UN-Bericht zu Kriegsverbrechen in Kasai: Kongos Regierung deckt Massaker
Es gibt kollektive Morde an missliebigen Bevölkerungsgruppen im Kongo – mit „direkten Befehlen und sorgfältiger Planung“ von Amtsträgern.
Neuerdings gehen als „Bana Mura“ bekannte Milizen, die laut UNO zum Teil von staatlichen Stellen aufgestellt und aufgerüstet worden sind, kollektiv gegen die Volksgruppen der Luba und Lulua vor, aus denen sich die Kamuina Nsapu rekrutieren. Der UN-Bericht, der Vorfälle im Distrikt Kamonia der Provinz Kasai zwischen März und Juni 2017 schildert, erhebt nun die bisher konkretesten Vorwürfe gegen diese Milizen und deren Verbindungen in den Staatsapparat.
„Während die Kamuina Nsapu gezielte Tötungen vorgenommen haben sollen, zumeist an Amtsträgern und mutmaßlichen Hexen, haben die Bana Mura angeblich einen Feldzug mit dem Ziel durchgeführt, die gesamte Luba- und Lulua-Bevölkerung in den von ihnen angegriffenen Dörfern auszulöschen“, so der UN-Bericht. Die Bana Mura in Kasai rekrutieren sich demnach aus den Volksgruppen der Tchokwe, Pende und Tetela. Ihren Namen haben sie sich selbst gegeben, so der Bericht, der allerdings nicht weiter ausführt, woher er kommt: „Bana Mura“ heißt „Leute aus Mura“ und bezieht sich auf die Militärbasis Mura bei Likasi in Katanga, eines der wichtigsten Ausbildungszentren der kongolesischen Armee.
Als „Bana Mura“ wurden bereits nach Kongos umstrittenen Wahlen von 2011 Angehörige von Todesschwadronen im Umfeld der Sicherheitskräfte bezeichnet, die gegen Anhänger des damaligen Oppositionsführers Etienne Tshisekedi vorgingen. Tshisekedi stammt aus Kasai, die Luba der Region sind die treueste Basis seiner Partei. Er erkannte damals seine Wahlniederlage gegen Präsident Joseph Kabila nicht an, und nach Protesten fielen Dutzende seiner Anhänger außergerichtlichen Hinrichtungen zu Opfer.
„Direkte Befehle, sorgfältige Planung“
Der Krieg in Kasai begann im August 2016, als Anhänger eines von der Polizei getöteten traditionellen Führers, den die Regierung nicht anerkannte, unter seinem Kriegsnamen zu den Waffen griffen. Genannt Kamuina Nsapu, drängte diese Miliz zunächst die Armee der Region mit Blitzangriffen auf Städte in die Defensive. Die Armee schlug mit blutigen Rachefeldzügen gegen die Zivilbevölkerung zurück.
Laut dem UN-Bericht begann die Kamuina-Nsapu-Miliz im März 2017, nicht nur staatliche Stellen anzugreifen, sondern auch Angehörige von Volksgruppen mit hochrangigen Vertretern im staatlichen Sicherheitsapparat: Tchokwe und Pende. Daraufhin hätten diese Volksgruppen eigene Milizen gebildet. Laut den von der UNO befragten Opfern hätten diese Milizen seitdem Angriffe auf Dörfer „infolge direkter Befehle und sorgfältiger Planung durch mache lokalen Amtsträger“ durchgeführt.
„Vom Team gesammelten Informationen deuten darauf hin, dass die Angriffe der Bana Mura vorgeplant zu sein scheinen, mit der aktiven Beteiligung identifizierter lokaler Amtsträger, nämlich Angehörige der Sicherheits- und Streitkräfte sowie traditioneller Führer“, heißt es in dem Bericht.
24. April: Das Massaker von Cinq
So griffen die Bana Mura am 24. April das Dorf Cinq im Distrikt Kamonia der Provinz Kasai an – nachdem die lokalen Behörden die nicht-Lubasprachigen Bewohner aufgfordert hatten, den Ort zu verlassen, und traditionelle Führer der Tchokwe, Tetela und Pende auf Versammlungen ihre eigenen Anhänger mit Geld und Waffen ausgestattet hatten. Straßensperren wurden errichtet, um eine Flucht der Luba aus Cinq in Richtung der Provinzhauptstadt Tshikapa zu verhindern.
Am 24. April griffen schließlich 200 bis 500 mit Macheten, Messern und Gewehren bewaffnete Männer Cinq an. „Zeugen sagten, dass sie unter den Angreifern lokale zivile und militärische Autoritäten erkannten.“ Die Luba und Lulua des Ortes wurden „in ihren Häusern, auf den Straßen, im nahen Wald, im Gesundheitszentrum und in einer Apotheke“ angegriffen. Zwei überlebende Mitarbeiter des Gesundheitszentrums sagten laut UN-Bericht aus, dass „90 Patienten, außerdem mehrere medizinische Kräfte und schutzuchende Dorfbewohner, erschossen, zerstückelt oder lebendig verbrannt“ wurden.
Viele der Toten wurden geköpft, zwei schwangeren Frauen wurden die Bäuche aufgeschlitzt und die Föten zerhackt. In den Tagen danach wurden weitere Dörfer auf ähnliche Weise angegriffen. Einigen Überlebenden gelang in tagelangen Fußmärschen durch den Busch die Flucht nach Angola, manche mit klaffenden Wunden, die nach der Ankunft zu Amputationen führten. Die UN-Experten haben die Verstümmelungen mehrerer Überlebender aus Cinq fotografisch dokumentiert.
96 Flüchtlinge befragt
Die UN-Experten befragten zwischen dem 13. und 23. Juni insgesamt 96 Flüchtlinge aus Kasai im Nachbarland Angola. Auf Grundlage dieser Befragungen zählen die UN-Experten, dass zwischen 12. März und 19. Juni die Bana Mura 150 Menschen massakriert haben, die Kamuina Nsapu 79 und die Armee 22.
Insgesamt spricht der UN-Bericht von „mindestens 282“ dokumentierten Opfern von Menschenrechtsverletzungen, davon 113 Frauen und 68 Kinder. Es gehe um 251 extralegale Tötungen, 17 Verstümmelungen, neune Entführungen, vier Vergewaltigungen und eine Verhaftung. Von 62 getöteten Kindern waren 30 unter acht Jahre alt.
Diese Zahlen können aufgrund der geringen Datenbasis nur einen winzigen Ausschnitt des Gesamtgeschehens darstellen. Der Bericht konzentriert sich auf einen einzigen Distrikt einer einzigen der fünf Kasai-Provinzen. Nur 30.000 der 1,4 Millionen Kasai-Flüchtlinge haben Angola erreicht. Viele andere irren monatelang ohne jede Versorgung in Kongos Wäldern umher. Die UN-Mission im Kongo (Monusco) hat bisher 80 Massengräber in Kasai identifiziert.
Unabhängige Untersuchungen in Kasai werden der UNO von Kongos Regierung allerdings nicht gestattet. Im März wurde der Leiter der UN-Expertengruppe, die die geltenden UN-Sanktionen gegen den Kongo überwacht, in Kasai zusammen mit der Menschenrechtsexpertin der Gruppe ermordet, als sie Massengräber untersuchen wollten. Es gibt Hinweise, dass staatliche Stellen in diese Morde verwickelt waren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt