Türkei-Urlaub: Mysteriöser Tod deutscher Familie in Istanbul
Die Ursachen des Tods einer deutschen Familie sind noch nicht geklärt. Denkbar ist eine Vergiftung mit Insektengift. Der Türkei droht eine neue Tourismuskrise.
Noch ist die Ursache für den Tod einer deutsch-türkischen Familiein Istanbul unklar, stattdessen gibt es viele Spekulationen undBeschuldigte. Für das Image der Türkei und die Tourismusindustrie ist der tragische Tod von zwei Kindern und ihrer Eltern aus Hamburg, die in Istanbul Urlaub machen wollten, schon jetzt ein Desaster.
In der Türkei schlägt der Fall hohe Wellen, selbst Präsident Recep Tayyip Erdoğan sah sich am Montag genötigt, in einer Stellungnahme zu betonen, dass „alles was von unseren Feldern auf den Tisch kommt, streng kontrolliert ist“.
Woran und wie ist die Urlauberfamilie Böcek aus Hamburg, deren Vorfahren aus der Türkei stammen, dann gestorben? Bekannt ist lediglich der äußere Ablauf. Am Sonntag vor einer Woche landete die Familie in Istanbul und stieg in einem unteren Mittelklassehotel im historischen Bezirk Fatih ab.
Am Dienstag fuhr die Familie nach Ortaköy, einem beliebten Ausflugsplatz und Touristenhotspot am Bosporus, wo es von Cafés, Restaurants aber auch billigen Streetfoodbuden nur so wimmelt. Dort sollen sie Muscheln, Kocoreç – gegrillter Darm, eine türkische Spezialität – aber auch Süßigkeiten gegessen haben. Am Mittwoch klagten insbesondere die Kinder, drei und sechs Jahre alt, aber auch die Eltern über Übelkeit und Erbrechen.
Lebensmittelvergiftung unwahrscheinlich
Sie gingen in die Ambulanz eines Krankenhauses in der Nähe, wurden untersucht und wieder nach Hause geschickt. In der Nacht auf Donnerstag wurden die Beschwerden dann so schlimm, dass die Familie einen Krankenwagen rief und in eine andere Klinik eingeliefert wurde. Noch am Donnerstag starben die beidenKinder, am Freitag auch die Mutter. Der Vater lag noch bis Montag auf der Intensivstation, wo er dann auch verstarb.
Zunächst richtete sich der Verdacht auf eine Lebensmittelvergiftung, denn insbesondere Muscheln sind dafür berüchtigt. Doch eine Autopsie von Mutter und Kindern konnte keine Belege dafür erbringen. Die regierungsnahe ZeitungYeni Safak berichtet am Dienstag, Muscheln und Kocoreç seien untersucht worden und unbedenklich gewesen.
Die Mutter und die Kinder sind mittlerweile in einerKleinstadt im Westen der Türkei, aus der die Familie des Mannes stammt, beerdigt worden. Während die Untersuchung nach vergifteten Lebensmitteln noch lief, wurde bekannt, dass zwei weitere Gäste aus dem Hotel der Familie wegen Übelkeit und Erbrechen in ein Krankenhaus kamen – sie erkrankten jedoch nicht lebensgefährlich.
Es stellte sich heraus, dass ein Zimmer in dem Hotel gegen Bettwanzen mit Insektengift behandelt worden war und Dämpfedavon durch die Entlüftung auch in andere Zimmer gelangt sein könnten. Seitdem läuft eine noch nicht abgeschlossene toxikologische Untersuchung. Sämtliche Gäste wurden ausquartiert, das Haus geschlossen und versiegelt. DerManager des Hotels und der Insektenbekämpfer wurden festgenommen.
Neue Krise für den Tourismus?
Zuvor hatte man bereits diverse Streetfoodverkäufer und einen Restaurantbesitzer festgenommen. Auch das Restaurant, in dem die Familie gegessen hatte, wurde geschlossen. Gegen vier Verdächtige wurde mittlerweile Haftbefehl erteilt.
Sprecher des Gesundheits – und Innenministeriums beteuern, es werde mit allem Nachdruck ermittelt, doch der Eindruck, TouristInnen seien in der Türkei auch jenseits von politischen Verwicklungen nicht sicher, hat sich bereits verfestigt.
Der Tourismus hatte sich in den letzten Jahren gerade von seiner Krise erholt. Die Besucherzahlen waren nach dem Putschversuch durch türkische Militärs gegen Erdoğan im Jahr 2016 und den darauffolgenden Jahren des Ausnahmezustands stark zurückgegangen. In der Coronapandemie lag der Tourismus in der Türkei wie überall auf der Welt brach. Zuletzt waren aber immer mehr BesucherInnnen in die Türkei gekommen, unter ihnen auch besonders viele Deutsche.
Dass nun ausgerechnet das türkische Essen in Verruf gerät, ist tragisch. Die kleinen volkstümlichen „Lokanta“ bieten tagsüber gutes und preiswertes Essen an. Die Restaurants sind zwar in den letzten Jahren deutlich teurer geworden, bieten aber oft eine exzellente Küche an. Bislang gab es nur auffällig oft Probleme mit gepantschtem Alkohol, weil Alkohol in der Türkei sehr hoch besteuert wird.
Immer wieder gibt es aber auch Klagen wegen gespritztem Obst oder anderen Feldfrüchten. Der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft, außer bei den Biolandwirten, ist insgesamt hoch. Mehrfach hat die EU die Einfuhr von türkischen Agrarprodukten deshalb zurückgewiesen. Wie Greenpeace erst kürzlich beklagte, steckt dahinter aber auch eine große Portion Scheinheiligkeit. Pestizide, die in der EU verboten sind, werden weiterhin aus der EU in Länder wie die Türkei verkauft.
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