piwik no script img

Türkeipolitik und TürkeistämmigeDeutsch-türkische Spannungen

Türkeistämmige sollten nicht für türkische Politik verantwortlich gemacht werden, sagen türkische Organisationen. Kirche fordert Freilassung des inhaftierten Berliners.

Türkeistämmige protestieren vor der türkischen Botschaft in Berlin gegen Erdogans Politik. Foto: dpa

Die zunehmenden Spannungen zwischen den Regierungen Deutschlands und der Türkei könnten auch in Berlin „Auswirkungen auf das Zusammenleben zwischen ‚Biodeutschen‘ und Türkeistämmigen“ haben, zum Beispiel im Berufsleben oder an den Schulen. Das befürchtet Ayşe Demir, Sprecherin des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (TBB). Türkeistämmige würden auf die Politik des Herkunftslandes ihrer Eltern oder Großeltern angesprochen und müssten sich dann dafür „rechtfertigen“, sagte Demir auf Anfrage der taz. „Dabei wird vergessen, dass sich nicht alle Türkeistämmigen für türkische Politik interessieren und, wenn ja, nicht alle Erdoğan-Anhänger sind.“

Der TBB ist die Dachorganisation von knapp 40 Vereinen, die von Türkeistämmigen gegründet wurden. Die Spannungen sollten „nicht auf den Rücken der hier Lebenden“ ausgetragen werden.

Zu den von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) am Donnerstag verschärften Reisebestimmungen für die Türkei wollte Demir sich nicht äußern: Das Arbeitsfeld des TBB sei Partizipationspolitik; Reisebestimmungen gehörten deshalb „satzungsgemäß“ nicht dazu.

Das Außenministerium hat deutschen Türkeireisenden zu „erhöhter Vorsicht“ geraten und empfohlen, sich bei Aufenthalten in der Türkei in der Botschaft und den Konsulaten in eine Liste einzutragen. Deutsche Staatsbürger seien, so Gabriel, „vor willkürlichen Verhaftungen in der Türkei nicht mehr sicher“.

Anlass zu dieser Warnung in den Reisebestimmungen ist die Festnahme des deutschen Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner am 5. Juli bei Istanbul. Der Berliner hatte dort als Referent an einem Seminar teilgenommen und sitzt seither in der Türkei in Untersuchungshaft. Steudtner ist einem Bericht der Tagesschau zufolge einer von 44 derzeit in der Türkei inhaftierten deutschen Staatsbürgern, darunter auch der Journalist und ehemalige taz-Redakteur Deniz Yücel, der seit fast 160 Tagen in der Türkei im Gefängnis sitzt. Yücel wie Steudtner wird von den türkischen Behörden „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ vorgeworfen.

Solidarisch mit Steudtner zeigt sich unter anderem die Eevangelische Gethsemane-Gemeinde in Prenzlauer Berg, der der Menschenrechtler angehört. Am Donnerstagabend besuchten dort rund 150 Menschen eine Fürbittandacht für den Inhaftierten, an der auch der Propst der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Christian Stäblein teilnahm. Solche Andachten sollten künftig regelmäßig stattfinden, sagte der Pfarrer der Gemeinde, Christian Zeiske, damit Steudtners Schicksal nicht in Vergessenheit gerate. Die gegen Steudtner gerichteten Vorwürfe nannte die Gemeinde in einer Erklärung „völlig haltlos“.

Dass hier lebende Einwanderer aus der Türkei für die Politik der türkische Regierung verantwortlich gemacht werden könnten, fürchtet auch der Präsident der eher konserativ-religiösen Türkischen Gemeinde Berlin (TGB), Bekir Yılmaz. Seine Organisation erhalte bereits Mails, die zum Boykott von Restaurants oder Geschäften türkischstämmiger Inhaber aufriefen, sagte er der taz. Beide Regierungen sollten „aufpassen, dass sie nicht übertreiben“, so Yılmaz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Ich glaube, der Opportunismus ist für die Türken erfunden.

     

    Erdogan hat es geschafft aus Türken ein Volk der Denunzianten zu machen. Angefangen vom Generalkonsulat, DITIB, Medien und bis hin zu Familien.

     

    Sprüche wie „köpfen“ „abschlachten“ waren eine Normalität im Höhepunkt des „Osmanischen Reiches“.

     

    Jetzt möchte Erdogan nach 500 Jahren das Reich wieder fortsetzen. Deswegen gehören solche Ausdrücke heute zu Erdogan bzw. zu seinem Kabinett.

  • Die Türken, die in Deutschland leben, haben überproportional Erdogn gewählt und überproportional in der Abstimmung in seinem Sinne votiert. Man kann also nicht sagen, die Türken in Deutschland hätten nun gar nichts mit seiner Politik zu tun.