Trotz Entwarnung aus Ludwigshafen: Türkische Medien schüren Angst
Die türkische Gemeinde will einen "Neuanfang in der Integrationspolitik" und beruft sich auf die Hausbrände. Doch bislang ist nur ein rassistisch motoviertes Feuer belegt.
Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) hat eine Neuausrichtung der Integrationspolitik verlangt. Um den Anteil der Migranten bei den Sicherheitsbehörden zu erhöhen, forderte TGD-Chef Kenan Kolat eine Einstellungsquote von zehn Prozent. Generell müsse es eine Zehn-Prozent-Quote im öffentlichen Dienst geben. Kolat regte an, den zunehmend sinnentleerten Begriff Integration nicht mehr zu verwenden. Vielmehr gehe es um gleiche Rechte und Partizipation. Dazu gehöre das kommunale Wahlrecht und die doppelte Staatsbürgerschaft. Den Parteien will die TGD in Kürze den Entwurf für einen gemeinsam mit den Gewerkschaften erarbeiteten politischen Ehrenkodex vorlegen, der diskriminierende Wahlkämpfe verhindern soll.
Die Fast-Entwarnung aus Ludwigshafen hat nichts bewirkt. Dort hatte am Donnerstagnachmittag die Staatsanwaltschaft verkündet, dass der verheerende Brand, bei dem neun DeutschtürkInnen starben, wahrscheinlich nicht absichtlich gelegt worden sei. Dennoch lud am Freitag die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) zur Pressekonferenz. Der Titel der Veranstaltung: "Nach den Brandanschlägen muss es eine Neuausrichtung der Politik geben."
Seit Ludwigshafen habe es 17 Brände in Häusern gegeben, die von Türken bewohnt werden, sagte der Vorsitzende der TGD, Kenan Kolat, und zählte die Orte und Daten der Brände auf. "Diese Brände führen zu großer Unruhe in der türkischen Community", sagte er und forderte "mehr Unterstützung und Solidarität" von der Politik. "Wir brauchen mehr Nestwärme", sagte Kolat und legte einen Forderungskatalog vor (siehe Kasten).
Allerdings räumte der TGD-Vorsitzende selbst umgehend ein, dass es bundesweit täglich rund 500 Brände gebe - und nur eines der von ihm genannten 17 Feuer gehe nachweislich auf Brandstiftung mit rassistischem Hintergrund zurück. Dies war der Anschlag im hessischen Dautphetal bei Marburg, bei dem niemand verletzt wurde. Doch das ändere nichts, erklärte Kolat den zum Teil schwer verwunderten Journalisten: "Die Angst in der türkischen Community ist da."
Doch woher kommt diese Angst in einer Zeit, in der es vermutlich nicht mehr rassistisch motivierte Brandanschläge gibt als in den Monaten und Jahren zuvor? Natürlich haben sich viele Deutschtürken bei den Bildern aus Ludwigshafen an die Brandanschläge von Mölln und Solingen in den 90er-Jahren erinnert, bei denen acht Deutschtürken starben; viele der Gefühle von damals kamen wieder hoch.
Die türkischsprachigen Medien hierzulande halten diese Angst wach- und schüren sie weiter. Trotz gegenteiliger Hinweise spekulieren sie seit Wochen über einen Brandanschlag in Ludwigshafen. Selbst in der Hürriyet von gestern war erneut zu lesen, dass "sich alles nach und nach bewahrheitet", was die zwei jungen Mädchen aus dem Haus gesehen haben wollen. Sie hatten nach dem Feuer ausgesagt, einen Brandstifter gesehen zu haben. Von der Berichterstattung der türkischen Medien sprach Kolat gestern nicht.
Dabei stammt auch seine Brändeliste aus dem türkischsprachigen Massenblatt: "Das Feuer hört nicht auf", schrieb die Hürriyet am vergangenen Mittwoch und zählte "17 Brände innerhalb von 23 Tagen" auf.
In den anderen Zeitungen sah es ähnlich aus: Mit dem "Aufschrei der Türken: Wir brennen" machte die Türkiye am selben Tag ihre Europaseiten auf. Und die liberale Milliyet schrieb: "Schon wieder haben sie Häuser in Brand gesteckt".
Vielleicht muss Kolats Pressekonferenz daher nicht nur als - durchaus ernst gemeinter - Appell an die deutsche Politik gesehen werden. Seine Äußerungen müssen auch als Signal an die türkische Community verstanden werden. Denn für deren Meinungsfindung und ihre Stimmungslage ist die Berichterstattung der türkischsprachigen Medien, allen voran der Hürriyet, zentral.
Kolat steht also unter Druck, er muss sich zu der Angst verhalten - und die Interessen der Deutschtürken gegenüber der hiesigen Politik vertreten. Schließlich will er im Juni als Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde wiedergewählt werden.
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