Transgender-Performance: Jenseits von Prinz und Prinzessin

Beim Hamburger Transparence Theatre stehen ausschließlich Transgender auf der Bühne. In Lüneburg feierte nun das erste Stück der Compagnie Premiere.

Drei Menschen versuchen, ihre Köpfe durch mit Stoff bezogene Bilderrahmen zu stecken.

Sprengen den Rahmen: die Performer*innen des Transparence Theatre Foto: Hans-Jürgen Wege

Lüneburg taz | Für räkeliges Selbstinszenieren, dahingefläztes Selbstreflektieren und Tête-à-Têtes steht eine Chaiselongue in der Bühnenmitte, dahinter das klassisch gläserne Requisit zur Selbstbespiegelung. Spartanisch ist die Ausstattung, bonbonbunt das Licht. Aus lautstark eingespielter Minimal-Music erheben sich Fragen wie: Wer bin ich? Schaffe ich das? Bist du schwul, oder was?

So startet auf der Studiobühne im Keller des Theaters Lüneburg die Uraufführung von „Transparência“, eine einstündige „Trans*-Tanz-Performance mit Live-Gesang“. Verantwortlich ist die nach eigenen Angaben einzige Compagnie weltweit, die auf der Bühne ausschließlich Trans-Darsteller*innen eine Plattform für ihr Können bietet. Über, vor und hinter der Bühne des in Hamburg beheimateten Transparence Theatre dürfen auch Cisgender arbeiten, etwa das Leitungsduo Kolja Schallenberg (Regie) und Wallace Jones (Choreografie, Ausstattung).

Was sie von all den Arbeitslosen-, Rentner-, Behinderten-, Flüchtlingsensembles unterscheidet, die auch mit Bühnenkunst gesellschaftliche Aufmerksamkeit generieren wollen? „Wir sind kein Amateurtheater, ich arbeite nur mit Profis“, so Schallenberg. „Transgender ist auch nicht unser künstlerisches Konzept, das sind nur die Darsteller.“

Seine Überzeugung ist es, dass biologisches und sozial konstruiertes Geschlecht ebenso egal sind fürs Theatermachen wie die Tatsache, ob und wie häufig diese schon gewechselt wurden. Die Transparence-Verwandlungskünstler hätten also ein Kleist-Drama oder ein Ballett gegen rechts geben können, fokussieren in ihrer ersten Produktion aber eben doch ihre Trans*-Erfahrungen und setzten Trans*-Identitäten sehr physisch ins Bild – mit den Körpern als Schauplatz und Schutzhülle des inneren Dramas.

Kolja Schallenberg, Regisseur

„Transmenschen wird meist nicht die Wandelbarkeit, das Schlüpfen in verschiedene Rollen zugetraut, deswegen haben sie Angst vorm Outing“

Was kein Alleinstellungsmerkmal ist. Im deutschen Stadttheatersystem ist das Thema dank Stückentwicklungen, Romandramatisierungen, Dokutheaterformaten und Tanzperformances bereits präsent. Geoutete Trans*-Menschen in Ensembles? Da ist allerdings nur eine bekannt: Nora Monsecour am Staatstheater Mainz. Ihre Geschichte erzählt übrigens Lucas Dhonts Film „Girl“, womit Transgender auch im Mainstream-Rührkino angekommen ist.

Schallenberg erzählt hingegen die abgründigere Geschichte seiner Hauptdarstellerin Aline de Oliveira: In Brasilien in einem Männerkörper geboren, katholisch erzogen, klassisches Ballett studiert und von den großen Häuser in Europa engagiert. Als schwuler Mann lebte sie mit ihrem Freund und verleugnete jahrelang, dass etwas anders ist an ihr. Mit ihrer Geschlechterangleichung verlor sie schließlich Partner und Jobs.

Denn in der Tutu-Kunst wird binär gedacht, es gibt die zart-federleichten Prinzessinnenkörper und die sie hebenden und durch die Luft wirbelnden, also kraftprotzenden Prinzenkörper. Nichts dazwischen. Das gelte auch in anderen Bereichen der Bühnenkunst, so Schallenberg: „Transmenschen wird meist nicht die Wandelbarkeit, das Schlüpfen in verschiedene Rollen zugetraut, deswegen haben sie Angst vorm Outing.“ Aline de Oliveira musste sich jahrelang als Prostituierte durchschlagen und steht nun erstmals als Frau auf der Bühne.

Drei der vier Tänzer*innen halten sich schamvoll den Mund zu und versuchen Verkrampfungen aus ihren Körpern zu lösen, zappelige Exaltation zu beruhigen, schlackernde Arme in selbstbewusste Gestik zu überführen. Harmonieren also nicht mit dem, was sie sind, und suchen angestrengt ihre eigene Bewegungssprache. Halten sich auch mal Bilderrahmen vors Gesicht und bedrängen die Protagonistin mit fratzenhafter Gruselkabinettmimik.

Rückblende. Ein Junge im Matrosenanzug und als Gegenbild ein Ballerinamädchen mit Puppe umspielen die Chaiselongue. Der Vater haut dem Sohn auf die Finger, als dieser mit der Puppe spielen will, die Mutter schubst ihn zum Vater, der ihm per Boxkampf Männlichkeit einprügeln soll. Schließlich bekommt er ein Holz­auto geschenkt, will aber lieber Mamas Pumps anziehen. Derweil sich das Mädchen suizidal den Strick um den Hals legt.

Nächste Szene: Sexualität. Mit der Bravo in der Hand werden die Fakten hinter dem Mythos Orgasmus erklärt. Botschaft: Wer viel Sex hat, geht entspannt durchs Leben. Nur mit wem? Mann und Frau tanzen um das Sitzmöbel, treffen sich dort zum Blowjob, dann hat der Mann mit einem anderen Sex und die Frau will ihn zurückhaben. Die Männer aber feiern sich per Pas de deux. Als einer mit Perücke darauf hinweist, Frau sein zu wollen, hagelt es Schläge. In Hochwürden-Uniform irrlichtert jemand empört vorüber. Eine Kakophonie gesellschaftlicher Vorurteile prasselt aus den Lautsprechern.

Di/Mi, 25./26. 6., 20 Uhr, Theater Lüneburg. Infos: www.transparencetheatre.com

Aline de Oliveira spreizt die Beine, ein Freier wirft ihr achtlos Geld zu. Sie wandelt sich zur Domina für SM-Fans und zeigt stolz, eine Frau mit Brüsten zu sein. „Ich bin glücklich, ich weiß, wer ich bin“, ist zu hören. Dramaturgisch eine eher schlicht entwickelte Szenenfolge: Die Bilder sind vor allem plakativ, die eingeblendeten Musiken meist pathetisch. Die Choreografie kommt eher ungelenk daher, wie eine Addition von Bewegungsskizzen. Berückend untersungen werden die dargebotenen Lieder – wie auf der ersten Stellprobe.

In seinem Aufklärungsduktus nimmt der Abend für sich ein, in dem Wissen um die dahinterstehenden Lebensgeschichten mag er berühren, aber als Inszenierung überzeugt er leider nicht. Der Regisseur sagt selbst: „Wir haben unsere künstlerische Identität noch nicht gefunden.“ Was vielleicht an der nur vierwöchigen Probenzeit liegt. Schallenberg ist mit seinem Privatvermögen einziger Produzent des Projekts und erklärt, einfach kein Geld gehabt zu haben, um das Ensemble über einen längeren Zeitraum zu bezahlen.

Schallenberg selbst hat als Autor und Regisseur seine Stadttheaterlehrjahre absolviert, auch Kulturmanagement studiert. Seit 2009 arbeitet er frei und verdiente zuletzt Geld als Regisseur des bundesweit tourenden Bee-Gees-Musicals „Massachusetts“ und für Unterhaltungsshows auf Kreuzfahrtschiffen.

Seit 2016 baut er für Transparence ein Netzwerk in der queeren Szene auf, schreibt bisher erfolglos Förderanträge und bat 45 Theater, dort „Transparência“ spielen zu dürfen. Lediglich vier hätten geantwortet, sagt er. Nur Lüneburg schob sechs Vorstellungen in den Spielplan, überlässt ihm auch den überwiegenden Teil der Einnahmen. Hilfreich bei dem Deal war, dass Choreograf Wallace in Lüneburg als Tänzer engagiert ist.

Inzwischen übernahm Hamburgs Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank die Schirmherrschaft für das Transgender-Theater. Auch Politiker aus anderen Bundesländern hätten bereits Interesse bekundet, aus der Kulturszene aber niemand, so Schallenberg erstaunt. Aber er plant weiter. Etwa eine Trans*-Version der „Vagina-Monologe“ von Eve Enslers. Zur Hamburger Pride Week ist ein kultureller Beitrag im Werden, fürs Schmidts-Theater ein Musical­abend zugunsten des Transgender-Kinder-Netzwerks Trakine.

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