US-Kino: Schwimmbad der menschlichen Abgründe

In seinem Film "Little Children" betrachtet Regisseur Todd Field das Leben in einer amerikanischen Vorstadt mit viel Nachsicht.

Eine glückliche Familie? Bild: Warnwer

"Die niederländischen Sprichwörter" heißt ein Ölgemälde von Pieter Brueghel aus dem Jahr 1559, in dem der holländische Maler mehr als hundert Sinnsprüche und Redewendungen über menschliche Schwächen und Verirrungen äußerst anschaulich in Szene gesetzt hat. Die Szenen, die der Regisseur Todd Field im kommunalen Schwimmbad eines Bostoner Vororts festhält, bieten ähnlich abgründige Einblicke in die menschliche Seele. In seinem Film "Little Children" ergibt sich daraus ein symptomatisches Tableau des Lebens einer amerikanischen Vorstadt.

Zu Beginn lässt man sich auf dem letzten freien Fleck der gepflegten Poolanlage nieder und blickt auf das bunte, ausgelassene Treiben. Alles könnte so schön sein. Warum können die Menschen nicht einfach nur die Sonne und den Sommer genießen? Doch hier werden Frauen zu darwinistischen Muttertieren, sobald sie feststellen, dass eine von ihnen das Brot für ihre Kleine vergessen hat. Sie alle werfen dem ansehnlichen Brad (Patrick Wilson) heimliche Blicke zu und verleihen ihm den Titel Prom-King. Aber als Sarah (Kate Winslet) in aller Öffentlichkeit einen Flirt mit ihm beginnt, wird sie wie eine Aussätzige betrachtet.

In "Little Children" zieht sich die Kamera ganz bewusst in die Distanz der Totalen zurück. Sie will gerade nicht in die routiniert entlarvende Haltung so vieler Filme über das amerikanische Suburbia verfallen, die letztlich genauso selbstgefällig ist wie das Leben, das sie dort vorfindet. Doch wohin man auch schaut, servieren die Bewohner dieser Kleinstadt dem Betrachter die Fratze des Spießertums.

Todd Field reagiert darauf mit geduldiger Nachsicht: Er betrachtet die Kleinstädter wie kleine Kinder, die noch keinen Maßstab für ihre Bösartigkeit und ihren Egoismus haben. Er schickt sie durch kleinere und größere Reifeprüfungen, Schicksalsschläge und registriert ihre Verhaltensmuster: Eine Methode, auf die Field schon in seinem Regiedebüt "In the Bedroom" zurückgriff. In dem eindringlichen Provinzdrama beobachtete er eine Familie, die nach der Ermordung des Sohnes auseinander zu brechen drohte und nur durch einen grauenhaften Vergeltungsschlag wieder zu ihrer rigiden Ordnung - und ihrem Seelenfrieden - zurückfand.

Auch in "Little Children" werden die Mittel untersucht, mit denen die Kleinstädter zwanghaft ihr starres soziales Gefüge aufrechterhalten. Tood Field betrachtet das Leben in den adretten Häusern mit ihren gepflegten Gärten wie die Lösungen in einem Reagenzglas. Ronnie, der gerade eine Haftstrafe wegen Pädophilie abgesessen hat, zieht mit Schnorchel und Taucherbrille seine Bahnen im Gemeindepool. Hysterisch schreiend hasten die Badegäste aus dem Wasser, es folgt Todesstille. Später wollen die Kleinstädter, die sich zu Hause ganz gerne Internet-Pornos anschauen, den Mann am liebsten mit einer Bürgerwehr aus ihrem Leben vertreiben.

Die Affäre von Sarah und Brad dagegen wird weitgehend ignoriert. Von den Szenen, in denen die beiden Liebe machen, geht etwas angenehm Befreiendes aus. Da die beiden in ihren Körpern wieder zu Hause sind, scheinen sie sich in ihren anonym-adretten Häusern umso fremder zu fühlen.

Nach einer Weile fragt man sich jedoch, ob die Metaphern und Motive, mit denen Field von den unterdrückten Vorstadt-Seelen spricht, nicht zu verständnisvoll sind. Wenn Sarah ausgerechnet "Madame Bovary" liest und Brad sehnsüchtig die befreite Körperlichkeit der Skater bewundert, dann ruhen sich die Figuren in Sinnbildern aus, ohne dass ihnen selbst ein wenig Verantwortung zugemutet würde.

Diese Nachsicht versucht Field mit ironischem Off-Kommentar zu brechen. Da wirkt die allwissende Erzählerstimme aus "Desperate Housewives" allerdings überzeugender. In der TV-Serie betrachtet die Off-Stimme das Treiben ihrer Protagonisten mit wirklich souveräner Süffisanz. Schließlich darf man Vorstädtern und Kleinkindern nicht alles durchgehen lassen.

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