Tschüss, Philosophie-Klub!: Nicht auszudenken
Die Denkerei verliert ihren Ort am Oranienplatz. Ihr Schöpfer, Bazon Brock, lädt nun zum mobilen Nachdenken in den Philosophie-Klub ein.
Ein bisschen traurig ist das schon, wie Bazon Brock an einem Abend in der vergangenen Woche ans Mikrofon in der St.-Matthäus-Kirche tritt und die erste Veranstaltung der neuen Denkerei ohne festes Hauptquartier einläutet. Vor zehn Tagen musste der Philosophie-Klub am Oranienplatz schließen. Das Thema des Abends ist kompliziert, es geht um den Karfreitag aus philosophischer Sicht, auch ist diese Kirche am Kulturforum direkt neben der Philharmonie abends nicht gerade der kuscheligste Ort. Trotzdem sind an die vierzig Personen gekommen, um Brock und seinen Gästen zuzuhören.
Fast acht Jahre hat der 1936 geborene Philosoph, Künstler und emeritierte Professor für Ästhetik, Bazon Brock, seine Denkerei „für die Arbeit an unlösbaren Problemen“ am Kreuzberger Oranienplatz betrieben. Nun hat der Besitzer ihm den Vertrag nicht mehr verlängert, ein Münchner Adelsspross und Anwalt namens Dietrich von Boetticher, dem ebenfalls das Haus schräg gegenüber gehört, in dem das Hotel Orania ist.
Am Telefon klingt Boetticher, dem auch mal ein Jahr lang eine Zeitung und ein paar Jahre lang ein Verlag gehörte, nicht unbedingt wie ein fieser Gentrifizierer. Er zeigt sich durchaus interessiert an dem, was Brock da in seinem Gebäude trieb. Aber dann habe Brock gesagt, „er werde ganz Kreuzberg auf mich hetzen, ich werde mein blaues Wunder erleben“. Dennoch habe er den Mietvertrag mehrmals unentgeltlich verlängert, Brock habe seit Januar 2018 keine Miete mehr gezahlt.
Nur einen Fehler räumt er ein: Er habe 2018 den Namen der Denkerei für sich schützen wollen. Erst nachdem sich Brock darüber beschwerte, habe er die Rechte unentgeltlich an Brock abgegeben. „Ich hätte Herrn Brock darauf hinweisen sollen, dass der Name Denkerei ungeschützt ist“, sagt von Boetticher.
„Berlin ist am Kipppunkt“
Bazon Brock wirkt amüsiert, als er in der Kirche von diesem Telefonat erfährt. Für ihn ist die Sache klar: In den letzten Monaten hat er einige Räume in der Nähe besichtigt, manche sollten um die 40 Euro den Quadratmeter kosten. Die 315 Quadratmeter der Denkerei kosteten zuletzt etwas mehr als 15 Euro kalt. „Boetticher will einfach mehr Miete“, sagt er und fügt an: „Vieles, was um die Denkerei herum den Kiez ausmachte – ein Glasgeschäft, ein Blumenladen: Das ist alles verschwunden. Berlin ist am Kipppunkt.“
Es gibt Kritiker der Denkerei, die sagen, der Laden sei immer schlecht besucht gewesen, Brock habe sich dort vor allem selbst gefeiert, die Themen, die dort besprochen worden seien, seien zu elitär gewesen, sie hätten nichts mit dem Kiez zu tun gehabt, auch Boetticher habe in seinem Kündigungsschreiben so argumentiert – sagt Brock.
Man kann das so sehen. Man kann sich aber auch ein wenig mit Brock befassen, bevor man urteilt. In den Sechzigern beteiligte sich Brock mit bekannten Künstlern an Happenings, legendär sind seine Besucherschulen, bei denen er den Kunstinteressierten erklärte, warum Joseph Beuys bei der documenta in Kassel 7.000 Eichen pflanzte („Stadtverwaldung statt Stattverwaltung“) und warum er mit Kojoten die Nacht verbrachte (Naturverbundenheit).
Das Tollste aber an Brock ist, wie er redet. Besonders berühmt war er in den sechziger Jahren dafür, dass er in zwei Atemzügen Molekularbiologie und Kunstgeschichte verknüpfen konnte, ebenso Religion, Mode und Alltagskultur. Bewundernswert ist auch Brocks Misstrauen gegenüber allem, was zu etabliert und gemütlich ist. Einige sagen sogar, er habe die Pop-Theorie erfunden, bevor es einen Namen für diese gab.
Brock wollte mal in den Zoo
Vieles von dem, was Brock sagt, ist ergreifend humorvoll. Einmal soll er als Gastdozent in Hamburg in mehr als sechsundvierzig Stunden einen langen Strich über sämtliche Wände seiner Hochschule gemalt haben, die „Hamburger Linie“, wie er sie nannte. Ein andermal hat er seine Aufnahme in den Frankfurter Zoo beantragt, als „Säugetier, denkend, sehr selten“.
An diesem Abend in der Kirche, scheint es, ist Brock nicht ganz in Höchstform. Zwar driftet das Interview, das eigentlich um die Vertreibung der Denkerei gehen soll, immer wieder Richtung Feminismus und die Achtundsechziger ab, handelt vom Nachkriegsdeutschland und der philosophischen Methode der Affirmation, aber Brock kommt auch bereitwillig zurück auf simple Fragen. „Ich weiß nicht, wie lange ich noch Lust habe auf so eine mobile Denkerei“, sagt er. Die Verspätungen der Bahn, die vielen Lkws auf der Autobahn, ewiges Stühle-auf-und-wieder-abbauen? „Das bring ich nicht mehr.“
Erst, als er beginnen darf, in der Kirche über die philosophische Bedeutung des Karfreitag zu berichten, kommt richtig Schwung in den Mann. Er spricht darüber, wie der menschliche Griff nach der Macht durch die Wiederauferstehung Gottes zwei Tage später schon wieder obsolet wurde. Darüber, wie auf jede Revolution die Restauration folgt. Wie jede versuchte „Umkehr der Weltverhältnisse“ mit der Wiederherstellung der ursprünglichen Form endet.
Sicher wäre es übertrieben, bei einem wie Bazon Brock Mitleid zu verlangen. Zu einem großen Teil war die Denkerei seine private Bühne, von ihm selbst finanziert übrigens. Zu einem anderen Teil war sie aber auch ein inspirierender Farbtupfer und ein Raum, wo ins Blaue hinein gesponnen werden durfte, wo es einfach mal nicht um Kommerz und andere Verwertungszwänge ging.
Und Brocks ehemaliger Vermieter von Boetticher? Der sagt zwar, er wolle keine Textilhandelskette in den Räumen. Er verrät aber auch nicht, wer sich die Miete wird leisten können, die er nach dem Auszug der Denkerei kassieren will.
Beim nächsten Auftritt der mobilen Denkerei geht es um die spanische Mystikerin Teresa von Avila. 9. Mai, 19 Uhr, Katholische Akademie in Berlin, Hannoversche Str. 5
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