piwik no script img

US-Gericht erlaubt Tötung per GiftspritzeDas Risiko der Qual „gehört dazu“

Das Beruhigungsmittel Midazolam darf in den USA für Hinrichtungen benutzt werden. Laut Supreme Court verstößt das nicht gegen die Verfassung.

Mehr als 3.000 Menschen sitzen gegenwärtig in den Todestrakten der US-Gefängnisse. Foto: ap

NEW YORK taz | Wenn eine Hinrichtung eine Dreiviertelstunde oder fast zwei Stunden lang dauert und wenn der Todeskandidat sich bis zuletzt windet, krümmt und nach Luft schnappt, dann ist das weder grausam, noch verstößt es gegen die Verfassung. Das hat am Montag die Mehrheit des Obersten Gerichtes in Washington entschieden. Damit darf das umstrittene Mittel Midazolam wieder als Teil eines „Cocktails“ für Hinrichtungen benutzt werden.

Mit fünf gegen vier Stimmen entschied der Supreme Court entlang der traditionellen Trennlinien. Der Einsatz des Beruhigungsmittels Midazolam bei Hinrichtungen verstößt nach der Mehrheitsmeinung nicht gegen den achten Verfassungszusatz, der „ungewöhnliche und grausame Strafen“ verbietet. Der konservative Richter Samuel Alito sagte, das „Risiko einer gewissen Qual“ sei „dazugehörend“. Den Klägern – mehrere Insassen eines Todestraktes in Oklahoma – warf er vor, dass sie dem Gericht keine weniger schmerzhafte Alternativmethode zur Hinrichtung vorgeschlagen hätten.

Bei der Todesstrafe ist das Oberste Gericht tief gespalten. Nach Ansicht von Richter Alito benutzen seine liberalen KollegInnen die Hinrichtungsdrogen als Mittel in einem „Guerrillakrieg“ gegen Hinrichtungen. Mehrere liberale RichterInnen betrachten den Entscheid vom Montag als eine verpasste Gelegenheit, die Todesstrafe prinzipiell zu diskutieren.

Stephen Breyer und Ruth Bader Ginsberg erklärten gemeinsam, dass die Todesstrafe an sich „höchst wahrscheinlich“ verfassungswidrig sei. Sie begründen das unter anderem mit Justizirrtümern, sowie damit, dass Todesurteile abhängig vom Standort des Gerichtes, der Hautfarbe und dem Geschlecht des Angeklagten seien, dass oft Jahrzehnte zwischen einer Verurteilung und einer Hinrichtung vergehen und, dass der größte Teil des Landes keine Hinrichtungen mehr macht.

Die liberale Richterin Sonia Sotomayor teilte am Montag mit, für das Oberste Gericht mache es offenbar „keinen Unterschied, ob der Staat Midazolam benutzt oder die Verurteilten mit einer Vierteilung langsam zu Tode quält, oder sie auf einem Scheiterhaufen verbrennt.“

Zwei Stunden Qual zum Tod

Das Oberste Gericht hat sich bereits vielfach mit der Todesstrafe befasst. Dieses Mal ist es einberufen worden, nachdem es im vergangenen Jahr mehrfach zu Komplikationen bei Hinrichtungen mit einem neuen Giftcocktail kam. Im April dauerte der Todeskampf von Clayton Lockett in Oklahoma 43 Minuten. Im Juli starb Joseph Wood in Arizona erst knapp zwei Stunden nach der tödlichen Injektion. Beide waren mit einer Mischung gespritzt worden, die auch Midazolam enthielt. Ein Experte in Arizona kam im Dezember zu dem Ergebnis, dass bei Wood sowohl richtig dosiert, als auch richtig injiziert worden sei. Wood habe nicht reagiert wie erwartet.

Anfang dieses Jahres riefen mehrere Todeskandidaten aus Oklahoma das Oberste Gericht an. Sie verlangten Aufklärung darüber, welche Mittel ihnen bei der Hinrichtung gespritzt werden und wer die Hersteller seien. Auch mehrere US-Medien klagten auf Offenlegung dieser Informationen.

Midazolam wird erst seit vergangenem Jahr und bislang nur in vier Bundesstaaten (Arizona, Florida, Ohio und Oklahoma) für Hinrichtungen benutzt. Vier weitere Bundesstaaten (Alabama, Arkansas, Louisiana und Virginia) haben Midazolam für denselben Zweck zugelassen, aber bislang nicht eingesetzt. Oklahoma hat das Mittel zum ersten Mal bei der Hinrichtung von Lockett benutzt.

Das Experimentieren mit Midazolam begann, nachdem die zuvor benutzte Todesdroge Pentobarbital knapp wurde. Aufgrund von Protesten von Menschenrechtlern weigerten sich Pharmahersteller, das Mittel an US-Gefängnisse zu liefern.

Tausende Menschen im Todestrakt

Als das Oberste Gericht den Einsatz von Midazolam Anfang des Jahres bis auf Weiteres suspendierte, entschied Oklahoma, mit Stickstoffgas hinzurichten, wenn keine tödlichen Injektionen zur Verfügung stehen. Nach dem Gerichtsentscheid vom Montag, der Midazolam wieder zulässt, erklärte Oklahomas Gouverneurin, Mary Fallin, dass sie Hinrichtungstermine für drei Insassen erwartet.

Die USA ist das einzige westliche Land, das an der Todesstrafe festhält. Sie existiert in 31 der 50 Bundesstaaten sowie auf der Bundesebene. Zuletzt ist in der vergangenen Woche der überlebende Bombenleger beim Boston Marathon von einem Bundesgericht zum Tode verurteilt worden. Mehr als 3.000 Menschen sitzen gegenwärtig in den Todestrakten der US-Gefängnisse. Im vergangenen Jahr führten sieben Bundesstaaten Hinrichtungen durch. Nach Informationen des „Death Penalty Information Center“ sind seit 1973 bereits 149 zum Tode verurteilte Personen entlastet worden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Die Europäer brauchen meiner Meinung nach USA nichts vorschreiben. Die EU ist nach so vielen Jahren uneinig und oft mal unfähig eigene Krisen zu meistern. Dass in Europa immer noch bestimmte Ethnien Bürger zweiter Klassen sind, Tausende Flüchtlinge an EU Grenzen scheitern, EU uneinig gegenüber Aggressoren vorgeht und Polizei foltern kann, da braucht man USA nichts vorzuwerfen.

  • Ich verstehe nicht, wie man immer noch darauf kommt, die USA zur "westlichen Welt" zu zählen...

    Die USA gehört zu den "Terrorstaaten" gezählt. Staaten, die die UN ignorieren und deren Entscheidungen, die jeden tag auf staatliche Anweisung Zivilisten mit Fernwaffen ermorden, ein Staat, in dem Menschenrechte nicht zählen (Todesstrafe) und die den internationalen Strafgerichtshof nicht anerkennen und sich nicht unterwerfen. Wo ist dieser Staat irgendwo "westlich"?

  • USA - Ein barbarischer Schurkenstaat...

    • @amigo:

      Diese "Ansage" ist so kurz wie sie dumm ist, Amigo. Eine Frau wird ja auch nicht dadurch zur Hure, dass man sie vergewaltigt.

       

      Ein Staat ist mehr als seine Henker. Die USA sind auch all jene, die sich wehren gegen den Wahnsinn stundenlanger qualvoller Hinrichtungen. Die haftbar zu machen für die Entscheidung barbarischer, machtbesessener Männer und Frauen, ist nicht viel besser als die Hinrichtung unschuldig Verurteilter.

      • @mowgli:

        Nix mit Vergewaltigung. 59 % der Amis sind für die Beibehaltung der Todesstrafe. Nur 35 % fordern ihre Abschaffung.

        Hier kommt leider zu den machtbesessenen Männern und Frauen auch noch ein in großen Teilen barbarisches und ignorantes Volk.