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US-Abzug aus AfghanistanWelchen Preis hat der Frieden?

Thomas Ruttig
Kommentar von Thomas Ruttig

Platzt der US-Taliban-Abzugsdeal, wäre das tragisch. Aber steht das Land Afghanistan wirklich kurz vor dem Frieden? Die Antwort ist „Nein“.

Den Amerikanern geht es vor allem darum, ihre Truppen nach 18 Jahren heimzuholen Foto: ap

E s scheint, als ob erneut ein Versuch zu scheitern droht, den vierzigjährigen Krieg in Afghanistan zu beenden. Platzt der US-Taliban-Abzugsdeal, wäre das tragisch. Denn alle Kriegsparteien können noch lange so weitermachen wie bisher, und die Zivilbevölkerung zahlt den Preis. Das zeigen die jüngsten Taliban-Bomben und die weit weniger beachteten US-Luftschläge, bei denen selbst die städtische afghanische Zivilgesellschaft, also die, die in den Medien Gehör finden, selten hinterfragt, wenn hinterher behauptet wird: „Zivilisten kamen nicht ums Leben.“

Aber stand das Land Afghanistan wirklich kurz vor dem Frieden? Die Antwort ist „Nein“. Vergessen wir allen spitzfindigen Diplomatensprech: Den Amerikanern geht es vor allem darum, ihre Truppen nach 18 Jahren aus einem „War-on-Terror“-Einsatz heimzuholen, der militärisch nicht zu gewinnen ist.

Ein Friedensschluss Taliban/Kabul wäre für sie ein hübsches Beiwerk, ist aber nicht notwendig. Deshalb haben sie Gespräche darüber an die afghanischen Fraktionen relegiert, für die Zeit nach ihrem eigenen Deal. Sie planen, so lange den Abzug schon mal zu beginnen. Geht das zu schnell und dauern diese Gespräche zu lange, könnte es das Kabuler System zusammenbrechen lassen, das ohne auswärtiges Militär und Geld nicht überleben kann.

Es gibt noch einen Haken: Innerafghanische Gespräche würden vielleicht den Krieg beenden. Allerdings könnte dabei eine Machtteilung herauskommen, die eine rückwärtsgewandte, antidemokratische bewaffnete Aufstandsbewegung und ein ebenfalls auf oft dubiose bewaffnete Kräfte gestütztes, an internationalen Hilfsgeldern parasitierendes Kriegsgewinnler-Regime (inklusive eigener Warlords und Islamisten), zusammenbringt – mit ein paar Frauen als Garnitur, die ebenfalls nicht unbedingt fraktionslos sein könnten.

Das könnte sogar die Spurenelemente der Demokratie in Frage stellen, die sich seit dem Jahr 2001 in Afghanistan entwickelt haben. Viele Afgha­n*innen fragen sich zurzeit, ob sie den Preis für einen solchen Frieden zahlen wollen.

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Thomas Ruttig
Autor:in
Mitbegründer des unabhängigen Think Tanks Afghanistan Analysts Network Kabul/Berlin (https://www.afghanistan-analysts.org/en/). Abschluss als Diplom-Afghanist, Humboldt-Univ. Berlin 1985. Erster Afghanistan-Aufenthalt 1983/84, lebte und arbeitete seither insgesamt mehr als 13 Jahre dort, u.a. als Mitarbeiter der DDR-, der deutschen Botschaft, der UNO und als stellv. EU-Sondergesandter. Seit 2006 freischaffend. Bloggt auf: https://thruttig.wordpress.com zu Afghanistan und Asylfragen. Dort auch oft längere Fassungen der taz-Beiträge.
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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Kann Afghanistan nicht geteilt werden und die Bürger dürfen entscheiden, in welchem System sie leben möchten? Die Einkünfte aus den Ressourcen werden unter den verschiedenen Landesteilen gerecht geteilt, ebenso müsste die Wasserversorgung etc. für alle gewährleistet sein.

    Ich finde es ungeheuer schwierig auf die Entfernung zu wissen, wie die Menschen dort leben wollen. Verkürzt scheint für mich die Trennlinie zwischen Scharia und Nicht-Scharia zu verlaufen.



    Werden die Bevölkerungsgruppen getrennt und jeder kann in dem von ihm/ihr gewählten System ein selbstbestimmtes Leben führen, nähern sie sich vielleicht sogar wieder an.

  • Wie schrecklich diese Vorstellung, die Taliban könnten ihre Rückeroberung vollenden.



    Das Land ist kriegszerstört und viele Menschen werden erpresst für Kurierdienste und andere Aufträge, sogar von eigenen Verwandten.



    Der IS muss in Afghanistan bekämpft werden - das geht nur militärisch.



    Davor die Augen zu verschließen ist sehr dumm.

  • Geht es hier um "Frieden" oder um "Kapitualtion"? Wollen die USA noch ein paar geostrategische Interessen und das Geschichtsbild klittern? So tun, als ob der Einsatz jemals Sinn gemacht hat? Als ob etwas erreicht worden wäre?



    Dabei handeln die USA schon längst genauso, unterstützen Rebellengruppen und destabilisieren Systeme.

  • Ich komme vor Lachen nicht in den Schlaf, Herr Ruttig.



    "Das könnte sogar die Spurenelemente der Demokratie in Frage stellen, die sich seit dem Jahr 2001 in Afghanistan entwickelt haben."



    Demokratische Bewegung und eine offene Gesellschaft in Afghanistan gab es schon.



    Bevor die CIA 1979 - 1989 damit begann, Mujahedeen mit Waffen zu versorgen um den russischen Einfluss zu unterdrücken.



    Der hingegen war im Afgjanisch- russischen Freundschaftsvertrag, zumindest offiziell, beiderseits gewollt.



    Gehört es zur neuen Hauspolitik der TAZ den Darmausgang der Amis reinzuhalten?



    Der Guardian (!) zumindest findet zum gleichen Thema wesentlich klarere Worte.

    • @Reyde Lanada:

      Ganz spannendes selektives Geschichtsbild.

      "Der hingegen war im Afgjanisch- russischen Freundschaftsvertrag, zumindest offiziell, beiderseits gewollt."

      Ich glaube mich da dunkel an etwas erinnern zu können. Ach so, die Russen hatten den vorherigen Präsidenten Afghanistans und seinen Sohn durch Alfa Einheiten mit einer Handgranate in die Luft gesprengt.

      • @Sven Günther:

        Aha, wusste ich nicht.



        Gibt's dazu einen Link?



        Hat das was mit der Saurrevolution zu tun?

        Fakt ist doch aber das die ersten freien in Wahlen in Afghanistan schon lange her sind.



        Da müssen nicht erst Amerikaner mit Spurenelementen einer Demokratie kommen, die sie selbst nicht so besonders ganz hinbekommen

        • @Reyde Lanada:

          Dann lesen Sie mal noch mal die Geschichte Afghanistans nach, bevor Sie uns hier eine "offene Gesellschaft" in Afghanistan verkaufen wollen.