Türkische Armee in kurdischen Gebieten: Spiel mit syrischem Feuer
Gegen den türkischen Vormarsch im nordsyrischen Afrin schickt Syriens Diktator Assad verbündete kurdische Milizen an die Seite der YPG.
Offiziell bestreitet die türkische Regierung, dass es ein förmlichen Abkommen Assads mit der syrisch-kurdischen YPG gibt, die seit Ende Januar Ziel eines türkischen Vormarsches auf syrischem Territorium ist. Am Wochenende hatte die syrische Staatsagentur Sana am Wochenende von einem Abkommen zwischen Assad und der YPG berichtet, in den vergangenen Tagen meldeten die syrischen Staatsmedien, es seien regierungstreue Kämpfer nach Afrin unterwegs, um die YPG zu unterstützen.
Tatsächlich schickt Assad bislang keine regulären Truppen nach Afrin, sondern lässt kurdische Milizen aus Aleppo, die mit dem Regime verbündet sind, vormarschieren. Die Türkei beschoss sie bei der Ankunft in Afrin am Dienstag mit Artillerie, bombardierte sie aber nicht aus der Luft. Nach Angaben von Erdoğans Sprecher Kalın musste ein Konvoi mit rund 50 Fahrzeugen noch am Dienstag wieder nach Aleppo zurückkehren. „Es scheint, dass ihr Ziel ein bisschen Show und ein bisschen Propaganda war“, spielte Kalın die Unterstützung für die YPG herunter.
Trotzdem ist man in Ankara höchst alarmiert. Recep Tayyip Erdoğan persönlich griff am Montag zum Telefon, um zuerst mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und danach mit dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani zu sprechen – Russland und Iran sind die wichtigsten militärischen Verbündeten Assads. Über den Inhalt der Gespräche wurde nichts bekannt, allerdings sagte der russische Außenminister Sergei Lawrow einen Tag später, die Türkei solle solche Fragen wie jetzt in Afrin doch direkt mit der syrischen Führung klären, statt in Moskau anzurufen. Bislang weigert sich Erdoğan kategorisch, mit Assad direkt zu sprechen. Kalın sagte am Mittwoch, die türkische Regierung habe keinen direkten Kontakt zu Assad.
Neue Luftangriffe: Die syrischen und russischen Luftwaffen haben am Mittwoch ihre Angriffe auf die Rebellen-Enklave Ost-Ghouta am Rande der syrischen Hauptstadt Damaskus unvermindert fortgesetzt. Die Zahl der Toten seit Beginn der Angriffe am Wochenende sei auf mindestens 296 gestiegen, bilanzierte die der Opposition nahestehende Beobachtungsstelle für Menschenrechte.
Deutsche Kritik: Die Bundesregierung hat die Offensive des syrischen Assad-Regimes in der Ost-Ghouta als „Feldzug gegen die eigene Bevölkerung“ verurteilt. Regierungssprecher Steffen Seibert forderte Assad am Mittwoch auf, das „Massaker“ in der von 400.000 Menschen bevölkerten Region zu beenden. (rtr, dpa)
Offensichtlich herrscht in Ankara nun eine große Unsicherheit, ob die Türkei für ihren Vormarsch in Afrin noch die notwendige Deckung aus Moskau hat. Die russische Armee kontrolliert den gesamten Luftraum in Nordsyrien. Ohne Zustimmung Moskaus können türkische Kampfflugzeuge und Hubschrauber in Afrin nicht gegen die YPG vorgehen. Am Mittwoch waren keine türkischen Flieger am Himmel über Afrin zu sehen, es ist aber noch nicht klar, ob das aufgrund eines russischen Vetos so war oder andere, technische oder witterungsbedingte Gründe hatte.
Als Reaktion auf das veränderte Verhalten des Assad-Regimes gegenüber der YPG kündigte Erdoğan am Dienstag vor der AKP-Fraktion in Ankara an, man werde in den kommenden Tagen den Belagerungsring um die Stadt Afrin schließen, so dass von Süden keine Verstärkung mehr in die Stadt kommen könne und die „Terroristen“ auch nicht nach Süden fliehen könnten. Sollte diese Ankündigung mehr als Propaganda sein, könnte damit ein neues blutiges Kapitel im Krieg in Syrien beginnen.
In Afrin-Stadt sollen sich nach kurdischen Angaben rund 500.000 Menschen aufhalten, darunter viele Flüchtlinge aus anderen Teilen des Landes. Welche verheerenden Auswirkungen eine Belagerung mit Dauerbeschuss durch Artillerie und Bomben aus der Luft hätte, sieht man derzeit in der Ost-Ghouta, dem von Rebellen gehaltenen östlichen Umland von Damaskus, wo Assad-Truppen derzeit massiv angreifen. Man hat es auch zuvor in Aleppo und Mossul gesehen.
Gegen eine solche Perspektive in Afrin gibt es Proteste nicht nur im Ausland. Auch in der Türkei rief der Vorsitzende der oppositionellen CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, Präsident Erdoğan dazu auf, nicht die Stadt Afrin anzugreifen. Die türkische Armee solle sich nicht in einem blutigen Häuserkampf in Afrin die Hände schmutzig machen, sagte Kılıçdaroğlu. Auch die Bundesregierung und die designierte Vorsitzende der SPD, Andrea Nahles, warnten Erdoğan vor diesem Schritt.
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