UKs Konservative in der Krise: Aus Nigeria an die Spitze der Tories
Kemi Badenoch setzt sich bei der Urwahl zur neuen Führung der britischen Konservativen klar durch. Der rechte Flügel wird nun von Nigel Farage umworben.
Sie ist die erste Führerin einer großen europäischen Partei mit direktem afrikanischem Familienhintergrund überhaupt. „Ich bin froh, dass es zeigt, dass es in meinem Land und meiner Partei keinen Unterschied macht, wie man aussieht“, sagte sie in ihrem ersten TV-Interview am Sonntag. „Was ich nicht will, ist, dass es zum Hauptthema wird.“
Badenoch hat den Ruf, dass sie gradlinig spricht, ohne Scheuklappen. Das brachte ihr den Sieg in der Basisabstimmung bei den gut 130.000 Mitgliedern der Konservativen, mit 56,5 Prozent der Stimmen gegen ihren Kontrahenten Robert Jenrick, ehemaliger Staatssekretär für Einwanderung, der als Kandidat des migrationsfeindlichen rechten Parteiflügels galt.
Es ist der niedrigste Sieg bei einem Basisvotum der Konservativen, analysiert der konservative Sunday Telegraph, und die Mitgliederzahl der Partei liegt bei einem Rekordtief, ebenso die Zahl ihrer Abgeordneten, die bei den Parlamentswahlen im Juli von 365 auf 121 Sitze einbrach.
Badenoch betont gerne: Es gehe ihr um Prinzipien
Badenoch kommt ebenfalls aus dem rechten Flügel der Partei, so vertritt sie ausgesprochen konservative Positionen in der Gender- und Identitätspolitik. Kein Wunder, dass manche Linke auf ihre Wahl allergisch reagieren. Die Labour-Abgeordnete Dawn Butler, Tochter jamaikanischer Einwanderer und einst Mitglied des Schattenkabinetts Jeremy Corbyns, teilte eine nigerianische Bewertung Badenochs als „schwarzes Gesicht weißer Vorherrschaft“. Sie scheint den Post inzwischen gelöscht zu haben.
Labour-Premierminister Keir Starmer begrüßte Badenochs Wahl hingegen als „stolzen Augenblick für unser Land“, ebenso der schwarze Labour-Außenminister David Lammy, der ausgerechnet an diesem Sonntag nach Nigeria reist. Die Londoner linke Labour-Abgeordnete Florence Eshalomi, selbst mit nigerianischem Familienhintergrund, gratulierte Badenoch sogar auf Yoruba.
Während des Wahlkampfs betonte Badenoch immer, es gehe jetzt in der Opposition nicht um Programmpunkte, sondern um Prinzipien. „Es geht darum, was konservativ in den nächsten 5, 10 und 20 Jahren bedeutet“, sagte sie am Samstag. Ihr Ziel sei, „dass wir bis zur nächsten Wahl nicht nur klare konservative Versprechen haben, die dem britischen Volk gefallen, sondern einen klaren Plan, wie diese umzusetzen sind, einen klaren Plan, wie man dieses Land verändern kann, indem man die Art und Weise verändert, wie die Regierung arbeitet“.
Robert Jenrick hatte im Gegensatz zu ihr Programmatik betont, etwa den britischen Austritt aus der europäischen Konvention für Menschenrechte, um eine harte Asylpolitik zu ermöglichen – das fordert auch Nigel Farages Partei Reform UK. Farage reagierte auf Badenochs Wahl prompt mit der Meinung, die neue Tory-Chefin werde „nichts“ ändern, und rief Jenricks Anhänger auf, zu Reform UK zu wechseln.
Bis Dienstag soll das Schattenkabinett ernannt werden
Kann Badenoch die Selbstzerfleischung ihrer Partei beenden? Pünktlich zu ihrer Wahl sah ein britisches Meinungsforschungsinstitut die Konservativen zum ersten Mal seit drei Jahren in einer Wahlumfrage vor Labour. Doch die Tory-Schwergewichte haben bereits ihre Mitarbeit abgesagt. Ex-Premierminister Rishi Sunak zieht sich zurück, ebenso Ex-Finanzminister Jeremy Hunt und Exinnenminister James Cleverly, der erfolglos für die Parteiführung kandidiert hatte.
Es wird gemunkelt, dass Badenoch vor allem auf Abgeordnete ihrer eigenen jungen Generation setzt. Ihr Schattenkabinett will sie bis Dienstag ernannt haben, ihren ersten großen Auftritt hat sie am Mittwoch in der wöchentlichen parlamentarischen Fragestunde des Premierministers. Mit ihrer Direktheit und ihrer Vita könnte Kemi Badenoch gegen weiße Männer wie Keir Starmer und auch Nigel Farage punkten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen