Türkische Militäroffensive in Nordsyrien: Flucht aus der „Sicherheitszone“
100.000 Menschen befinden sich wegen der Militäroffensive auf der Flucht. Viele schon das zweite Mal in wenigen Jahren.
Mit ihrer Familie hat Dschihan nun vorläufig Zuflucht auf einem Schulhof in Hassake gefunden. „Wir wissen nicht wohin. Was will Erdogan von uns? Alles nur, weil wir Kurden sind?“, fragt sie zwischen Müdigkeit und Wut, während um sie herum Mütter ihren Kindern von den mageren Hilfspaketen zu Essen geben. Wie die meisten Vertriebenen aus Afrin ist sie seit ihrer Flucht nicht wieder in ihre Heimatregion zurückgekehrt.
In den verlassenen Häusern haben sich seit der Einnahme der Region im März 2018 viele arabische Kämpfer niedergelassen, die die türkische Armee gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) unterstützt hatten. Durch die Ansiedlung dieser Milizionäre mit ihren Familien sowie weiterer arabischer Sunniten hat sich die Bevölkerungsstruktur in der zuvor stark kurdisch geprägten Region verschoben.
Viele der arabischen Milizionäre beteiligen sich nun erneut an der türkischen Offensive in Nordsyrien. Erklärtes Ziel von Präsident Recep Tayyip Erdogan ist es, entlang der türkischen Grenze eine 30 Kilometer breite „Sicherheitszone“ zu schaffen. Dort will Erdogan eine Million syrische Flüchtlinge aus der Türkei ansiedeln. Da die meisten dieser Flüchtlinge Araber sind, könnten die Kurden in der Grenzregion zur Minderheit werden.
Fachreddin, auf der Flucht:
Wegen der Kämpfe haben bereits zehntausende Einwohner der syrischen Grenzstädte Ras al-Ain, Tal Abjad und Kobane die Flucht ergriffen. Die meisten würden in Tall Tamr, Hassake und umliegenden Dörfern Zuflucht suchen, sagt Madschida Amin, die in der kurdischen Autonomieverwaltung für Flüchtlinge zuständig ist. In Hassake seien drei Schulen zu Flüchtlingslagern umgewandelt worden. Die Zahl der Neuankömmlinge steige stündlich.
Manche der Flüchtlinge sind zu Fuß mit ihrem Gepäck aufgebrochen, um den Luftangriffen zu entkommen. „Alle haben Angst, unsere Kinder fürchten sich vor den Flugzeugen“, sagt der 28-jährige Ibrahim Fares, der mit seiner Frau und ihren zwei Kindern aus der Grenzstadt Ras al-Ain geflohen ist. 100.000 Menschen sind nach UN-Angaben schon durch die Kämpfe vertrieben worden, doch könnte die Zahl laut Hilfsorganisationen 300.000 erreichen.
In Tall Tamr haben sich etliche Familien in Parks und unter Bäumen niedergelassen. Unter ihnen ist auch der 55-jährige Fachreddin und seine Familie, die aus Ras al-Ain geflohen sind. Er fürchtet, dass sich die Kämpfe „auf alle Städte ausdehnen“ in der Region. „Der Krieg zerstört unsere Häuser, tötet unsere Söhne“, sagt er. „Wir wissen nicht, was unser Schicksal sein wird. Denn wir haben jedes Vertrauen in die Welt verloren.“
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