Transgenderathletinnen im Spitzensport: Wie Backsteine in einer Wand
Die Diskussion um Teilhabe von Transgendersportlerinnen spitzt sich zu. Der Schwimmverband hat die Regeln verschärft. Zu Recht?
Seit Jahrhunderten denkt der Mensch recht angestrengt über die Geschlechter nach. In der Antike gab es zum Beispiel den Mythos von den flinken Kugelmenschen. Die hatten vier Arme und vier Beine, waren entweder rein männlich, rein weiblich oder gemischt geschlechtlich. Göttervater Zeus wurden die Kugelmenschen nun aber zu mächtig. Er ließ sie entzwei schneiden, und so entstand nach dieser Saga das jeweilige Begehren, also die heterosexuelle Attraktion und die homosexuelle. Man wollte wieder vereint sein, ein Ganzes.
Heute geht es gefühlt noch turbulenter (sehnsuchtsvoller?) zu. Die Anschauungen über Geschlechter sind weit vielfältiger, mitunter nicht weniger mythologisch, und der Streit entfacht sich jedes Mal an der Frage, wie sehr der Körper mit seinen Säften, Hormonen und Aminosäuren Denken und Handeln bestimmt – oder ob wir uns erheben können über diese Determinanten: Sind wir frei darin, uns zu etwas zu machen, was wir gern sein wollen? Kann der Mensch nicht nur ein 800 Meter hohes Haus konstruieren, sondern auch sein Geschlecht? Geht das per Sprechakt oder muss doch ein Eingriff in der Körper her, um den Wandel zu manifestieren? Sind wir mächtiger als unsere Keimdrüsen?
Die Diskussion hat den Leistungssport längst erreicht. Die Debatten werden hart, nicht selten unerbittlich geführt, und selbst die queere Szene ist zerstritten, wie der Fortschritt zu interpretieren sei. Galt es als durchaus schick, die Wettkämpfe von intersexuellen Leichtathletinnen, Caster Semenya oder Francine Niyonsaba, über die Mittelstrecke als emanzipativen Akt zu feiern, so ist der Umgang mit Transgenderathletinnen schon nicht mehr so eindeutig: Machen sie den Frauensport kaputt? Dringen sie gar in schützenswerte Bereiche ein? Lässt sich das alte binäre System des Leistungssports überhaupt erhalten?
Im Netz kursieren immer wieder Bilder von Transgenderathletinnen, die mit maskuliner Aura die Podien besteigen und Frauen mit der Konstitution von Frauen auf die Plätze verweisen: Die US-Schwimmerin Lia Thomas ist das meist genannte Exempel, ein anderes die Gewichtheberin Laurel Hubbard, die es sogar bis Olympia zu den Sommerspielen schaffte. Intersexuelle Sportlerinnen gibt es relativ selten, in der Szene der Transgenderathletinnen sieht das schon anders aus: Immer mehr Sportlerinnen, die von Mann zu Frau switchen, erscheinen auf der Bühne des Leistungssports und verlangen Teilhabe. Der Trend ist ungebrochen; 2017 identifizierte sich in den USA ein Mensch von 250 als trans*, ein Jahrzehnt vorher war es noch die Hälfte. Die Sportfunktionäre sind zum Handeln gezwungen.
Offene Wettkampfkategorie?
Und so sieht das dann aus: Der internationale Schwimmverband Fina hat die Teilhabe von Transgenderathletinnen in dieser Woche erheblich erschwert. Sie dürfen nur noch bei Frauenwettbewerben mitmachen, wenn sie ihre Geschlechtsanpassung bis zum Alter von 12 Jahren abgeschlossen haben. Die Fina hat überdies eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die an einer sogenannten „offenen“ Wettkampfkategorie arbeiten soll.
71,5 Prozent der Schwimmfunktionäre stimmte fürs neue Regelwerk. Die Fina-Entscheidung, die sich gegen den Zeitgeist zu stemmen scheint, löste eine Welle der Betriebsamkeit in den Sportverbänden aus. Offenbar wurde von den Schwimmern eine Tür aufgestoßen, durch die der organisierte Sport marschieren will. Die Leichtathleten wollen ihre Regeln überprüfen und „der Wissenschaft folgen“, was immer das auch heißen mag.
Der internationale Rugby-Verband verkündete, er schließe Transgenderathletinnen von Frauenwettkämpfen aus. Der Weltfußballverband Fifa möchte evaluieren. Und so geht es wohl munter weiter, was nicht verwunderlich ist, denn das Internationale Olympische Komitee verabschiedete kürzlich einen Leitfaden für den Umgang mit Transgenderathletinnen, der zwar gut gemeint, aber nicht praktikabel ist in einer binären Struktur.
Caitlyn Jenner, die 1976 als Bruce Jenner Olympiagold im Zehnkampf gewann und 2015 bekannt gab, transsexuell zu sein, begrüßte die Entscheidung der Schwimmer: „Was fair ist, ist fair. Wenn man durch eine männliche Pubertät geht, sollte man nicht die Möglichkeit bekommen, den Frauen Medaillen wegzunehmen“, schrieb Jenner bei Twitter. Die neue Regelung baue großen Druck auf junge trans* Mädchen auf, sagte wiederum Kalle Hümpfner, zuständig für die gesellschaftspolitische Arbeit im Bundesverband Trans* (BVT*), dem Berliner Tagesspiegel: „Sie müssen schon früh Entscheidungen treffen, wenn sie in den professionellen Leistungssport einsteigen möchten.“
T wie Testosteron
De facto ist es so, dass Transitionen, wenn überhaupt, erst in der Pubertät vorgenommen werden, nicht aber im Alter von 9 oder 10. Freudiger reagierte der BVT* auf eine Meldung vom Donnerstag: Der Deutsche Fußball-Bund möchte es Transgenderkickern im Amateurbereich selbst überlassen, wo sie mitspielen: bei Männlein oder Weiblein.
Haben Transgenderfrauen nun einen Vorteil, selbst wenn sie eine Hormontherapie hinter sich haben und ihr Testosteronlevel im Blut nicht mehr so hoch wie früher ist? Den besten Überblick über die vermännlichende Wirkung des Hormons Testosteron, ein Schlüsselfaktor, liefert die US-amerikanische Evolutionsbiologin Carole Hooven, deren Buch „T wie Testosterone. Alles über das Hormon, das uns beherrscht, trennt und verbindet“ jetzt auch auf Deutsch im Ullstein-Verlag erschienen ist. Die Autorin, die sich um Ausgleich und Differenzierung bemüht, sagt unmissverständlich: „Testosteron lenkt Psychologie und Verhalten der Geschlechter in mehrfacher Hinsicht in unterschiedliche Richtungen.“
Sie hat erkennbar Spaß an unvoreingenommener Forschung und Wissensvermittlung. Das könne manchmal unangenehm und verstörend sein, sie habe auch immer wieder Angriffe der Gegenseite ertragen müssen, aber das hält sie offensichtlich nicht ab, Körper und Geist als Einheit zu denken und einem bei Progressiven verpönten „Biologismus“ zu frönen.
Die konstituierenden und mächtigen Einflüsse des Testosterons auf den Körper versucht Hooven mit einem Vergleich zu verdeutlichen; diese Formungen durch Testosteron ließen sich auch nicht im Nachhinein durch die Gabe hoher Dosen Östrogen tilgen: Man solle sich also den Bau des Körpers wie den Bau eines Steinhauses vorstellen. Das Testosteron schafft feste Strukturen, so fest wie eine Wand aus Backsteinen. Das betrifft vor allem das Skelettsystem, die langen Knochen und den Muskelaufbau.
Das Testosteron ist aber auch Raumausstatter und Dachdecker. Es sorgt für das Fundament und die Kosmetik. „Die Kraft von Testosteron ist schier unglaublich“, schreibt Hooven. Das Hormon verändere alles: „Es verändert die Art, wie Gene in Chromosomen zur Entfaltung kommen – Proteine von Tausenden von Genen werden bei Männern und Frauen systematisch in unterschiedlichen Mustern und Quantitäten produziert. Diese Proteine beeinflussen den Körper und das Gehirn, zuerst im Uterus, kurz nach der Geburt, und dann kommt es wieder zu einer Explosion der Veränderungen während der Pubertät.“
Kurzum: Testosteron schafft Fakten, die sich nicht leugnen und auch nicht wegredigieren lassen mit Willensakten, auch nicht mit medikamentösen Interventionen. Hoovers Buch ist auch dies: eine Liebeserklärung an das Körperliche, das Wunder der Menschwerdung in der Ontogenese.
Der ehemalige Ruderer und Sportmediziner Jürgen Steinacker, Professor in Ulm, kennt das Buch. Und mit der Komplexität des Themas weiß er gleichfalls umzugehen. Der taz sagt er: „Es kann auch kein 20-Jähriger bei 14-Jährigen mitmachen. Es gibt schützenswerte Rechte der Frauen im Leistungssport, da müssen klare Regeln her.“ Transgendersportler bräuchten selbstverständlich Unterstützung und Beratung bei Problemen und Selbstfindung – und keinen Druck, findet Steinacker, der auch den Ruderverband berät und sich als einer der wenigen Wissenschaftler zu diesen Themen äußert. Doch beides wird jeweils kaum in Einklang zu bringen sein: Inklusion und Fairness, Selbstbestimmung und Frauenrechte.
Es gibt wie bei den Kugelmenschen eine Sehnsucht nach Vereinigung, Vereinbarkeit. Am Ende aber bleibt eine Differenz, die es auszuhalten gilt.
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