Trotz Protesten bei US-Tech-Konzernen: Weiter mit den Ölschleudern
Trotz Protesten von Mitarbeitern und Umweltschützern: Google, Amazon & Co wollen weiter mit der Ölindustrie zusammenarbeiten.
Die Frage hat einen realen Hintergrund. Zwar haben sich große Technologieunternehmen wie Microsoft, Amazon und Google unter dem Druck von Umweltaktivisten in der eigenen Belegschaft oder auch von außen bereiterklärt, ihre eigenen Kohlendioxidemissionen zu drosseln. Aber was sie nicht reduzieren, sind ihre wachsenden Verbindungen zur Öl- und Gasindustrie.
In der jüngeren Vergangenheit haben sich Microsoft und andere Technologieriesen geradezu ein Rennen um lukrative Partnerschaften mit Exxonmobil, Chevron, Shell, BP und anderen Energieunternehmen geliefert. In vielen Fällen versorgen sie diese nicht nur mit Datenspeicherplatz, sondern auch mit Instrumenten künstlicher Intelligenz – Werkzeugen, die helfen, bessere Stellen zum Ölbohren zu finden oder die Raffinerieproduktion zu beschleunigen.
Die Öl- und Gasindustrie gibt jedes Jahr etwa 20 Milliarden Dollar (18,3 Milliarden Euro) für Cloud-Dienstleistungen aus. Das macht ungefähr 10 Prozent des gesamten Cloud-Marktes aus, wie Vivek Chidambaram von der Energieberaterfirma Accenture sagt. Dabei ist bisher noch unklar, ob die Ölunternehmen auf ihre Kosten kommen, auch wenn Experten die Vorteile einer Anwendung fortgeschrittener Technologien bei der Öl- und Gasförderung anpreisen.
Microsoft-CEO will Besorgnisse entkräften
Nadella war bei der Mitarbeiterversammlung am Mitte September bemüht, die Besorgnisse des Fragestellers zu entkräften, wie Teilnehmer des Treffens schilderten. Demnach stellte der CEO Microsofts interne Anstrengungen in Sachen Umweltverträglichkeit heraus und verteidigte auch die Partner in der Ölindustrie, indem er auf ihre Investitionen in die Erforschung und Entwicklung nachhaltigerer Energieproduktionsmethoden hinwies.
„Es gibt keinen CEO auf dem Gebiet fossiler Brennstoffe, der da sitzt und sagt, „ich werde den Klimawandel leugnen““, wurde Nadella von Mitarbeitern zitiert. „Wenn überhaupt, sagen sie alle, ‚lasst uns den Regulierungs-, den Preisgestaltungsmechanismus haben, der uns in die Zukunft bringt‘“.
In einer am Dienstag per E-Mail verschickten Erklärung betonte Microsoft, man sei „darauf konzentriert, Unternehmen aller Art einschließlich Energiefirmen zu helfen, effizienter zu werden“. Eine Stellungnahme zu Nadellas Äußerungen bei der Versammlung lehnte Microsoft ab.
Weniger als eine Woche nach dem Treffen und nur Tage vor geplanten weltweiten Klima-Protestaktionen gab das Unternehmen einen neuen größeren Cloud-Computing-Deal bekannt – diesmal mit Chevron und dem Ölfeld-Dienstleister Schlumberger. Das Timing löste bei einigen umweltbewussten Microsoft-Mitarbeitern Zorn aus, und auch der demokratische Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders sprach von einem „skrupellosen“ Vorgehen.
Microsoft-Mitarbeiter demonstrieren vor Firmenzentrale
„Wir müssen sie zur Rechenschaft ziehen, verlangen, dass sie ihre Verbindungen zur fossilen Ölindustrie kappen“, sagte der Senator am Tag der globalen Klima-Proteste. Eine kleine Gruppe von Microsoft-Beschäftigten schloss sich bei einer Demonstration vor dem Hauptquartier des Unternehmens in Redding im US-Staat Washington dieser Forderung an.
Amazons CEO Jeff Bezos versprach nach monatelangem Druck durch Umweltaktivisten in der Belegschaft, sein Unternehmen zu einem Vorreiter nachhaltiger Methoden zu machen. Demnach soll Amazons gesamter Energieverbrauch bis 2030 durch Solarkraft und andere erneuerbare Energien abgedeckt werden. Aber auch Bezos verteidigte zugleich die Zusammenarbeit mit der Öl- und Gasindustrie: Man müsse ihr helfen „anstatt sie zu verteufeln“.
Manche Experten argumentieren, dass künstliche Intelligenz und Cloud-Dienstleistungen am Ende sogar zu einer Verringerung der Schadstoffemissionen beitragen könnten. Sich auf Cloud-Plattformen eines anderen Unternehmens zu stützen würde sich vielleicht positiv auswirken, weil es effizienter sei als digitale Operationen über eigene Server laufen zu lassen, meint etwa Aseem Prakash, ein Umweltspezialist an der University of Washington. Auch könnten Kostensenkungen Mittel für Investitionen in weniger umweltverschmutzende Methoden zur Energiegewinnung freisetzen.
Cloud-Dienstleister wie Amazon und Microsoft haben Ölfirmen unter anderem mit fortgeschrittenen Machine-Learning-Tools umworben, die Riesenmengen geologischer und seismischer Daten durchsuchen und damit helfen könnten, geeignete Förderorte zu finden. ExxonMobil etwa wird künftig Microsofts Technologie nutzen, um vom Schieferöl-Boom in Texas und New Mexico zu profitieren. Eine entsprechende Vereinbarung wurde in diesem Jahr getroffen.
Umweltaktivisten bei Microsoft prangern an
Microsoft zufolge können Echtzeitdaten aus einer Hunderte Meilen umspannenden Region es ermöglichen, „schnellere und bessere Entscheidungen“ über die Fertigstellung von Bohrlöchern zu fällen und das Produktionswachstum zu fördern – bis 2025 um etwa 50.000 öläquivalente Barrels am Tag. Ein Barrel Rohöl entspricht 159 Litern.
Prangern Umweltaktivisten in Microsofts Belegschaft an, dass die Firmendeals mit „Big Oil“ zur Erderwärmung beitrügen, lässt sich bislang schwer einschätzen, ob die Technologie-Riesen der Ölindustrie wirklich so stark helfen. So ist es möglich, dass sie ihre eigene Rolle als Transformatoren der Ölbranche durch künstliche Intelligenz als übertrieben darstellen.
Die Ölunternehmen ihrerseits sind nach wie vor abgeneigt, ihre Kenntnisse über Ölvorkommen unter der Erde mit anderen zu teilen, wie etwa Chidambaram von Accenture sagt. Das heißt, es ist unklar, inwieweit sie durch die neuen Technologien profitieren.
Aber Chidambaram hält es für möglich, dass künstliche Intelligenz langfristig sogar helfen kann, Klimaziele zu erreichen. Maschinen mit der Fähigkeit, Daten besser zu erfassen und schneller zu analysieren, könnten beispielsweise auch helfen, Lecks in Bohrlöchern oder Pipelines zu entdecken – und damit längeres Entweichen von klimaschädlichem Methan verhindern. „Daten können auf vielerlei Weise genutzt werden“, so der Experte. „Es kommt darauf an, wie man sie nutzt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“