US-Invasion im Irak: Auftrag nicht ausgeführt
Vor 20 Jahren begann die „Operation Iraqi Freedom“. Sie beschädigte die Idee der Demokratie in der arabischen Welt für lange Zeit.
Zwei Jahrzehnte später klingen diese Worte für Irakerinnen und Iraker, aber auch für die Menschen in der weiteren arabischen Welt wie Hohn. Der Irak wurde zwar mithilfe des US-Militärs von dem brutalen Autokraten Saddam Hussein befreit. Doch heute ist er ein uneiniges, instabiles und unfreies Land. Alle vermeintlichen Kriegsgründe erwiesen sich später als episches Lügenkonstrukt – sei es die akute Bedrohung durch Saddams Massenvernichtungswaffen, die niemals gefunden wurden, oder eine angebliche Verbindung des irakischen Regimes zum Terrornetzwerk al-Qaida.
Doch niemand der Verantwortlichen in Bushs Entourage aus Neocons wurde jemals zur Rechenschaft gezogen, weder Bush selbst noch Vizepräsident Dick Cheney, die damalige US-Sicherheitsberaterin und spätere Außenministerin Condoleezza Rice, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld oder dessen Vertreter Paul Wolfowitz. Und das, obwohl der Krieg mindestens 275.000 Todesopfer als unmittelbare Folge der Militäraktion forderte. Auf diese Zahl kam das Projekt The Costs of War der US-Universität Brown, das sich die Mühe machte, nachzuzählen.
Konstruierte Rechtfertigung
Neben den toten Irakern und US-Soldaten ist es vor allem die Glaubwürdigkeit des Westens in der arabischen Welt, die dem Krieg zum Opfer gefallen ist. Und das hat auch zwei Jahrzehnte später noch Folgen. Als der russische Präsident Wladimir Putin im vergangenen Jahr seine Truppen in die Ukraine schickte, verurteilte Europa zu Recht die russische Aggression gegenüber einem anderen souveränen Staat, stellte diese aber in grenzenlosem Eurozentrismus als einzigartig dar. So war es kein Wunder, dass die arabische Welt mit dem Finger schnippte, um daran zu erinnern, dass die USA mit Unterstützung ihrer „Koalition der Willigen“ bereits zwei Jahrzehnte zuvor in einen anderen souveränen Staat einmarschiert waren.
Vielleicht ist es Bush selbst, der diese Parallele am besten in Worte fasste. Im Rahmen eines Auftritts des Präsidenten a. D. im vergangenen Mai in Dallas, bei dem es um den Ukrainekrieg ging, sprach Bush von Putin und „der Entscheidung eines einzigen Mannes, eine vollkommen unrechtmäßige und brutale Invasion im Irak zu beginnen“. Die Augen zusammenkneifend korrigierte er sich: „Äh, ich meinte in der Ukraine.“
Was auch immer als Rechtfertigung für den Irakkrieg konstruiert wurde, es ging nicht darum, den Irak zu demokratisieren. Es ging nicht um die Brutalität Saddam Husseins gegenüber seinem eigenen Volk, denn jahrelang hatte der Westen vor allem im Iran-Irak-Krieg der achtziger Jahre wunderbar mit ebenjenem Saddam zusammengearbeitet und ihm Waffen geliefert. Es ging nicht um den Giftgaseinsatz gegen die Kurden, die stets von allen Seiten nur ausgenutzt wurden. Vermeintlich ging es um den Kampf gegen den Terror und Massenvernichtungswaffen. Aber wäre es tatsächlich um eine Verbindung zu den Anschlägen vom 11. September 2001 gegangen, wäre Saudi-Arabien, aus dem 15 der 19 Attentäter stammten, ein logischeres Ziel gewesen.
Hier soll nicht der Irak- gegen den Ukrainekrieg aufgerechnet oder gar behauptet werden, der eine rechtfertige den anderen. Aber die USA und Europa besäßen in vielen Teilen der Welt mehr Glaubwürdigkeit, würde mit gleichem Maß gemessen. In der arabischen Welt springen diese Doppelstandards besonders ins Auge. Die sogenannten westlichen Werte wurden vor dem Einmarsch in den Irak an der Garderobe abgegeben.
Spätestens mit der Veröffentlichung der entwürdigenden Fotos aus dem damals von der US-Armee kontrollierten irakischen Gefängnis in Abu Ghraib von nackten Gefangenen, die vom US-Personal vorgeführt wurden, waren die westlichen Werte im Irak erledigt. Damals wurde so mancher Islam-Experte in den Medien zitiert, welche verheerende Wirkung diese Bilder in der arabischen Welt hätten, wo Nacktheit und Scham eine Einheit bildeten. Derweil gibt es auf der ganzen Welt wohl kaum entwürdigendere Fotos, um die Macht von Besatzern über Besetzte auszudrücken.
Es sind Bilder, die sich in die kollektive arabische Erinnerung eingebrannt und die das Image der USA in der arabischen Welt endgültig ruiniert haben. Dort führten auch diese Fotos zu einer weiteren Radikalisierung, waren sie doch eine glänzende Werbeaktion für al-Qaida. Kein Bin-Laden-Video konnte den Effekt der Bilder aus Abu Ghraib überbieten.
Dass in den US-Gefangenenlagern im Irak fast alle einsaßen, die später die oberste Riege des sogenannten Islamischen Staats (IS) bilden sollten, ahnte damals niemand. Aber auch hier erwies sich die US-Besatzung im Irak als Geburtshelferin des IS. Gut ein Jahrzehnt später eroberte die Terrormiliz die drittgrößte irakische Stadt Mossul und rückte zeitweise bis wenige Kilometer vor Bagdad vor – bevor der IS dann mit internationaler Unterstützung zurückgedrängt und am Ende zumindest territorial besiegt werden konnte.
Eine ähnliche Entwicklung war gut zehn Jahre zuvor in Gang gesetzt worden, als 1990 George W. Bushs Vater, US-Präsident George Bush senior, für seine Operation Desert Storm Truppen gegen den Irak mobilisiert hatte. Die damalige Stationierung von US-Truppen am Golf diente dem Terrornetzwerk al-Qaida als Vorwand für seine Gründung. Ebenjene al-Qaida, die 2001 für den größten Terroranschlag auf amerikanischem Boden verantwortlich zeichnete.
George W. Bushs Irak-Invasion und die folgende Besatzung führten dazu, dass mit dem IS eine militante, noch brutalere islamistische Organisation das Licht der Welt erblickte, die in ihrer größten Ausdehnung im Irak und in Syrien ein Gebiet größer als Österreich kontrollierte.
Zaghafte Pflänzchen
Doch die Auswirkungen der US-Invasion im Irak gehen über die Schaffung des IS hinaus. An vielen Orten der arabischen Welt entstanden Anfang der 2000er kleine Demokratie-Bewegungen. In den Salons von Damaskus wurde von der Demokratisierung Syriens geträumt. In Ägypten forderte die Kifaya-Bewegung („Es Reicht“) ein Ende der Herrschaft des Diktators Hosni Mubarak. Es waren zaghafte Pflänzchen, meist von linken und liberalen Gruppierungen getragen.
(Un-)Freiheit
Keine Demokratie, aber auch keine Diktatur wie zu Saddam-Zeiten – so lässt sich der Irak beschreiben. Zwar gibt es ein Parlament und Wahlen, doch das politische System ist dysfunktional. Die Parlamentswahl 2021 gewann der schiitische Block um den Polit-Prediger Muktada al-Sadr. Seit November hat das Land auch wieder einen Präsidenten (der Kurde Abdullatif Raschid) und einen Regierungschef (der Schiit Mohammed al-Sudani). Doch hinter den Kulissen lähmt ein Machtkampf das Land.
(Un-)Abhängigkeit
Die Frage nach der Abhängigkeit vom großen Nachbarn Iran spaltet das mächtige schiitische Lager. Während die Sadr-Bewegung einen irakisch-nationalistischen Kurs fährt, folgen einflussreiche pro-iranische Parteien mitsamt ihren schlagkräftigen Milizen der Führung in Teheran. Andere Akteure sind eher Nebendarsteller. Die Kurd*innen haben im Nordirak in der Verfassung von 2005 offiziell eine autonome Region zugesprochen bekommen.
Unzufriedenheit
Im Oktober 2019 brachen Massenproteste aus. Hunderttausende gingen nicht nur gegen Korruption und Jugendarbeitslosigkeit auf die Straße, sondern forderten auch ein Ende des nach 2003 eingeführten ethno-konfessionellen politischen Systems, das auf Quoten für sunnitische, schiitische und kurdische Iraker*innen basiert und als Ursache für konfessionelle Spannungen wie auch für die Korruption im Land gesehen wird. Mindestens 600 Menschen wurden bei der Niederschlagung der Proteste getötet. (hag)
Als Gegenstrategie zeigten die arabischen Diktatoren nun mit dem Finger auf den Irak, der im Chaos versank und sich in einem Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten selbst zerstörte. Das Argument der Autokraten war so simpel wie effektiv: „Ist das die Art von Demokratie, die ihr euch wünscht?“, fragten sie. Die USA hatten es geschafft, die Idee der Demokratie in der arabischen Öffentlichkeit als unerwünschtes US-Exportprodukt zu diskreditieren, das zu Chaos führt.
So vergingen weitere acht Jahre, bevor im sogenannten Arabischen Frühling die Menschen erstmals in Massen gegen ihre Autokraten auf die Barrikaden gingen. Ohne den für die Araber abschreckenden Irakkrieg, der von Washington als Demokratisierungsmaßnahme vermarktet wurde, hätte der Arabische Frühling von 2011 wahrscheinlich schon früher begonnen.
Die wichtigste Lektion für die USA und Europa aber ist, dass man auch mit der stärksten Militärmacht der Welt am Ende die Kräfteverhältnisse in einem anderen Land nicht in seinem Sinne verändern kann. Unvergesslich, als George W. Bush im April 2003 zum Flugzeugträger „Abraham Lincoln“ geflogen wurde, um dort hinter einem Banner mit dem Schriftzug „Mission Accomplished“ aufs Podium zu steigen und seine Truppen mit dem Satz „Gute Arbeit geleistet“ zu loben und dann zu erklären: „In der Schlacht um den Irak haben die USA und ihre Alliierten gesiegt.“
Mit einem grünen Piloten-Overall und einem weißen Pilotenhelm unter dem Arm salutierte er den Anwesenden. Zwei Jahrzehnte später sind die US-Truppen weitgehend abgezogen – und zwar aufgrund des heftigen irakischen Widerstands. Noch schlimmer ist, dass der Irak nun vom benachbarten Iran kontrolliert wird, den Bush damals auch zum Schurkenstaat deklariert hatte.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Heute sind es schiitische Parteien und Milizen, unterstützt von der iranischen Führung, die in der Politik in Bagdad den Ton angeben – so ziemlich das Letzte, was sich George W. Bush damals als Triumph ausgemalt haben dürfte. Insofern waren der Irakkrieg und seine Folgen auch der Beginn vom Ende einer Weltordnung, in der die USA im Alleingang global den Lauf der Dinge bestimmen.
Dass dann auch noch, wie vor einigen Tagen geschehen, der Iran und der wichtigste US-Verbündete in der Region, Saudi-Arabien, unerwartet in Peking ein Kooperationsabkommen unterzeichnen, das von China vermittelt wurde, zeigt vor allem eins: wie schnell die Geschichte voranschreitet, nachdem sie das vor zwei Jahrzehnten in Washington geschriebene Skript für den Irak und die gesamte Region zerrissen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut