UN-Artenschutzkonferenz in Kolumbien: Der Möchtegern-Öko
Die umweltfreundlichste Regierung in der Geschichte Kolumbiens wollte Gustavo Petro anführen. Geblieben ist vor allem: Ernüchterung.
Die am Montag gestartete UN-Artenschutzkonferenz im kolumbianischen Cali ist wohl die Krönung für Petro, den Möchtegern-Ökopräsidenten. Der erste linke Präsident Kolumbiens hatte schon im Wahlprogramm tiefe Transformationen versprochen, um die Klimakrise und den Verlust der Artenvielfalt anzugehen. Petro forderte im Wahlkampf, dass Kolumbien das extraktivistische – also auf der Ausbeutung von Rohstoffen und deren Verkauf ins Ausland beruhende – Wirtschaftsmodell hinter sich lässt und die Nutzung sauberer Energien demokratisiert.
Dekarbonisierung plus Umweltschutz – alles, um aus Kolumbien eine „Weltmacht des Lebens“ zu machen. Dazu passte Francia Márquez als erste Schwarze Vizepräsidentin, eine Umweltschützerin, die für ihren Kampf gegen den Bergbau den Goldman-Preis erhalten hatte, sozusagen den Umwelt-Nobelpreis. Petros Regierung galt als die umweltfreundlichste, die Kolumbien je hatte – zu Anfang.
Bald kam die Ernüchterung. Ins Bergbau- und Energieministerium berief er die Aktivistin Irene Velez, die sich zwar mit den sozialen Folgen des Bergbaus auskannte, aber wenig mit der technischen Seite. Von ihrem Auftreten traute man ihr eher einen Sitzstreik zu, als mit internationalen Bergbaumultis und ihren Anwaltsheeren die Energiewende zu verhandeln. Bis zu ihrem Rücktritt schlitterte sie von einem Fehltritt zum nächsten. Umweltministerin Susana Muhamad ist eine der wenigen Minister:innen, die von Anfang an dabei ist.
Fortschritt hat Petro kaum gemacht
Ständig baut Petro sein Kabinett um. Die Regierungskoalition im Kongress ist zerbröselt. Dazu kommt sein Hang zu Narzissmus, der ihn in Konfrontation statt Kompromiss drängt. Von den zwei Dutzend Umwelt-Punkten aus dem Wahlprogramm haben gerade einmal acht konkrete Fortschritte gemacht – und zwar vor allem die weniger wichtigen. So analysierte es das Investigativportal Vorágine im April dieses Jahres.
Während Petro im Ausland die Industriestaaten auffordert, ihre Energie-Hausaufgaben zu machen, hat er daheim wenig geliefert. Ein sofortiger Ausstieg aus den fossilen Energien würde Kolumbien einen Großteil seiner Devisen kosten und die Energie-Souveränität gefährden, warnten Expert:innen. Ein Umbau Richtung Erneuerbare ist allerdings auch für Kolumbien wichtig, dazu die Wirtschaft diversifizieren, damit sie nicht mehr so stark vom Rohstoff-Export abhängt.
Im Dezember 2023 verkündete Petro, Kolumbien unterzeichne keine neuen Verträge mehr, um nach Vorkommen von Kohle, Erdöl und Gas zu suchen. Alte laufen aber weiter. Und daheim tut er das, was er den Industriestaaten ankreidet: anderswo einkaufen, wo dubiose Bedingungen herrschen. So schloss Kolumbien im April eine Übereinkunft mit Venezuela, damit der staatlich kontrollierte kolumbianische Konzern Ecopetrol Öl und Gas in Venezuela ausbeuten darf und im Gegenzug Energie nach Venezuela exportiert.
Um Boden wird in Kolumbien seit Jahrzehnten gekämpft
Der Ausbau erneuerbarer Energien verläuft schleppend. Solar und Wind hätten an der Karibikküste gute Voraussetzungen. Doch Windparks laufen beispielsweise den Überzeugungen der indigenen Wayúu zuwider. In Sachen Zertifikatshandel hat Umweltministerin Muhamad erste Absichtserklärungen vorgelegt – während Kolumbien längst im internationalen Handel mit Emissionszertifikaten steckt, zum Leid der oft über den Tisch gezogenen indigenen Gemeinschaften.
Mit Petros großen Reden kann die Realität nicht mithalten. Das liegt auch daran, dass mit Umwelt eng verknüpft die Frage nach der Kontrolle über Land ist – die in Kolumbien seit bald sechzig Jahren den bewaffneten Konflikt nährt.
Denn anders als Petro im Ausland gern verlauten lässt, ist nicht der Energiehunger der westlichen Welt Kolumbiens größtes Problem. Die meisten Treibhausgasemissionen gehen auf Abholzung, Rinderzucht, und Landwirtschaft zurück. Die sind in der Amazonasregion am größten.
Kolumbien bekommt die Erderhitzung schon zu spüren
Petros Regierung schlug einen für Kolumbien neuen Ansatz ein, der eng auf die Zusammenarbeit mit Bauern und Indigenen setzt beim Waldschutz, mit Programmen und Zahlungen, wenn sie nicht abholzen. Das historische Minus bei der Abholzungsrate im Jahr 2023 war allerdings den Verhandlungen mit bewaffneten Gruppen zu verdanken, die als Zeichen des guten Willens die Abholzung in den von ihnen kontrollierten Gebieten verboten. Als sie den Verhandlungstisch verließen, schoss die Abholzungsrate wieder in die Höhe.
Darüber hinaus ist Kolumbien laut der Nichtregierungsorganisation Global Witness wieder traurige Spitze bei den Morden an Umweltschützer:innen. Die meisten Opfer sind Indigene, in denselben Gegenden wie unter der rechten Vorgänger-Regierung. Auch das wollte Petro ändern. Doch die Drohungen und Morde gehen weiter, fast alle bleiben straflos.
Auf internationalen Bühnen hat Petro verkündet, Kolumbien werde „200 Millionen Dollar Jahr für Jahr über 20 Jahre beisteuern, um den Amazonas zu retten“. Allerdings stammt ein Großteil dieser Summe aus Hilfen internationaler Geberländer, darunter Deutschland.
Kolumbien spürt die Klimakrise bereits heftig. Die Karibikküstenstadt Santa Marta verzeichnete am 16. September eine Temperatur von 50 Grad. In der Hauptstadt Bogotá wird seit einem halben Jahr das Trinkwasser rationiert. Die Stauseen laufen leer, es regnet viel zu wenig. Weil Kolumbiens Stromversorgung stark von Wasserkraftwerken abhängt, ist eine Energiekrise samt Rationierung wohl nur eine Frage der Zeit. Eng verbunden mit der Klimakrise ist die Artenkrise, wie Petro erkannt hat.
Petro scheint nicht an die Konferenz zu glauben
In Kolumbien leben die meisten Arten im Landesteil Amazonien – wo die krasseste Abholzung stattfindet. Zudem machen invasive Arten den Ökosystemen zu schaffen. Das Paradebeispiel sind die sogenannten Narco-Hippos – die illegal eingeführten Flusspferde aus dem Privat-Zoo von Drogenboss Pablo Escobar, die sich nach seinem Tod ungebremst vermehrt haben und die heimische Tier- und Pflanzenwelt zerstören. Doch Umweltministerin Muhamad scheut sich, die wissenschaftlichen Empfehlungen umzusetzen, die letztlich Abschuss als effizienteste und billigste Lösung sehen.
Gleichzeitig sind unter Petros Regierung die Schutzgebiete auf 24 Prozent der Landfläche gestiegen und das Abkommen von Escazú im Kongress verabschiedet und vom Verfassungsgericht bestätigt worden. Das Abkommen soll den Bürger:innen mehr Teilhabe, Information und Gerechtigkeit in Umweltdingen garantieren. Demobilisierte Farc-Kämpfer:innen können ihre Wiedergutmachung an den Opfern der Bürgerkriege auch in Form der Wiederherstellung von Ökosysteme leisten.
Und vor wenigen Tagen unterzeichnete Petro ein Dekret, auf das die Indigenen über 30 Jahre gewartet hatten. Es macht Indigene zu Umweltbehörden. Damit sollen indigene Autoritäten gemeinsam mit anderen Einrichtungen Mechanismen schaffen, um den Schutz der Ökosysteme zu garantieren. Allerdings steht darin nicht, wie das passieren soll.
Auf der UN-Generalversammlung in New York hatte Petro geklagt: „Wir haben keine Zeit mehr. Die Regierungen sind machtlos, das Aussterben des Lebens aufzuhalten.“ Richten könnten es nur die Menschen – nicht die Regierungen. Zuletzt warnte er, die Artenschutzkonferenz werde die Menschen zwar zusammenbringen, doch einige Regierungen würden nur teilnehmen, um den Diskurs zu verwässern.
Das klingt nach wenig Glaube an die Verhandlungen. Immerhin hat er angekündigt, das Kabinett für die Zeit der Artenschutzkonferenz nach Cali zu verlegen.
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