam, haben Kolleg:innen geweint. Das war ein sehr emotionaler Tag. Es gibt große Angst. Viele meiner trans Schüler:innen sind nicht zur Schule erschienen. Sie machen sich große Sorgen und ich mache mir Sorgen um sie. Denn sie sind in Gefahr, auch, weil sich andere Schüler:innen ermutigt fühlen könnten, sie anzugreifen.
In meinen Klassen gibt es heute mehr Schüler:innen, die ein sehr christliches Selbstverständnis haben. Das gab es an sich auch schon früher im Bundesstaat Washington, aber jetzt sieht man es häufiger bei jungen Menschen. Der Neoliberalismus hat da nicht gereicht, sie wollten etwas Transzendentales, das ihrem Leben einen Sinn gibt, an dem sie sich festhalten können. Trump sieht diese Entwicklung als Vehikel, das er nutzen kann. Auf den Social-Media-Plattformen des Trump-Lagers ist unter anderem die Rede davon, Schulen, die Critical-Race-Theory und „radikale Genderideologie“ unterrichten, das Geld zu entziehen.
Viele Teenager-Jungs hören den Podcast von Joe Rogan, einem Ex-Kampfsportmeister. Rogan hat zur Wahl Trumps aufgerufen, bei früheren Wahlen hatte er eine Empfehlung für den linken Bernie Sanders gegeben. Die Inflation ist schlimmer geworden, viele Menschen haben ökonomische Schwierigkeiten. Trump war gut darin, Harris die Schuld dafür zuzuschieben. Und die Menschen hoffen, dass sich etwas ändern wird, wenn ein Geschäftsmann wie Trump die Macht bekommt.
Der Kampf gegen die Wokeness war jetzt während des Wahlkampfs kein so starkes Thema wie in den Jahren zuvor. Trump ist auch deshalb wieder zu alten Feindbildern zurückgekehrt. Er hat Menschen als „Sozialisten“ und „Marxisten“ markiert. Er markiert Feinde, und das sind die Linken. Trump will nun Loyalisten Macht geben. Wenn er sagt: „Können wir die Black-Lives-Matter-Proteste nicht niederschießen“, dann soll da keiner mehr um ihn sein, der ihn davon abhält. (cja)
„Es ist beschämend“
Doug Henwood aus New York, ist Weiß und schreibt als Wirtschaftsanalyst unter anderem für das sozialistische „Jacobin“-Magazin:
Meine Stimmung ist düster, deprimiert und elend. Alle meine Freunde sind auch deprimiert. Wir leben in einem Land, das so ein Monster wählt.
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Überrascht war ich nicht. Die Umfragen waren eng, aber Trump war bei Wahlen immer besser als in den Umfragen. Bei Wahl spielen letztlich nur zwei Faktoren eine Rolle: Die persönliche Zustimmung für die Kandidaten und der Einkommenszuwachs im Jahr von der Wahl. So einfach ist das. Harris’ Zustimmungsrate war schwach und der Einkommenszuwachs war sehr, sehr niedrig. Beides zusammen machte es wahrscheinlich, dass Trump gewinnt.
Viele Demokraten konnten sich einfach nicht vorstellen, wie sehr die meisten Menschen die Inflation hassen. So stark gestiegene Preise für Lebensmittel und Treibstoff, das macht ein Gefühl von Angst und Kontrollverlust. Diese wirtschaftliche Lage hat sich eindeutig zu Trumps Gunsten ausgewirkt. Die Nachwahlbefragungen haben das sehr klar gezeigt. Das ist sehr beschämend.
Ich bin 1997 nach New York gezogen, das war etwa die Zeit, als Trump als öffentliche Figur zunehmend in Erscheinung trat. Ich habe ihn während dieser gesamten Zeit gehasst. Er ist eine schreckliche, reaktionäre, vulgäre Figur. Er ist heute derselbe wie damals, vielleicht noch abstoßender, offener hasserfüllt und misogyn. Rassistisch war er eigentlich schon immer. Zum ersten Mal seit 2004 hat nun ein Republikaner die Mehrheit der Stimmen gewonnen. Das ist schmerzhaft und beschämend.
Es war ein sehr ernstes Problem, wie die Demokraten Bidens Gesundheitsprobleme zu verstecken versucht haben. Sie wussten, dass er seine geistigen Fähigkeiten verlor. Er hat während seiner Präsidentschaft gute Dinge getan, der Inflation Reduction Act gehört dazu. Aber er konnte selbst nicht mehr darüber kommunizieren. So ging wertvolle Zeit verloren und in der letzten Minute wurde er gegen eine nicht sehr talentierte und nicht sehr beliebte Kandidatin eingewechselt. Es war eine Befreiung, dass Biden sich zurückzog. Aber Harris war eine Katastrophe als Kandidatin.
Sie zeigte sich die ganze Zeit mit Leuten wie Liz Cheney, einer Architektin der Irak-Invasion oder Milliardären wie Mike Cuban, ihre Kampagne war klar auf die Mittelklasse der Vorstädte ausgerichtet. Das hat sich nicht ausgezahlt. Hillary Clinton bekam 2016 drei Millionen Stimmen mehr als Trump, Harris verlor mit 5 Millionen Stimmen Abstand. Ihr Vize Waltz war nur kurz sichtbar und dann praktisch verschwunden. Harris hat eine erbärmliche Kampagne gemacht. Das ist sehr tragisch für uns und den Rest der Welt. (cja)
„Nur Ansätze direkter Demokratie machen mir noch Hoffnung“
Debbie Bookchin schreibt in Upstate New York und gibt die Werke ihres Vaters heraus, des jüdischen Öko-Anarchisten Murray Bookchin:
Amerika hat gerade einen Autoritären gewählt, so wie das ungarische Volk Orban frei gewählt hat und das türkische Volk Erdoğan frei gewählt hat. Wie ist das passiert? Warum ignorierten so viele Amerikaner die Warnungen von Trumps engsten Mitarbeitern, einschließlich seines ehemaligen Stabschefs, dass er Hitler gelobt habe und „ein Faschist durch und durch“ sei?
Ein Grund dafür ist, dass in den USA die Lehren aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts im Rahmen des nationalen Diskurses und des Standardlehrplans weitgehend außer Acht gelassen wurden. Sie können Spitzenhochschulen und Eliteuniversitäten absolvieren, ohne dass Sie darüber Bescheid wissen, wie der Faschismus in den 1930er-Jahren die Demokratien in Europa und Japan übernahm und wie dies zum Zweiten Weltkrieg und zum Holocaust führte.
Für viele Amerikaner ist der Zweite Weltkrieg eine alte Geschichte und die stolze Rolle der USA bei der Befreiung Europas und Asiens vom Faschismus ist völlig irrelevant, es sei denn, sie haben tatsächlich Familienmitglieder, die beim Militär gedient haben. Trumps Sieg zeigt, wie mangelnde Aufklärung über die Geschichte dazu führt, dass wir die Demokratie verlieren.
Eine weitere unmittelbare Erkenntnis aus diesem Wahlergebnis ist, dass trotz unseres nationalen Mythos, dass wir eine pluralistische, multiethnische und tolerante Gesellschaft sind, eine kritische Masse der amerikanischen Bevölkerung, einschließlich Frauen, nicht in der Lage war, den Hebel für eine Schwarz-südasiatische Frau zu betätigen. Einfach weil sie eine Frau ist, und zwar eine Frau of Colour.
Wahlumfragen zeigen, dass Harris zwar insgesamt bei den weiblichen Wählern gewann, aber nicht an Bidens Vorsprung im Jahr 2020 heranreichte, insbesondere bei weißen Frauen und leider auch bei Latinos. Trump und seine Stellvertreter haben Wochen damit verbracht, Harris' Intelligenz zu verunglimpfen und sie mit sexuell beleidigenden Ausdrücken zu beschimpfen, die früher jeden ernsthaften Präsidentschaftskandidaten disqualifiziert hätten.
Trotzdem wählten die Amerikaner einen zutiefst frauenfeindlichen Sexualstraftäter zu ihrem Staatsoberhaupt, der verspricht, Frauen ihrer Rechte zu berauben, wie ein Diktator zu regieren, die Sozialausgaben zu kürzen, das Land zur Hölle für Einwanderer zu machen und Demokratien im Ausland den Rücken zu kehren.
Die Ablehnung von Kamala Harris war ein durchschlagender Beweis für Rassismus und Frauenfeindlichkeit, der die hässliche, dunkle Seite der Unfähigkeit der Amerikaner, Frauen als gleichberechtig zu akzeptieren, offenlegt und uns zu einem der rückständigsten Länder im Westen macht. Und ich denke, dass die Verlegenheit der Öffentlichkeit, diesen tief verwurzelten Rassismus zuzugeben, ein Grund dafür ist, dass alle Umfragen so falsch waren.
Es gibt auch unzählige andere offensichtliche Gründe für diese Niederlage: von Bidens Hybris bei der Kandidatur für eine zweite Amtszeit – die eine tatsächliche Vorwahl verhinderte, die einen stärkeren Kandidaten hätte hervorbringen können – bis hin zur absichtlichen Einmischung von Elon Musks X in die Wahl. Musk ist ein Meister darin, Fehlinformationen und aus Russland stammende Inhalte zu verbreiten, die Trump zugutekommen.
Das Ergebnis ist eine enorm ungebildete amerikanische Bevölkerung, die nun in einem in der amerikanischen Geschichte beispiellosen Ausmaß Verschwörungstheorien, Blutdurst und Vulgarität erliegt. Dies stellt eine Bedrohung für den rationalen öffentlichen Diskurs dar, der eine Grundvoraussetzung für eine gesunde Demokratie ist. Hinzu kommen noch die obszönen Gesetze zur Wahlkampffinanzierung, die zu astronomischen Ausgaben für „dunkles Geld“ seitens der Reichen und Konzerne führen.
Auf tiefer Ebene ist diese Wahl das Ergebnis des jahrzehntelangen Neoliberalismus der Demokraten. Sie glaubten, sie könnten davonkommen, wenn sie der Arbeiterklasse Krümel zuwerfen und so tun, als würden sie ihre Interessen vertreten. Die Ironie dabei ist, dass Joe Biden der arbeiterfreundlichste Präsident seit Franklin D. Roosevelt war.
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Demokratische Partei immer eine neoliberale Partei sein wird, die die Leute nie wirklich repräsentiert. Es geht ihr um Kompromisse zur Stärkung des Nationalstaats. Das liegt in der Natur der Repräsentationspolitik, in die selbst die Linke den größten Teil ihrer Energie investiert. Die Wahl jetzt macht deutlich, warum wir den Bankrott dieser Politik anerkennen und die Tradition der basisdemokratischen Versammlungsdemokratie, wie Hannah Arendt und mein Vater sie beschrieben haben, zurückgewinnen müssen, in der sich die Menschen auf lokaler Ebene selbst verwalten und sich dann auf regionaler und sogar nationaler Ebene zusammenschließen.
Das ist eine Form der Regierungsführung, die die Menschen vor Ort stärkt und die Hegemonie des Nationalstaats infrage stellt. Denn wenn der Kapitalismus eine Geißel ist, die nicht anders kann, als den Planeten zu zerstören, ist der Nationalstaat die Dienerin des Kapitalismus.
Wenn wir eine Chance auf einen radikalen gesellschaftlichen Wandel haben wollen, müssen wir mit diesen nachbarschaftlichen, persönlichen Gemeindeversammlungen beginnen, bei denen lokale Amtsträger von den Versammlungen nicht als Vertreter, sondern als abwählbare, rechenschaftspflichtige Delegierte ausgewählt werden.
Wenn ich nach dieser Wahlkatastrophe noch Hoffnung habe, dann deshalb, weil diese Form der lokalen politischen Organisierung in einigen Gemeinden in Europa und anderen Teilen der Welt begonnen hat, Fuß zu fassen. Es ist ein langer und langsamer Prozess, aber er schafft Vertrauen, Fürsorge und Charakter. Dies ist also eine letzte Lektion aus einer weiteren gescheiterten Wahl: Nur durch Bildung und direkte Demokratie werden die Menschen endlich ihr Versprechen erfüllen und eine rationale, ökologische und freie Gesellschaft schaffen. (cja)
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