Trotz Übergriffsvorwürfen bestätigt: Kavanaugh darf ans Oberste Gericht
Der Richter Brett Kavanaugh soll mehrere Frauen misshandelt haben. Dennoch wurde er nun knapp zum Richter am Supreme Court gewählt.
Am späten Samstagnachmittag war er mit einer der knappsten Mehrheiten der Geschichte für das Oberste Gericht bestätigt worden. Am Ende eines langen und bitteren Bestätigungsverfahrens stimmten 50 SenatorInnen für und 48 gegen ihn. Während die meisten obersten RichterInnen der USA die Stimmen von SenatorInnen beider Parteien bekamen, entschied sich die Causa Kavanaugh entlang von Parteilinien. In beiden Fraktionen im Senat gab es nur je eine abweichende Stimme.
Bei den DemokratInnen stimmte Senator Joe Manchin aus West Virginia allein für Kavanaugh. Bei Interviews auf den Gängen des Senats versuchte er anschließend, sein Votum zu rechtfertigen, während Demonstrantinnen immer wieder im Chor „Schande!“ riefen. Die FBI-Untersuchung, so erklärte er, habe den Verdacht nicht bestätigt, dass Kavanaugh vor 36 Jahren versucht habe, eine Mitschülerin zu vergewaltigen. Manchin hofft, dass das Votum für Kavanaugh ihm hilft, im November wieder gewählt zu werden. Der ehemalige Kohlestaat West Virginia hatte im November 2016 mit starker Mehrheit für Trump gestimmt.
Auf republikanischer Seite war die „moderate“ Senatorin Susan Collins aus Maine die Hoffnungsträgerin vieler für eine Ablehnung Kavanaughs gewesen. In den Tagen vor der Abstimmung erhielt ihr Büro Tausende Anrufe von Frauen, die flehten, Collins möge gegen Kavanaugh stimmen. Aber in einer 45-minütigen Rede vor dem Senat erklärte Collins am Freitag, dass sie für Kavanaugh stimmen werde, weil es keine Bestätigung für den Vorwurf sexueller Belästigung gebe. „In diesem Land gilt die Unschuldsvermutung“, begründete sie.
Sarah Palin droht der Abweichlerin
Als einziges Mitglied der republikanischen Fraktion im Senat sprach sich Senatorin Lisa Murkowski aus Alaska in der Debatte gegen die Bestätigung von Kavanaugh aus. Aber am Samstag stimmte auch sie nicht mit „nein“, sondern meldete sich in Vertretung des republikanischen Senators Steve Daines aus Montana, der wegen der Hochzeit seiner Tochter abwesend war, als „anwesend“. Damit rettete sie Kavanaugh vor der Peinlichkeit, mit nur einer Stimme Mehrheit gewählt zu werden.
Direkt nach der Abstimmung eröffnete Trump aus Kansas die Feindseligkeiten gegen Murkowski und sagte, sie werde sich politisch „nie“ von ihrer Entscheidung erholen. Aus Alaska echote Sarah Palin mit der Drohung, dass sie bei Murkowskis nächster Kandidatur gegen sie antreten werde.
Trump hat Kavanaugh im Juli für die Position am Obersten Gericht nominiert, die frei geworden war, nachdem Anthony Kennedy zurückgetreten war. Der von Ronald Reagan nominierte Kennedy war ein Konservativer, stimmte aber bei Fragen über die Rechte von Frauen und von der LGBT-Minderheit öfter mit den Linken. Sein Nachfolger Kavanaugh ist bei den Anhörungen vor dem Justizausschuss des Senats sämtlichen Fragen nach seinem Stimmverhalten ausgewichen.
Aber seine Veröffentlichungen und seine bisherige Karriere – als Richter, als Rechtsberater von Georg W. Bush im Weißen Haus und zuvor als Anwalt und Mitarbeiter bei den Sonderermittlungen gegen Präsident Bill Clinton – legen nahe, dass er im Obersten Gericht entlang der weit nach rechts gerückten republikanischen Parteidoktrin stimmen wird.
Schon im Wahlkampf hatte Trump als Geste an die evangelikalen ChristInnen angekündigt, er werde das Oberste Gericht mit Leuten besetzen, die den Grundsatzentscheid zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs kippen würden. Und um die Stimmen der SchusswaffenfreundInnen zu bekommen, versprach er, das Oberste Gericht werde den zweiten Verfassungszusatz hochhalten. Nachdem Trump schon im vergangenen Jahr den konservativen Richter Neil Gorsuch an das oberste Gericht befördert hat, ist Kavanaugh sein zweiter Mann dort. Seine Bestätigung wird am Supreme Court die Stimmenverteilung weit nach rechts verlagern.
Protest gegen Aktivismus und Intransparenz
Die DemokratInnen haben ihre Opposition gegen Kavanaugh zunächst mit dessen konservativem Aktivismus und seinen Entscheidungen begründet. Sie protestieren auch gegen den Mangel an Transparenz in seinem Bestätigungsverfahren. Unter anderem blieben den SenatorInnen die größten Teile seines Schriftwechsels als Bush-Berater aus der Zeit als die USA den „Krieg gegen den Terror“ eröffneten und folterten, vorenthalten.
Doch Anfang September sorgte eine Veröffentlichung der Washington Post für eine radikale Wende in dem bereits beinahe abgeschlossenen Verfahren. Die kalifornische Psychologieprofessorin Christine Blasey Ford beschuldigte den Richter einer versuchten Vergewaltigung im Sommer 1983, als sie 15 war. Wenig später meldete sich Deborah Ramirez, die mit Kavanaugh an der an der Universität Yale studiert hatte und berichtete, er habe ihr als Student bei einer Party seinen Penis ins Gesicht gehalten.
Bei beiden mutmaßlichen sexuellen Übergriffen soll Kavanaugh volltrunken gewesen sein. Zum Schluss verbreitete Julie Swetnick, eine Mandantin von Star-Anwalt Michael Avenatti, den Vorwurf, Kavanaugh habe als Schüler an Parties teilgenommen, bei denen Mädchen unter Drogen gesetzt und vergewaltigt wurden.
Erst auf Druck von DemokratInnen eröffnete der Justizausschuss des Senats, in dem die Republikaner die Mehrheit haben, die Anhörung erneut, um Blasey Ford sprechen zu lassen und Kavanaugh erneut anzuhören. Ramirez wurde nicht vorgeladen. DemokratInnen, aber auch einige wenige RepublikanerInnen halten beide Frauen für glaubwürdig. Die Vorwürfe von Swetnick und ihrem Anwalt Avenatti hingegen klangen auch für DemokratInnen zweifelhaft.
Große Sympathie für Blasey Ford
Der Tag, an dem nacheinander Blasey Ford und Kavanaugh vor dem Justizausschuss auftraten und dabei in voller Länge im Fernsehen übertragen wurden, war die bislang intensivste Begegnung der US-AmerikanerInnen mit einem angehenden obersten Richter. Blasey Ford kam widerstrebend in die Öffentlichkeit. Aber selbst republikanische Senatoren bescheinigten ihr anschließend große Sympathie. Für viele war ihr Auftritt eine Erinnerung an das Jahr 1991, als die Jura-Professorin Anita Hill dem damaligen Kandidaten für das Oberste Gericht, Clarence Thomas, sexuelle Belästigung vorwarf.
Genau wie Thomas 27 Jahre zuvor bestritt dieses Mal Kavanaugh sämtliche Vorwürfe vehement. Bei einem Interview, das er zusammen mit seiner Frau dem rechten TV-Sender Fox News gab, beschrieb er sich selbst als Jugendlichen, der nichts anderes tat als zu lernen – „um Klassenbester zu sein“ und Sport zu treiben und der erst Jahre später erstmals Sex hatte. Nachdem zahlreiche Altersgefährten über seinen Alkoholkonsum als Jugendlicher berichteten, gab er vor dem Senat zu, dass er Bier getrunken habe und dies gerne tue.
Aber er bestritt, dass er je so betrunken war, dass er die Kontrolle verlor. In seinem wütenden Auftritt vor dem Ausschuss warf er den DemokratInnen eine Verschwörung vor. Und beantwortete die Frage der demokratischen Senatorin Amy Klebuchar, ob er sich je im Koma gesoffen habe, mit der Gegenfrage: „Haben Sie das getan?“
FBI-Untersuchungsergebnis unter Verschluss
Die DemokratInnen im Ausschuss verlangten eine Untersuchung der Vorwürfe durch das FBI. Doch erst nachdem der republikanische Senator Jeff Flake, dessen Stimme für eine Mehrheit in der Vollversammlung des Senats nötig war, ebenfalls eine FBI-Untersuchung verlangte, stimmte Trump zu. Binnen weniger Tage hörten FBI-AgentInnen einen kleinen Teil der potenziellen Augenzeugen zu den Vorwürfen von Blasey Ford und Ramirez.
Zahlreiche damalige MitschülerInnen und MitstudentInnen von Kavanaugh, die zur Aussage bereit waren, wurden nicht gehört. Das Ergebnis der Ermittlungen ist unter Verschluss. Nur die SenatorInnen hatten dazu in einem verschlossenen Raum des Kongress Zugang. Kongressabgeordnete Pelosi hat angekündigt, dass sie sich um die Veröffentlichung des Dokumentes bemühen will.
Wenige Tage vor der Abstimmung von Samstagnachmittag im Senat, zog Trump bei einem Wahlkampfauftritt in Mississippi über Blasey Ford her. Er machte sich darüber lustig, dass sie 36 Jahre nur vage Erinnerungen an Ereignisse vor und nach der mutmaßlichen Tat hatte. Am Samstag ließ Vizepräsident Mike Pence während der Abstimmung immer wieder Zwischenruferinnen aus dem Senat tragen.
„Dies ist ein Makel in der amerikanischen Geschichte“, rief eine Frau, „verstehen Sie das?“ Anschließend rätselten SenatorInnen beider Parteien, wie die Nation die tiefe Spaltung überwinden könne. „Wenn eines Tages die Geschichte des Senats geschrieben wird“, sagte der Chef der demokratischen Fraktion, der New Yorker Senator Chuck Schumer, „wird dieses Kapitel eine knallrote Warnung sein, wie man es nicht tun sollte.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!