UN-GERICHTSHOF SPRICHT SERBIEN VOM VÖLKERMORD-VORWURF FREI: Kompromiss statt Katharsis
Serbien kann über das Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag erleichtert sein. Serbien und Montenegro werden nicht die ersten Staaten der Welt sein, die wegen eines Genozids an einer anderen Bevölkerungsgruppe verurteilt werden, und Reparationen muss das Land auch keine fürchten. Die direkte Befehlsgewalt über die serbisch-bosnischen Truppen, die in Srebrenica nach Auffassung des Gerichts einen Genozid begangen haben, konnte nämlich nicht nachgewiesen werden.
Dieser Freispruch enthebt die Serben jedoch nicht davon, über die eigene Vergangenheit nachzudenken, statt sich in selbstmitleidigen Rechtfertigungen zu ergehen. Leider werden jene wenigen, die die Dinge beim Namen nennen, noch immer zur Seite gedrängt, verfolgt oder gar bedroht.
Das Gericht kritisierte, dass der Schlächter von Srebrenica, Ratko Mladić, nach wie vor in Serbien geschützt wird. Dies sollte wenigstens jene im Lande aufrütteln, die vorgeben, proeuropäische Demokraten zu sein. Durch ein schärferes Urteil hätte das Gericht zu einem Klärungsprozess in Serbien selbst beitragen können. So aber ist zu befürchten, dass man in Belgrad das Urteil einfach verdrängt.
Ganz zur Tagesordnung übergehen kann man aber nicht. Denn das Massaker von Srebrenica, das in der serbischen Öffentlichkeit bisher weitgehend geleugnet wurde, darf nun mit Fug und Recht als Genozid bezeichnet werden. Für die Überlebenden von Srebrenica ist das Urteil nur ein schwacher Trost. Denn keiner der über 800 namentlich bekannten Mörder von Srebrenica ist bisher von der serbisch-bosnischen Polizei festgenommen worden. Und auch die in Bosnien stationierten Nato-Truppen und Polizeikräfte haben keinen Finger gerührt, um ihrer habhaft zu werden.
Das Urteil des Internationalen Gerichtshofs spiegelt die politischen Interessen, die in Bezug auf Serbien und Bosnien vorherrschen; hinter den Kulissen wurde hart darum gerungen. Herausgekommen ist ein Kompromiss, der die Opfer zwar etwas bestärkt, vor allem aber ebnet er Serbien – ohne Katharsis, wohlgemerkt – den Weg nach Europa.
ERICH RATHFELDER
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