Türkei-Pläne für Nordsyrien-Offensive: Erdoğans verhängnisvolle Obsession

Der türkische Präsident Erdoğan lässt seine Armee für einen Einsatz in Nordsyrien auffahren. Er riskiert ein Gemetzel und internationale Isolation.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei Militär-Zeremonie

Besessen vom Kampf gegen YPG-Milizen: Präsident Erdoğan bei Militärzeremonie Foto: dpa

Niemals werde die Türkei einen „Terrorstaat“ an ihrer Grenze dulden. Mit dieser Feststellung wies der türkische Vizepräsident Fuat Oktay am Montag die Aufforderung von US-Präsident Trump zurück, die Kurden in Nordsyrien nicht anzugreifen. Er beharrte darauf, dass sein Land gegen die „Terroristen“ an der gemeinsamen Grenze vorgehen werde.

Woher rührt diese Obsession der türkischen Regierung, die kurdischen, mit den USA verbündeten YPG-Milizen zur nationalen Gefahr für die Türkei hochzustilisieren? Warum will Erdoğan unbedingt den Einmarsch in Nordsyrien, auch wenn er sich damit praktisch gegen die ganze Welt stellt? Ist die YPG wirklich eine Bedrohung für die Türkei?

Tatsächlich hat es bislang keinerlei Angriffe syrischer Kurden auf türkisches Territorium gegeben. Dennoch sind die Ängste in Ankara, die von einem großen Teil der türkischen Bevölkerung geteilt werden, nicht völlig abwegig: Die syrische Kurdenorganisation PYD, deren bewaffneter Arm die YPG darstellt, gehört zur türkisch-kurdischen PKK – auch wenn das Pentagon diese Zugehörigkeit kleinredet. Sie sind ein Ableger der PKK und verehren den PKK-Gründer Abdullah Öcalan geradezu kultisch. Insofern könnte ein von der PYD kontrolliertes kurdisches Autonomiegebiet entlang der Grenze zur Türkei tatsächlich potenziell eine Bedrohung darstellen. Allerdings nur dann, wenn Präsident Erdoğan weiterhin darauf besteht, die PKK mit allen Mitteln auf Leben und Tod zu bekämpfen.

Das sah vor ein paar Jahren noch ganz anders aus. Im Jahr 2014 schickte derselbe Erdoğan Emissäre zum inhaftierten Öcalan auf die Gefängnisinsel İmralı und zur PKK-Führung im Nordirak, um über ein Ende des bewaffneten Kampfes zu verhandeln. Als diese Gespräche ein Jahr später scheiterten, setzte Erdoğan ganz auf die militärische Karte und schwor, die PKK zu vernichten.

Seitdem wirft die türkische Regierung den USA vor, ihre Zusammenarbeit mit den syrischen Kurden im Kampf gegen den IS stärke die PKK und sei deshalb völlig unannehmbar. Auf den Vorschlag von US-Diplomaten, doch erneut Gespräche mit der PKK aufzunehmen, da die syrischen Kurden sofort zu Gesprächen bereit wären, reagierte der türkische Präsident bislang mit strikter Ablehnung.

Doch das liegt nicht an den Kurden. Erdoğans derzeitige islamo-nationalistische Koalition macht Verhandlungen unmöglich; er müsste sich andere innenpolitische Bündnispartner suchen, wenn er erneut mit den Kurden reden wollte. Stattdessen lässt er nun die Armee auffahren – und riskiert ein blutiges Gemetzel und die völlige internationale Isolation der Türkei.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.