Türkische Militäroffensive gegen Syrien: Truppen rücken weiter vor
Mehr als 100.000 Zivilisten sind in Nordsyrien auf der Flucht vor dem türkischen Militär. Erdoğans Truppen haben eine US-Patrouille beschossen.
Während Ras al Ain am östlichen Ende der Region liegt, in die die türkischen Truppen eingedrungen sind, wird in Tal Abjad, am westlichen Ende der Invasionszone, noch gekämpft. Kurdische Kämpfer verteidigen die Stadt, die türkische Armee hat aber bereits alle umliegenden Dörfer besetzt.
Zwischen den beiden rund 100 Kilometer voneinander entfernt liegenden Städten hat die türkische Armee bereits einen Brückenkopf gebildet, der bis zu 30 Kilometer nach Syrien hineinragt. Die sogenannte Sicherheitszone, die laut Präsident Recep Tayyip Erdoğan entlang der syrisch-türkischen Grenze eingerichtet werden soll, soll 30 Kilometer tief nach Syrien hineinragen. Aus diesem gesamten Gebiet soll die kurdische YPG – Miliz, die die Region bislang kontrolliert, vertrieben werden.
Nach offiziellen Angaben der türkischen Armee sind bislang rund 450 kurdische Kämpfer getötet worden. Die eigenen Verluste werden auf vier getötete Soldaten beziffert. Allerdings sind durch Mörserbeschuß auf türkische Grenzstädte zehn Zivilisten getötet worden.
Flucht in die Wüste
Die Anzahl der getöteten und verletzten syrischen Zivilisten liegt wesentlich höher. Durch Bombenangriffe und Artilleriebeschuss sind nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London mindestens 30 Zivilisten in Syrien getötet worden. Nach Angaben der UN sind mittlerweile mehr als 100.000 Zivilisten vor den türkischen Invasionstruppen geflohen, meist in Richtung Süden in die Wüste hinein. Kurdische Behörden haben in Rakka, der ehemaligen Hauptstadt des IS, Auffanglager für Flüchtlinge eingerichtet.
Im umkämpften Nordosten Syriens sind nach Angaben von syrischen Kurden mehr als 700 Unterstützer der Terrormiliz Islamischer Staat aus einem Lager geflohen. Die dort Festgehaltenen hätten die Tore des Camps in Ain Issa, 30 Kilometer südlich von Tal Abjad, am Sonntag angegriffen und seien entkommen, berichteten die syrisch-kurdischen Behörden. Während ihrer Flucht kam es demnach zu Gefechten und türkischen Luftangriffen in der Nähe.
In dem Lager sind annähernd 12.000 Menschen untergebracht, darunter nahezu 1.000 ausländische Frauen mit Verbindungen zum IS und deren Kinder. Die syrischen Kurden standen im Kampf gegen die Terrormiliz an der Seite der USA. Die Haftlager könnten sie möglicherweise nicht länger kontrollieren, warnten die Kurden nach dem Einmarsch der türkischen Truppen nach Nordostsyrien. (ap)
Am Samstag kam es zu einem schwerwiegenden Zwischenfall, als türkische Truppen wohl versehentlich auf eine US-Patrouille schossen, aber niemanden verletzten. Trotzdem war die Empörung in Washington groß. Präsident Donald Trump drohte Erdoğan mit harten Sanktionen, wenn die Türkei ihre humanitären Verpflichtungen nicht einhalte.
Den Kurden riet Trump, sich erst einmal zurückzuziehen, da sie ja gegen die türkische Luftwaffe sowieso nichts ausrichten könnten. Sprecher der Kurden forderten ihre ehemaligen amerikanischen Verbündeten dagegen dazu auf, mit ihren Kampfflugzeugen den Luftraum über Nordsyrien für türkische Flugzeuge zu sperren. Trump hat sich zu dieser Forderung bislang nicht geäußert.
In Europa gab es am Samstag in vielen Orten Protestdemonstrationen gegen den türkischen Einmarsch in Syrien. In Deutschland fand mit rund 10.000 Teilnehmern die größte Kundgebung in Köln statt. Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat unterdessen angekündigt, dass Deutschland seine Waffenlieferungen an die Türkei erst einmal aussetzen wolle und auch keine neuen Rüstungsexporte mehr genehmigen werde.
Gegenstimmen von Russland und China
Frankreich, Norwegen, Finnland und einige weitere Länder haben ebenfalls einen Stopp ihrer Waffenexporte in die Türkei angekündigt. Am Freitagabend hatte eine erste Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York stattgefunden, bei der über den türkischen Einmarsch diskutiert wurde. Während die europäischen Sicherheitsratsmitglieder eine Verurteilung der Türkei forderten, stimmten Russland und China dagegen.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat allerdings die Türkei ebenfalls aufgefordert, dafür zu sorgen, dass keine der von den Kurden kontrollierten IS-Gefangenenlager aufgelöst und IS-Kämpfer wieder frei kommen können. Putin will bei Erdoğan erreichen, dass dieser sich mit dem Assad-Regime abstimmt und gemeinsam eine Kontrolle der Kurdenregion vereinbart.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich